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Schmidbauer soll vernommen werden

Gestern begann der „Mykonos“-Prozeß mit einem eingeschüchterten Hauptbelastungszeugen / Staatsminister Schmidbauer soll zu Gesprächen mit Fallahian befragt werden  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit wurde Justizgeschichte geschrieben, die ihre Spuren auch in der Architektur hinterlassen hat. Seit dem 2.-Juni-Prozeß Ende der siebziger Jahre sind die Bänke der Angeklagten in Panzerglaskästen eingefaßt. Seit gestern ist der Saal zusätzlich mit einer zwei Meter hohen Sichtblende und einem vier Meter hohen Stahlnetz gegen die vorgelagerte große Eingangshalle gesichert. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß durch Wurfgeschosse der sogenannte „Mykonos“-Prozeß, der dort gestern vor dem Kammergericht eröffnet wurde, ein vorzeitiges Ende findet.

Vor allem einem Angeklagten, dem Libanesen Youssef Amin, gilt die Fürsorge der Sicherheitskräfte. Denn von seiner Aussage hängt wesentlich die Überführung der beiden Mitangeklagten Kazem Darabi und Abbas Rhayel des gemeinschaftlichen Mordes an vier iranischen Oppositionspolitikern ab. Er soll zudem den Beweis erbringen, daß diese Tat im Auftrag des iranischen Geheimdienstes geschah. Die drei Angeklagten sollen am 17. September 1992 den Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran (PDK-I), Sadegh Charafkandi, zwei führende PDK-I-Funktionäre und einen Dolmetscher im Restaurant „Mykonos“ erschossen haben. Zwei weitere Libanesen, Mohamed Atris und Atallah Ayel, sind der Beihilfe angeklagt, der eine, weil von ihm der Tatplan stammen soll, der andere, weil er falsche Pässe besorgt haben soll.

Wohl wegen seiner Aussagebereitschaft wurde Amin nicht neben seine vermeintlichen Mittäter plaziert, sondern nahm im gegenüberliegenden Glaskasten neben Atris und Ayel Platz, direkt neben der Tür, durch die er als letzter eintritt und als erster den Saal wieder verläßt, um solchermaßen jeden unliebsamen Kontakt zu vermeiden. Nichtsdestotrotz muß am Morgen vor Verfahrensbeginn etwas passiert sein, von dem Amins Verteidiger Lothar Bungartz meint, daß es seinen Mandanten „unter Druck“ gesetzt habe. Hatte er zuvor bei den Verteidigergesprächen bekundet, daß er aussagen wolle, so überraschte Amin zu Beginn des Prozesses alle Beteiligten mit dem heftig vorgetragenen Wunsch: „Diese Verteidiger will ich nicht, ich will meinen Verteidiger.“

Weder war bekannt, wer dieser neue Verteidiger sei, noch wurde die Frage des Nebenklagevertreters Wolfgang Wieland beantwortet, wovon Amin, der auf dem Flohmarkt sein Geld verdient, diesen Anwalt bezahlen wolle.

„Nachtigall, ick hör dir trapsen“, meinte denn auch Verteidiger Bungartz, auf die Fernwirkung des iranischen Geheimdienstes anspielend. Dessen Interessen sah Wieland zudem, wenn auch nicht in solch unmittelbarer Form, in zwei Anträgen der Verteidigung Darabis und Rhayels gewahrt.

Sowohl Rechtsanwalt Detlef Kolloge als auch sein Kollege Michael Kaiser verlangten, das Verfahren auszusetzen, weil nicht alle beweiserheblichen Unterlagen vorlägen. Dazu zählte Kaiser vor allem die Absprachen, die zwischen dem Staatssekretär Bernd Schmidbauer und dem iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian getroffen wurden. Angeblich sollen die beiden über die Freilassung von vier im Iran inhaftierten Deutschen und, im Gegenzug, die Verschiebung des Prozesses verhandelt haben. Wegen dieses „in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Versuchs der Einflußnahme auf ein Verfahren“ verlangten Wieland und sein Sozius Hans-Joachim Ehrig die Vernehmung Schmidbauers als ersten Zeugen.

Bundesanwalt Hans-Joachim Kurth erklärte, daß die Bundesregierung Fallahians Vernehmung verweigert habe, weil er als Staatsgast Immunität besitze. Eine Aussetzung des Verfahrens lehnte Wieland jedoch ab. Das sei juristisch nicht haltbar und „ein starkes Stück“, würde damit doch dem von Fallahian geäußerten Wunsch nach Verfahrensverschiebung prozessual Rechnung getragen.

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