Eben doch beim Jazz, irgendwie

„Spürbar breitere Akzeptanz“ beim geneigten Publikum? Jazz-HipHop im „Giant-Step“-Package mit Groove Collective, Dana Bryant, Get Set V.O.P., Pucho, DJs und Steptänzern auf dem JazzFest '93  ■ Von Andreas Becker

Zuerst will man sich schon wieder aufregen, daß die blöden Autofahrer aber auch alles zuparken. Zwei quietschegrüne, kugelrunde Biermobile stehen direkt vor dem Eingang der Philharmonie. Es begrüßt uns der neue Hauptsponsor des JazzFests, eine ziemlich große holländische Brauerei. Daß Heineken den Jazzern Geld gibt, wertet der künstlerische Leiter des JazzFests, George Gruntz, als Beweis für die „heute wieder spürbar breitere Akzeptanz“ des Jazz.

Trotzdem ist die Philharmonie nur zu zwei Dritteln gefüllt. Gruntz sind in den letzten Jahren einige seiner Zugpferdchen weggestorben: Miles tot, Dizzy tot ... Da kann es schon mal passieren, daß man das JazzFest mit Uschi Brüning und Ernst Ludwig Petrowsky eröffnen muß. Und daß einem danach die Hammond-Organistin Barbara Dennerlein aus München während des Konzerts die Vorzüge ihrer um diverse Fußtasten erweiterten Orgel erläutert. Damit könne man einen echten Kontrabaß auf Diskette aufnehmen und „sampeln“. Klingt ziemlich modern, oder? Ihre Musik klang dann eher wie eine auf Tatort-Melodie getrimmte Schweinemusik-Variante (Jazzlexikon S.538: die Hammond-Orgel wird im Volksmund, wegen ihres schweinischen Sounds, auch „Schweineorgel“ genannt).

Daß Jazz wieder angesagt ist, hat sich also inzwischen sogar bis in die Vorstandsetage des JazzFests herumgesprochen. Ewig gescholten für das alljährliche Aufwärmen der ältesten Big Bands der Welt, was auch das Publikum in der Philharmonie mit zunehmender Vergreisung honoriert, hat sich George Gruntz nun scheinbar zur radikalen Gesichtsverjüngung durchgerungen. Die Delphi— Schiene, in den letzten Jahren einziger Ort für Avantgardistisches, wurde einem Projekt geopfert, das dem JazzFest den Nachwuchs sichern soll. Wenn die Kids in der Disko Jazz hören, warum nicht auch beim Festival. Die Akzeptanz des Jazz will das JazzFest in diesem Jahr mit einer HipHop & Sonstwie-Jazzschiene im Tränenpalast beweisen. Für drei Abende hat man die komplette „Groove Academy“ des New Yorker Clubs „Giant Step“ eingekauft. Wer nun den radikalen Bruch mit Jazz(Fest)traditionen erwartete, sah sich aber auch hier enttäuscht. HipHop in Rapform präsentieren nur Get Set V.O.P., und das zu laut, zu krachig, und dafür wieder zu unaufdringlich. Ein bißchen mehr Gerumpel, ein wenig HeehHooh, einmal „motherfuckin' house“ sagen hätte nicht geschadet.

Pucho & The Latin Soul Brothers, der Eröffnungsact, fabrizieren einen sich angenehm eingroovenden Jazz-Latin-Mix. Pucho, der schon Anfang der Siebziger ins Mambogeschäft einstieg, hat die Kurve noch mal gekriegt und ist rechtzeitig zum Mamborevival wieder dabei. Wenn jetzt noch Mario Bauza auftauchen würde, der bei den Heimatklängen '92 noch einmal als großer alter Mamboking auftrumpfte. Aber auch der ist tot. Bleibt Puchos Version von „Cantaloop“, dem Stück, daß US3 in die Charts hievte, eine jazzige, bläserfreundliche Alternative zu der US3-Fassung. Ansonsten: Kein „London Underground“, keine Nicolette, kein Jazzmatazz. Man ist eben doch beim „Jazz“, irgendwie.

Der Abend im Tränenpalast ist organisiert wie eine Clubnacht. Was früher Pausen zwischen Konzerten waren, sind jetzt Freifahrscheine für die DJs Jazzy Nice (N.Y.) und Frank Stratmann aus Köln, die „keine Langeweile aufkommen lassen“. Die verflüchtigt sich endgültig, als die Sängerin und Poetin Dana Bryant die Bühne betritt. Eigentlich dürfte ich sie hier gar nicht beschreiben, dafür sieht sie einfach zu gut aus. Ich verrate nur so viel: sie trägt ein schulterfreies, ziemlich eng sitzendes langes schwarzes Samtkleid, in dem sie sich recht wohl zu fühlen scheint.

Dana Bryant eröffnet mit einem Statement, das schwarzes und feministisches Bewußtsein demonstrieren will: Loving of being coloured. Sie aktualisiert Gil Scott- Herons „The Revolution will not be televised“ mit Bezügen auf den Golfkrieg. In New York tritt sie vor Gil Scott-Heron auf, der nach ihrer Aussage nicht mehr an die Revolution glaubt, egal ob mit oder ohne TV. Hier agiert der Steptänzer Herbin Van Cayseele neben ihr. Später, Solo, überzeugt er, neben Dana aber kann er noch so perfekt mit den Schuhen klappern, er wirkt wie ein besserer Hampelmann.

Außerdem im Angebot: The Groove Collective und Get Set V.O.P. Das Groove-Kollektiv, die Band, die bis vor kurzem noch nach ihrem Club „Giant Step NYC“ hieß, schafft die Synthese aus Jazz und Tanzmusik am besten. Wir segeln zwischen den Jazzzeitaltern hin und her. Alte Bekannte wie Hancock, Coltrane oder der frühe Miles geistern für Momente durch die Arena, bis sie mit einer S-Bahn aus dem Bild verschwinden.

Schlecht besucht, das aber wenigstens von jungen Leuten, die sich wieder zu tanzen trauen, ist der Giant Step vielleicht nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für das JazzFest.

Heute spielen um 23 Uhr noch einmal alle Bands des Giant Step im Tränenpalast, Friedrichstraße, Eintritt: 20 Mark