: Totenbaum und Designersarg
Ein nüchterner Streifzug durch die Kulturgeschichte des Sarges im Sepulkralmuseum Kassel ■ Von Martin Krumbholz
Wer durch die Ausstellung des Kasseler Museums für Sepulkralkultur geht und mit ihrer Hilfe einen kurzen Blick auf die Geschichte des Sarges riskiert, wird neben anderem feststellen, daß sich im späten Hochmittelalter jener wohlbekannte sechsseitige Querschnitt mit abgeplattetem Deckel durchgesetzt hat, der sich seither im Prinzip nicht mehr verändert hat und als Inbegriff des Sarges schlechthin gilt. Alle zaghaften Innovationsgelüste der Moderne inclusive Postmoderne helfen nichts: Dieses Modell, quasi das Nonplusultra der Bestattungsästhetik, wird von den Bestattungsunternehmern mit Zähnen und Klauen verteidigt, als wäre jede Abweichung von der einmal gesetzten Norm ein peinliches Sakrileg. Sechs Seiten, abgeplatteter Deckel, Eichenholz, braun oder schwarz, wuchtig und edel – an diesen Eigenschaften erkennt der Sterbliche seit mindestens 200 Jahren (seitdem nämlich sind Sargbestattungen allgemein üblich) sein letztes Behältnis.
Wie es zu dieser Bevorzugung eines einzigen Modells gekommen ist, weiß kein Mensch, aber eines ist sicher: Die schönsten der in Kassel gezeigten Stücke stammen aus der Antike – aus der ägyptischen, römischen, mykenischen und frühchristlichen Tradition –, und wenn demnach etwas als „klassisch“ gelten kann, dann ist es nicht die hexagonale, sondern die einfache rechteckige, schnörkellose Kastenform, die in ihrer überzeugenden Funktionalität dem heutigen Stilgefühl viel eher entspricht, als der stereotype Bombast der letzten 600 Jahre. Ob diese Erkenntnis sich dereinst durchsetzen wird, ist kaum zu prognostizieren; dagegen steht einerseits die zähe Beharrungsenergie der Bestattungsunternehmen – einem von Natur aus konservativen Gewerbe –, andererseits aber auch die Tatsache, daß heutige Designer der Gestaltung des Sarges eher durch irgendwelchen farbenfrohen Schnickschnack auf die Beine helfen wollen, als sich auf die klassische, also auf die klare, strenge und funktionsgerechte Form zu besinnen.
So also kommt es, daß beispielsweise der Metallsarg im neobarocken Stil (um 1910/1920) der Wiener Sargfabrik Julius Maschner & Söhne – sinnfällig ins Zentrum der Ausstellung plaziert – auch heute aufs schönste im Trend liegt. Das silberhelle Metall wirkt sogar noch vornehmer als Eichenholz, an den üppigsten Applikationen fehlt es naturgemäß nicht, und einige Putten mit Kerzenlüstern sorgen für die pietät- und geschmackvolle Abrundung des Ensembles, dessen „Verkäuflichkeit“ ein eigens angebrachtes Schildchen freundlich anzeigt. Es ist alles eine Frage der pekuniären Möglichkeiten des am Bestattetwerden Interessierten beziehungsweise der ihm hoffentlich wohlgesonnenen Hinterbliebenen.
Diese triviale Einsicht gilt ganz generell. Die Sargbestattung ist einerseits eine sehr alte Erfindung – das älteste Exponat, eine ägyptische Holztruhe, ist viereinhalbtausend Jahre alt –, andererseits war sie bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Privileg der gehobenen Schichten. Die weniger Bemittelten wurden einfach in ein Tuch eingenäht und in der Erde versenkt. Dem christlichen Motiv des „Asche zu Asche“ war diese Prozedur fast ebenso förderlich wie die auch in früheren Epochen schon weit verbreitete Feuerbestattung (Karl der Große schrieb die Erdbestattung zwingend vor). Geht man übrigens von der Wortbedeutung aus, hat der „Sarg“ nicht den Zweck, den Leichnam zu schützen, sondern im Gegenteil den Verwesungsprozeß zu beschleunigen: Das griechische Wort „Sarkophag“ bedeutet soviel wie „fleischfressend“; gemeint ist damit eine bestimmte Steinart, die angeblich den Zersetzungsvorgang beförderte.
Das entsprechend schöne deutsche Wort, zum Teil bis heute gebräuchlich, heißt „Totenbaum“. Die Ausstellung zeigt ein äußerst gut erhaltenes Exemplar eines alemannischen Baumsarges aus dem 6.Jahrhundert n. Chr., 1882 in Zöblingen ans Tageslicht gehoben. Der Stamm einer Eiche wurde mit Hilfe von Äxten, Schlegeln und Holzkeilen zunächst gespalten, dann wurden die beiden Hälften trogähnlich ausgehöhlt – die Hälfte mit der flacheren Mulde diente als Deckel, die andere als Unterteil. Solche einfachen Baumsärge sind bis ins 13.Jahrhundert bezeugt.
Die Epidemien des Mittelalters haben die praktischen „Pestsärge“ hervorgebracht, die nur dem Transport der Leichen auf den Friedhof dienten, einen aufklappbaren Boden besaßen und natürlich mehrfach verwendet wurden. Immerhin ins 18.Jahrhundert datiert der sogenannte „Josephinische Sparsarg“ (nach Joseph II., 1741 bis 1790), auch „wiederverwendbare gemeindeeigene Mehrfachtotentruhe“ genannt. Mit solchen Erfindungen (und ihrer gar nicht so sparsamen Titulierung) zeigt der Sozialstaat, was er kann.
Doch die Offenbarung dieser Ausstellung, wie angedeutet, liegt in der archäologischen Abteilung. Die Alten hatten durchaus Sinn fürs Ornamentale, aber ihre Phantasie verschwendeten sie nicht auf den planen Formenüberschuß, wie es im Spätmittelalter und im Barock gang und gäbe war und wie wir Heutigen es sklavisch imitieren. In Kreta scheint es beispielsweise in spätminoischer Zeit üblich gewesen zu sein, die Toten sitzend oder in embryonaler Haltung zu bestatten: Der fein bemalte Tonsarg, den die Ausstellung zeigt, ist überraschend schmal und strebt eher in die Höhe als in die Länge, die nur 114 Zentimeter mißt. Von bestechender Einfachheit und Formschönheit ist der syrische Bleisarkophag aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert n.Chr.: Eine rechteckige Kistenform mit tonnengewölbtem Deckel, fein verziert. Von der Form her ähnelt diesem Exponat der Sarg des Heiligen Paulinus, eines Bischofs von Trier (nach 358 n.Chr.): Hier handelt es sich um eine Kiste aus Zedernholz, die mit kostbaren Silberbeschlägen versehen ist, aber dennoch einen schlichten, funktionalen Eindruck hinterläßt.
Sinnfällig ist unmittelbar neben dem Paulinus-Sarg ein von dem Kasseler Bestattungsinstitut Buhle 1993 hergestellter „Jüdischer Sarg“ plaziert: Eine rechteckige Kiste aus rohem, unbehandeltem Holz – nichts weiter. Nicht daß Schlichtheit um jeden Preis zum Dogma erhoben werden sollte, aber um wieviel ansprechender ist eine solche unprätentiöse Totenkiste, verglichen mit jenen einschüchternden, unnötig wuchtigen Eichenholzsärgen, die die westliche Welt bis auf den heutigen Tag in ihre Friedhöfe zu versenken pflegt!
Daß das ernste Thema „Tod und Bestattung“ zu allerlei makabren Späßchen einlädt, liegt auf der Hand – und so nimmt man es den Ausstellungsmachern keineswegs übel, wenn sie auch diesem Aspekt der Materie mit einer Handvoll hübscher Exempel gerecht werden wollen. Da wäre etwa der „Sarg einer Domina um 1960/70“, als dessen Provenienz „ein ehemaliges Bordell in Stuttgart“ vermerkt ist (diese Schwaben, also wirklich!); der Katalog versäumt nicht, auf die „uralte enge Affinität von Eros und Tod“ hinzuweisen, und er preist dem Betrachter die – der speziellen Verwendung angepaßte – „praktische Einhandbedienung des Deckels“ an, die durch einen seitlichen Anschlag des Deckels am Sargkasten mit vier Scharnieren gewährleistet wird. (Auch auf den roten Samtvelours im Inneren des Sarges, der bequem abgepolstert sei, wird eigens hingewiesen; der Rezensent hat sich von der Richtigkeit dieser Angaben überzeugt.)
Was aber – schwäbische Bordellpraktiken hin oder her – den flüchtigen Zeitgenossen ernsthaft beeindruckt, sind jene dem volksfrommen Brauchtum entstammenden „Betrachtungssärglein“, mundartlich auch „Tischsargerl“ oder „Tödlein“ genannt, die den ehrwürdigen Zweck nicht verfehlen, dem Besitzer seine Vergänglichkeit drastisch vor Augen zu führen. Es handelt sich dabei um Miniatursärge von etwa 25 Zentimeter Länge, die sich öffnen und schließen und mit einem Häkchen verriegeln lassen. Im Inneren befindet sich ein aus Holz geschnitzter, skelettierter, von den Spuren der Verwesung gezeichneter Leichnam, der einen höchst schaurigen Anblick gewährt – zumal es nicht an aus weißem Wachs geformten, kleinen verdrehten Würmchen fehlt, an einem Ende mit roter Farbe bemalt, die liebevoll um den Toten drapiert sind; gerne wird auch eine kleine, graue Maus oder eine Krähe mit tiefschwarzen Augen beigegeben, das alles, um des Betrachters frommen Todeswollustschauer nach Kräften zu vervollkommnen. Die Experten versichern, daß diese Betrachtungssärglein – sie stammen meist aus dem katholischen Alpen- oder Voralpengebiet – sich einst großer Beliebtheit und massenhafter Verbreitung erfreuten, und zwar keineswegs nur in Klöstern.
Ob man nicht heutigen Tages – auch im protestantischen Norden – zu dieser sympathischen Sitte zurückkehren sollte? Sollte nicht tatsächlich jedermann – unbedingt aber jede(r) PolitikerIn und jede(r) JournalistIn – darauf verpflichtet werden, so ein Betrachtungssärglein in seiner Schreibtischschublade zu verwahren und einmal am Tag – so gegen fünf oder sechs Uhr, wenn selbiger sich neigt – konzentriert hineinzuschauen, um alsdann, im demütigen Bewußtsein der eigenen Vorläufigkeit, das Tagwerk abzuschließen? Für Hedonisten und ehemalige Bundeskanzler ist es vielleicht nicht uninteressant zu wissen, daß das Betrachtungssärglein auch als Schnupftabakdose erhältlich ist. Die bemerkenswerte Lackmalerei auf dem Deckel zeigt den großen Napoleon im Angesicht des Todes; eine Sanduhr am Fußende symbolisiert die verrinnende Zeit.
„Vom Totenbaum zum Designersarg“. Bis 5.Dezember im Museum für Sepulkralkultur, Kassel. Katalog 36DM.
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