: Legitimes Interesse an Debatten
■ Das Ende der Medienzensur. Ein Vorschlag an die Opsahl-Kommission
Brice Dickson, Juraprofessor an der Neuen Universität von Ulster, machte im Rahmen der Befragungen der Opsahl-Kommission einen neuen und sehr interessanten Vorschlag. Wie viele andere geht er davon aus, daß, auch wenn manchem dabei unwohl sein wird, am Ende Repräsentanten der britischen Regierung sowohl mit Sinn Féin als auch mit UDA-Leuten werden reden müssen. Solche Gespräche sollten möglichst öffentlich stattfinden, am besten sogar live im Fernsehen übertragen werden. Brice Dickson führt als Vorbild die Gespräche zwischen Solidarność und der polnischen Regierung Ende der Achtziger in Polen an: auch sie hätten durch den Zugang der Öffentlichkeit an Glaubwürdigkeit nur gewonnen.
Wie viele Vorschläge an die Opsahl-Kommission hat wohl auch dieser kaum Chancen auf Verwirklichung – was schade ist, denn sie sind alle neu und unkonventionell.
Das beeindruckendste Ergebnis, zu dem die Opsahl-Kommission kam, war, daß auch Leute, die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung entschieden ablehnen, der Meinung sind, keine Lösung könne stabil oder von Dauer sein, die ohne Beteiligung von Sinn Féin zustande kommt. Brice Dickson steht auf dem Standpunkt, daß auch sie dazugehört und derartige Gespräche nicht als Konzession an politische Gewalttäter mißverstanden werden dürften.
Das größte Hindernis für solche Gespräche ist – außer der Tatsache, daß weder die irische noch die britische Regierung sie will –, daß sie sofort eine ganze Lawine von Verdächtigungen, Ängsten und Aggressionen lostreten würden, ganz besonders bei der unionistischen Bevölkerung Nordirlands, aber auch bei einigen Politikern in der Republik Irland. Doch an Brice Dicksons Vorschlag überzeugt, daß alle Geheimhaltung und gegenseitigen Verdächtigungen vom Tisch wären, die bisher noch jede Gesprächsrunde über Nordirland vergiftet und die Paranoia auf beiden Seiten des Grabens nur geschürt haben.
Auf einen Nenner gebracht, bedeutet die entscheidende Botschaft der Opsahl-Kommission, daß Tausende von Nordiren sich leidenschaftlich gern aktiv für eine bessere Zukunft einsetzen möchten und sogar einen eher mäßigenden Einfluß haben würden, wenn man sie an Gesprächen irgendwie beteiligen könnte. Selbst wenn es nicht zu einem so öffentlichen Diskurs kommt, wie ihn Brice Dickson im Auge hat, sollte es mit etwas mehr politischem Mut doch möglich sein, den Weg für eine breite Diskussion zu ebnen, so daß auch Sinn Féin und UDA beteiligt werden könnten.
Eines der nicht mehr akzeptablen Hindernisse in diesem Prozeß ist die in Großbritannien und Irland herrschende Zensur. In der Vergangenheit ist das Argument gegen den irischen Paragraphen31 des Funk- und Fernsehgesetzes vor allem von der klassischen liberalen Überzeugung ausgegangen, daß Zensur die zensierte Gruppierung um ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und die Öffentlichkeit um ihr Recht auf Information bringt; beides ist in keinem Fall zu rechtfertigen.
Aber neben diesen Gründen gibt es noch einige mehr, warum den Leuten von Sinn Féin und der UDA Zugang zur öffentlichen Debatte verschafft werden muß. Aus den Statistiken wissen wir beispielsweise, daß die zwei Bevölkerungsgruppen Nordirlands, und dabei besonders die, die in den „harten Ghettos“ wohnen, immer stärker voneinander getrennt leben, sowohl in politischer wie in physischer Hinsicht. Das heißt aber nichts anderes, als daß die Menschen in diesen Vierteln selten oder überhaupt nie mit jemandem sprechen, der nicht ihrer eigenen, unumstößlichen Auffassung ist. Wegen des Sendeverbots in Funk und Fernsehen können sie zudem nie ihre politischen Führer sehen, wie sie sich auch harte Interviews gefallen lassen und ihre Positionen verteidigen müssen. Tatsächlich war es ja ein bezeichnendes Schauspiel, wie Mitglieder von Sinn Féin bei einer der öffentlichen Anhörungen durch die Opsahl-Kommission steif und dogmatisch die Parteilinie vertraten, als hätten sie Angst, beim Nachdenken, oder gar Nachgeben erwischt zu werden...
Heutzutage spielen die Medien, und insbesondere das Fernsehen, eine Schlüsselrolle im politischen Prozeß der Meinungsbildung. Sie sind das Forum, in dem politische Strategien erörtert und mögliche Konzessionen angedeutet werden können. Das bedeutet beileibe nicht nur den simplen und einseitigen Prozeß, Botschaften von oben ans Wahlvolk zu bringen. Hier findet auch ein Feedback statt. Die öffentliche Reaktion bildet sich auf dem Bildschirm ab und beeinflußt Politiker in ihren Haltungen und Strategien.
In Nordirland, wo keine direkte demokratische Kontrolle der Politik existiert, stellt das Fernsehen fast das einzige Forum dar, in dem Politiker ihren Wählern Rede und Antwort stehen müssen. Und umgekehrt benutzt der britische Minister für Nordirland das Medium, wenn er die Reaktion auf neue Ideen testen oder die Regierungspolitik ändern will: er hält eine Rede vor einem eher neutralen Publikum von Geschäftsleuten oder Schülern – und kann sicher sein, daß durch das Fernsehen jeder neue – und alte – Zungenschlag sofort ans allgemeine Publikum weitergereicht wird.
Als Peter Brooke noch Minister für Nordirland war, sprach er des öfteren von der Notwendigkeit einer Diskussion innerhalb der sogenannten „terroristischen Gemeinschaft“. Er bezeichnete dies als den wesentlichen Schritt, um die IRA davon zu überzeugen, endlich Gewalt als Mittel der Politik aufzugeben. Viele hoffen, daß er, der heute in John Majors Kabinett als Kulturminister für Funk und Fernsehen verantwortlich ist, sich daran erinnert und das Sendeverbot für Interviews und Stellungnahmen von Mitgliedern der „terroristischen Gemeinschaft“ auch in Großbritannien aufhebt.
Nach vielen Gesprächen mit Rundfunkleuten und Politikern in Großbritannien glaube ich inzwischen nicht mehr, daß viel Aussicht auf die Aufhebung dieses Sendeverbots besteht. Zwar halten selbst in der Regierung viele dieses Verbot für absurd, aber keiner möchte sich gerne zu einer Zeit, da die IRA ihre Bombenkampagne in England hartnäckig fortsetzt, deshalb mit den Abgeordneten der eigenen Fraktion anlegen.
Es ist daher an Michael Higgins, hier etwas zu bewegen. Seit er irischer Minister für Kunst und Kultur ist, hat er betont, daß er natürlich gegen jegliche Zensur sei. Aber er hat auch gesagt, daß der Paragraph31 ein komplexes Problem berühre und er jedem mißtraue, der es „mit der Selbstgerechtigkeit der einen oder anderen Seite“ angehe. Die für ihn entscheidende Frage, ob Paragraph31 das erreicht hat, was er erreichen sollte, nämlich Gewalttaten zu verhindern, ist natürlich ein ehrenwertes Argument.
Die Opsahl-Kommission hat nun mit allem Nachdruck argumentiert, daß jeder Versuch, Sinn Féin politisch zu isolieren – und hierzu gehört auch das Sendeverbot in Irland –, nur denen nützt, die die Anwendung von Gewalt befürworten. Und genau deshalb sollte die irische Regierung sich möglichst bald mit Paragraph31 beschäftigen.
Der Rat der Opsahl-Kommission darf nicht leichtfertig in den Wind geschlagen werden. Schließlich wissen wir, daß es in den Reihen von Sinn Féin eine wichtige Diskussion gibt, die eventuell die IRA zur Aufgabe ihrer Bombenkampagne bewegen könnte. Auch deshalb redet [der Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Nordirlands, SDLP; d.Red.] John Hume mit [dem Präsidenten von Sinn Féin; d.Red.] Gerry Adams. John Hume kann jedoch nicht für Gerry Adams sprechen und uns auch nicht das Denken der radikalen Nationalisten erklären. Er kann uns nicht sagen, ob sich in dieser Bewegung neue Ideen und Veränderungen entwickeln.
Die Menschen dieser Insel, Unionisten wie Nationalisten, haben ein legitimes Interesse, bei diesen Debatten dabeizusein. Schließlich geht es um Leben und Tod – ihr Leben und ihren Tod. Die Erfahrung, politische Opponenten im Fernsehen ernsthaft miteinander streiten zu sehen und darauf öffentlich reagieren zu können, ist dabei ungeheuer wichtig. Solche Bilder würden sich auch auf Sinn Féin selbst auswirken und am Ende, so darf man hoffen, ihr Vertrauen in den demokratischen Prozeß erneuern. Mary Holland
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