: Schurken unter sich
Die Treuhand – ein erster Nachruf auf die Berliner Abwickler-Anstalt ■ Von Jan Priewe
Ende September stellte Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel der Öffentlichkeit ein Buch vor mit dem Titel „Treuhand intern“: „Man hat die Treuhand eine mächtige Institution genannt. Die das getan haben, vermuteten bei der Treuhand die Macht zur willkürlichen und nicht nachkontrollierbaren Entscheidung. Solche Macht lehnen wir ab.“ Jetzt legt Dieter Kampe, Spiegel-Redakteur, ein aufsehenerregendes Büchlein, „Nachruf auf die Treuhand“, vor, das die Dame Lügen straft.
Kampe beschreibt in der Hälfte seines Buches den bislang größten Treuhand-Skandal, den er selbst maßgeblich aufgedeckt hat: den Verkauf der Geräte-Regler- Werke (GRW) Teltow an den Frankfurter Milliardär Claus Wisser für 1 DM. Wisser hatte Investitionszusagen von 120 Millionen DM gemacht, nicht um das Werk zu erhalten, sondern um wertvolle riesige Grundstücke vor den Toren Berlins an Investoren teuer zu verkaufen. Zuständig für den „Verkauf“ war der Bereich von Treuhand-Vorstand Klinz, zufällig mit Wisser befreundet, der angeblich von der ganzen Sache nichts wußte. Der eigentlich für die Treuhand zuständige Direktor Harald Lang und dessen Bearbeiter Wüst haben bewußt oder fahrlässig Wisser und dessen Geschäftspartner Ernst, Großkunde der Bayerischen Vereinsbank, bevorteilt. Zufällig war Wüst ein von der Bayerischen Vereinsbank augeliehener Manager. Am Ende stellte die interne Revision fest, daß die Firma statt einer Mark 170 bis 270 Millionen Mark wert war. Das staatsanwaltschaftliche Verfahren gegen Vorstand Klinz wurde eingestellt, Lang flog, wurde dann aber wieder als Geschäftsführer einer Investor-Firma gegenüber der Treuhand tätig und verwickelte sich erneut in schmierige Deals.
Die Treuhand selbst, insbesondere der Pressesprecher Wolf Schöde, reagierte in diesem wie in zahlreichen anderen Fällen lange Zeit nach dem Motto „Niemals einen Fehler eingestehen“. Schöde ist nach Kampes Darstellung nicht nur der Hausphilosoph, sondern ein Rechtfertigungsakrobat. Er und seine Abteilung haben wesentlich Anteil daran, daß es der Treuhand gelang, alle Skandale durchzustehen und trutzig den falschen Kurs bis zum bitteren Ende durchzuhalten.
Kampe behauptet, der Fall GRW offenbare das System der Treuhand – kein Einzelfall, wie die Treuhand behauptet, sondern exemplarisch. Nach Angaben von Breuel gab es bei 47.000 Privatisierungsverträgen bislang nur 99 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, von denen 36 wieder eingestellt wurden. Kampe hält dagegen, daß das meiste gar nicht an die Öffentlichkeit dringen kann, es sei denn, findige Journalisten, die einzigen wahren Kontrolleure der Anstalt, machen sich an die Arbeit. Wie groß der Eisberg unter der Spitze ist, das offenbart auch Kampes Buch nicht, aber es provoziert Ahnungen.
Der zweite Teil des Buches schildert mit viel Insider-Kenntnissen das System der Treuhand. Die Hauptkritikpunkte sind nicht neu, aber zutreffend und materialreich belegt: Seit der Ära Breuel versteht sich die Treuhand als Auktionshaus und unterwirft sich dem marktradikalen Postulat der bedingungslosen, schnellen Privatisierung. Die erfolgt nach undurchsichtigen Kriterien. Vielfach wissen nur diejenigen Sachbearbeiter, die unmittelbar die Verkaufsverhandlungen führen, wie die drei Kriterien Kaufpreis, Investitions- und Arbeitsplatzzusagen „optimiert“ werden, wie es monoman offiziell heißt. Da die Verträge Geschäftsgeheimnis sind, weiß niemand so recht, warum ein Investor den Zuschlag bekommen hat. Hinter der Regellosigkeit des Verkaufsgeschäfts ist viel Raum für Willkür, Begünstigung, Schieberei, für Pannen und unglaubliche Schlampereien. Großinvestoren wurden meist begünstigt, die Arbeitsplatzzusagen sind häufig windelweich. Nie wurde die Option, eigenständige ostdeutsche Firmen aufrechtzuerhalten (außer MBO), ernsthaft erwogen. Die Sanierung vor Verkauf wurde ständig blockiert und gebremst, so daß viele Firmen zu Tode schrumpften.
Durch mehr oder minder inszenierte Kampagnen wurde Aktivität vorgetäuscht, so Kampe, die sich regelmäßig als Luftballon erwies: das Starren auf die DM- Eröffnungsbilanzen, nach deren Feststellung die Sanierung rasch laufen würde; die vollmundige Auslandsakquisition, die, wie im Falle Japan, ein Flop war; die Öffentlichkeitskampagne der Treuhand, sie würde aktiv sanieren, wobei alle Ausgaben als Sanierung definiert wurden; die Treuhand- Initiative Mittelstand und und und.
Besonders prekär ist das Kontrollsystem der Treuhand. Zwar existieren viele Kontrollinstitutionen, wie etwa die interne Revision, die Staatsanwaltschaft, der Verwaltungsrat, ein Bundestagsausschuß, der Rechnungshof, das Kartellamt. Aber die Befugnisse aller dieser Kontrolleure sind zu schwach, so daß die Kontrolle letztlich zersplittert ist und nicht wirklich greift. Das wichtigste Kontrollhemmnis ist, so Kampe, die Treuhand-Philosophie: „Wenn was rauskommt, helfen wir euch.“ In der Kontrolle gibt es eine Fülle von Ungereimtheiten: Wie kann es angehen, daß die Berliner Justiz nicht genug Personal findet, um die Treuhand zu bearbeiten, so daß Akten „stillgelegt“ werden müssen? Warum wird der Finanzminister als Aufsichtsbehörde nicht tätig? Warum wurde die interne Revision nicht früh und entschlossen ausgebaut? Warum startete der Bundesrechnungshof Mitte 1991 seine Arbeit bei der Treuhand mit ganzen neun Leuten?
Kampe periodisiert die Treuhand-Tätigkeit. Dabei wird die erste Phase, die Rohwedder-Ära, idealisiert. Der wollte, meint Kampe, einen entschlossenen Kurswechsel zur Sanierung starten. Dann kam die marktradikale Ära Breuel, die bis zum Fall „Freital“ im Herbst 1992 währte, als der Freistaat Sachsen und viele andere immer stärker auf Sanierung drängten. Ob danach wirklich ein Kurswechsel erfolgte, bleibt offen. Im Endeffekt, so Kampe, sind drei Viertel aller Arbeitsplätze, die einst zum Treuhand-Imperium gehörten, weg. Die neuen Länder sind entindustrialisiert. Der Schuldenberg, den die Treuhand den Steuerzahlern als Erblast vermacht, liegt bei mindestens 275 Milliarden. Die Folgekosten des Dogmas der schnellen Privatisierung sind immens.
So verdienstvoll Dieter Kampes Buch ist, so ist es doch mit dem Makel des Spiegel-Journalismus behaftet. Manches wird zu sehr personalisiert: die Treuhand als Inszenierung eines gewaltigen Schurkenstücks. Dabei gerät zu sehr in den Hintergrund, daß die ökonomischen Rahmenbedingungen nach der Währungsunion katastrophal waren und die Bonner Einigungspolitik lange Zeit dilettantisch war. Wer da schnell privatisieren wollte, mußte großzügig die fadenscheinigsten Investoren bedienen, wenn es keine anderen gab. Gewiß, die Treuhand hatte bei ihrer unlösbaren Aufgabe Handlungsspielräume, aber wie groß waren sie? Kampe liefert eine provozierende Ouvertüre für den Bonner Untersuchungsausschuß. Jetzt müssen noch viel mehr Karten auf den Tisch.
Dieter Kampe: „Wer uns kennenlernt, gewinnt uns lieb. Nachruf auf die Treuhand“. Rotbuch-Taschenbuch 91, Berlin 1993, 16,90 DM
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