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Belgrads unsichere Kantonisten

Die montenegrinische Opposition will sich nicht mehr vereinnahmen lassen / Kritik an Milošević / Hoffnung auf eine neue Föderation mit Kroatien und Bosnien  ■ Aus Titograd/Podgorica Erich Rathfelder

Vor ein paar Tagen forderte Radovan Karadžić einen eigenständigen Zugang Serbiens zum Meer. Kroatien, so der aus Montenegro stammende Führer der bosnischen Serben, solle das Gebiet nördlich von Dubrovnik bis hin zur Halbinsel Peljesac an Serbien abtreten. „Wir Montenegriner“, kommentierte Miodrag Perović, der Herausgeber des montenegrinischen Nachrichtenmagazins Monitor, „sind offensichtlich für Herrn Karadžić zum unsicheren Kantonisten geworden.“ Denn Montenegro verfügt über Küste und Häfen an der Adria.

Die Stimmung in der kleinen Republik, dem neben Serbien zweiten Gliedstaat der „Bundesrepublik Jugoslawien“, ist gegenüber der Politik Belgrads umgekippt. Die internationalen Sanktionen beginnen zwischen Adria und serbischer Grenze zu wirken. Bei den Lebensmitteln klappt die Versorgung noch, Benzin aber ist knapp und teuer. Die montenegrinische Wirtschaft liegt am Boden, die Löhne sanken in den letzten zwei Jahren von durchschnittlich 1.000 auf 50 Mark im Monat. Die Stimmung ist mies. „Serbien will uns dominieren und uns unsere eigene Identität nehmen“, heißt es immer wieder. Ein Beispiel für den kleinen Widerstand ist das Verhältnis zum Gründer des kommunistischen Jugoslawien, Tito. An den montenegrinischen Grenzstationen sind zwar die früher üblichen Tito-Bilder verschwunden. „Die meisten Menschen würden aber lieber in Titograd als in Podgorica leben“, sagt Miodrag Perović in Anspielung auf die Umbenennung der Hauptstadt.

Tito habe den Montenegrinern die Staatlichkeit zurückgegeben, er habe dafür gesorgt, daß die vielen montengrinischen Partisanen in höchste Stellungen des kommunistischen Jugoslawien aufrücken konnten, sagt Perović. Obwohl sie nur 1,8 Prozent der Bevölkerung Jugoslawiens stellten, waren in Diplomatie, Militär und an den Universitäten 20 bis 30 Prozent Montenegriner vertreten. „Serbien dagegen hatte uns im ersten jugoslawischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg die Staatlichkeit genommen. Und jetzt versucht Serbien wieder, uns vollständig einzunehmen. Selbst die von Milošević installierte Regierung unter Präsident Momir Bulatović muß sich dagegen wehren.“

Auch im Hauptquartier der „Liberalen Partei“, die nach Umfragen zur Zeit die Wahlen gewinnen würde, sieht man Bulatovićs Eiertanz. „Einerseits muß er Milošević folgen, andererseits spürt er den Umschwung in der Bevölkerung“, erklärt Slavko Perović, ein dynamischer Enddreißiger, der eine offene und politisch präzise Sprache spricht. Die Montenegriner wollten mehr Spielraum für ihre eigene Politik. „Unser Verhältnis zu den Serben ist dem der Österreicher zu den Deutschen vergleichbar, wir sind zwar Serben, aber vor allem Montenegriner.“ Mit „Kriegsverbrechern wie Karadžić und mit faschistischen Politikern wie Milošević“ möchte Perović nicht in einen Topf geworfen werden. „Wir wollen eine Bürgerrepublik, in der alle Nationalitäten, auch unsere Minderheiten, wie die Albaner und die Moslems des Sandžak, ihren Platz haben – nicht einen Nationalstaat alter Prägung.“ Wenn die Opposition die nächsten Wahlen gewänne, würde sie zunächst für die Pressefreiheit sorgen. Erst ein Jahr danach würde Perović für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit eintreten, die von zwei Dritteln der Bevölkerung gewünscht werden müsse. Denn unter den gegebenen Umständen – immerhin sind 60.000 Mann der serbischen Armee im Lande – „wollen wir keine Auseinandersetzung, kriegerische Mittel lehnen wir ab. Der Krieg in Bosnien muß sofort beendet werden.“

Eine längerfristige Perspektive sieht der Liberale in einer zukünftigen lockeren Föderation unabhängiger Staaten auf dem Balkan, die Bosnien-Herzegowina und Kroatien einschließen müsse. Milošević und Karadžić werden diese Botschaft aus Podgorica, Verzeihung: Titograd – nicht gerne hören. Denn auch sie sind Montenegriner, „aber keine echten“, wie dort von jedermann zu hören ist. Milošević habe sich in Belgrad zum Serben gewandelt. Und im Falle Karadžićs müsse auf seine Familiengeschichte zurückgegriffen werden.

Sein Vater sei ein Tschetnik gewesen, der im Zweiten Weltkrieg viele Moslems ermordet hat. Den Kindern dieser Tschetniks sei von den Partisanen Schuldbewußtsein eingeflößt woren. „Davon versucht Karadžić sich nun zu befreien, indem er den Kampf der Tschetniks gegen die Partisanen fortführt, bleibt er bezüglich der Moslems in der Familientradition“, sagt ein Intellektueller, der seinen Namen nicht genannt wissen will.

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