: „Auch Sie können wir uns sparen“
■ Arbeitslosengruppen protestieren am „Weltspartag“ gegen Bonner Sparpläne / Unterstützung von den Gewerkschaften
Bielefeld (taz) – „Auch Sie können wir uns sparen“, verkündet ein feister Kanzler Kohl und zeigt mit dem Zeigefinger auf den Betrachter. Das Plakat, das nach einer Idee des Berliner Büros für ungewöhnliche Maßnahmen gestaltet wurde, steht für den Versuch, dem sozialen Protest mit neuen Aktionsformen Schubkraft zu verleihen. In über 50 Städten haben Arbeitslosengruppen gestern mit Happenings gegen die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen im sozialen Bereich demonstriert. Da wurden „kleine Brötchen gebacken“, das Arbeitsamt in BKA (Bundesanstalt zur Kontrolle Arbeitsloser) umbenannt, oder es zogen Lindwürmer durch die Amtsstuben.
In Bielefeld nutzten die InitiatorInnen des Protesttages, die „Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen“, die Eröffnung einer Ausstellung über deutsche Sozialgeschichte für ihren Protest. Zwar fehlte der Schirmherr – der Herr der industriellen Reservearmee, Norbert Blüm, hatte einen Pflichttermin bei der Kohlerunde in Bonn – aber der Ersatzmann, Staatssekretär Horst Günther, war auch nicht schlecht. Mitglieder von 15 Gruppierungen empfingen den Staatssekretär mit einem „Spalier der Grausamkeiten“. Doch grausam war allenfalls das ohrenbetäubende Pfeifen. Die Detonation eines „sozialen Sprengsatzes“, ein ministerial abgesegnetes Tischfeuerwerk, hinterließ freilich längst nicht soviel Wirkung wie die lautstarke Kommentierung seiner Rede: „Immer nur ,draufsatteln', das geht nicht mehr. Was wir brauchen, ist der teilweise Umbau unseres Sozialsystems, der abgestimmt sein muß mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik“, hieß es da beispielsweise. Allenfalls die dünn besetzten ersten zwei Reihen stimmten dem aus vollem Herzen zu. Der Rest protestierte mit Lachsack und rhythmischem Geklatsche. Der Aufmarsch einer Gruppe von Arbeitslosen mit grauen Müllsäcken auf dem Leib, auf denen stand: „Sozialstaat auf den Müll?“ fand nun überhaupt keine Zustimmung beim Hauptredner. Natürlich auch nicht beim Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld, Eberhard David, CDU. Der wagte immerhin, beim Parteikollegen bescheiden Protest anzumelden gegen die Verschiebung der sozialen Lasten nach unten, was aber der Adressat abfing: „Darüber müssen wir uns mal unterhalten.“
Den grimmigen Protest der Betroffenen der Kürzungsorgie steckte er freilich nicht so locker weg: „Ich habe Ihnen zugehört, jetzt müssen Sie mir zuhören, auch wenn Ihnen die Wahrheit nicht paßt“, quetschte er mühsam beherrscht durch seine zusammengepreßten Lippen.
Bemerkenswert war das Spektrum der in Bielefeld beteiligten Organisationen, die von der AWO bis zum „Psychologischen Beratungsdienst“ reichten. Wie in anderen Städten unterstützten diesmal auch die Kreisverbände verschiedener Gewerkschaften die Proteste. Uli Schmidt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen