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Oh, glücklicher Charly!

Wer an den Weihnachtsmann glaubt, darf nach dem 0:3 in Stuttgart auch weiter auf einen sportlichen Nicht-Abstieg von Schalke 04 hoffen  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

Charly telefonierte. Unten auf der roten Tartanbahn. Schnurlos. Offensichtlich handelte es sich um ein wichtiges Gespräch. Kameras hielten nämlich drauf. Mikrophone krochen fast in Charlies Hörer. Mit wem telefonierte Charly? Ein Raunen formte sich zu einem Namen: Günter! Telefonierte Charly tatsächlich mit Günter? „Komm zurück“, schrie Charly in die Muschel, „du mußt zurückkommen!“ Schien noch jede Menge anderer Meldungen in die weite Welt hinauszukrähen, unser Charly Neumann. Nun ja, das Schalker Äquivalent des Kölner Hennes hatte auch jede Menge Muße zum Plappern, denn zu verpassen gab es im Gottlieb-Stadion nur eiskalten Nebel im unendlichen Nichts. Ein Spiel? Jaja, fand wohl statt, zunächst wurde zügig an-, irgendwann viel zu spät wieder abgepfiffen. Aber was konnte dieser Charly solange darüber zu berichten haben? „Ich kann es kurz machen“, erkannte nach dem 0:3 selbst der nicht gerade fürs Kurzmachen berühmte Jörg Berger, derzeit Schalker Interimstrainer: „Wir haben das Spiel über weite Strecken bestimmt, und der VfB hat die Tore gemacht.“

Vorsicht! Nur eine Hälfte dieser zweiteiligen Analyse ist richtig, die andere aber in seltener Dreistigkeit erstunken und erlogen. Ist der ehrliche Sachse schon von der Vereinskrankheit gezeichnet, sagt er wissentlich die Unwahrheit? Vermutlich, ach besser, hoffentlich, denn ansonsten müßte er entweder blind geworden sein oder blöde! Nein, nein, als er nach 75 Minuten sein Stühlchen, Müller Milch, fast zertrümmert hätte, muß auch ihm klargeworden sein, was jeder sah: Sicherheiten hin, Liquiditätsfluß her, sportlich ist Schalke so konkurs, konkurser geht's nimmer.

Und in dem Versuch, „die richtigen Worte zu finden“, fand Berger prompt die falschen und verhedderte sich in der Wahrheit: „Für einen Tabellenletzten“, ächzte er unglücklich, „haben wir uns nicht schlecht geschlagen.“ Das war eine unfreiwillige Bankrotterklärung. Viel flüssiger konnte da schon Christoph Daum auftreten. „Keinen Schönheitspreis gewinnen ... Anschluß schaffen ... mit Erfolg Selbstvertrauen zurückerobern ...“, blablate der gewissenhafte Arbeiter herunter, der, als keiner mehr zuhörte, dann aber in bewährter Weise doch noch Schwächen gnadenlos ansprach. In Situationen nämlich, die Situationen vorausgingen, welche zu Toren führen könnten, zeigten seine Spieler „zuwenig Initiative“.

Was genau meinte Christoph? Was hätten seine Jungs in jenen Situationen, welche anderen vorauszugehen pflegen, anders machen sollen? „Wie der Ball genau weiterbefördert worden wäre“, entschuldigte sich der einst omnikompetente ehemalige Amateurmanndecker, „kann ich auch nicht sagen.“ Besser eben. Und am allerbesten zu Fritz Walter: Der stille Kanonenbesitzer wurde wieder mächtig von allen Mitspielern gewuschelt: Erst volle Pulle, dann mit bemerkenswerter Nonchalance zipfelte der den Ball zum 150. und 151. Mal in Bundesliganetze. Da freute sich der Fritz natürlich.

Aber: Foulspiel? Abseits? Raten Sie mit: „Ich bin keiner, der Schiedsrichterentscheidungen kritisiert ...“, sagte welcher grummelnde Sachse? Um dann umgehend ausgiebig was zu tun? Wer sagte dann schnauzbärtig: „Die Bäume wachsen nicht in den Himmel“? Welche Bäume meinte er? Und wer blinkte zweifarben: „Olé, Super VfB“ und schämte sich fast nicht? Fragen, Fragen. Dieter Hoeneß wäre es ein leichtes gewesen, Aufklärung zu liefern, doch bedauerlicherweise wurde er nicht gefragt. Charly Neumann auch nicht, doch der war auch längst wieder beschäftigt. Ring, ring, machte es, und auskunftsfreudig wie stets sprach er in die Muschel. Nur einmal, als die Sprache auf die Zuschauerzahl kam, blickte er auf. 21.000? „Davon waren mindestens 10.000 Schalker!“, krähte unverdrossen fröhlich dieser sympathische Pfiffikus. Charly fühlt! Charly hofft! Der DFB könnte Günter Eichberg zu seinem Ehrenpräsidenten ernennen. Jener dann Schalke vorübergehend neutralisieren, wegen besonderer Verdienste den Abstieg aussetzen, die Liga auf 50 Vereine aufstocken oder wenigstens Wattenscheid wegen übertriebener Langeweile die Lizenz entziehen! Charly wird immer und alles glauben, nur dem Spiegel nie. „Wir schießen jetzt gleich den Ausgleich“, wird er weiter hoffen, und wenn doch nicht gleich, dann eben ein anderes Mal. Glücklicher Charly!

FC Schalke 04: Gehrke - Güttler - Eigenrauch (75. Scherr), Linke - Luginger, Nemec, Müller, Büskens, Anderbrügge - Mulder (62. Borodjuk), Eckstein

Zuschauer: 20.000; Tore: 1:0 Knup (11.), 2:0 Walter (70.), 3:0 Walter (81.)

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