Diskussionen, die wir brauchen

Klezmer, versetzt mit Jazz, Hardcore, Punk, Funk – reden darüber inbegriffen: Die „Jewish Avantgarde Music“-Tour der New Yorker Knitting Factory unterwegs nach Europa und Israel. Mit Factory-Chef Michael Dorf sprach  ■ Elke Sasse

Mit Schtetl-Nostalgie wollen sie nichts zu tun haben – schon aus Altersgründen. Aber auch, weil Nostalgisches in New York nicht besonders gut gedeiht. Sie gehören zur urbanen Bohème, ihre Sprache ist Jazz, Avantgarde, Punk oder experimentelle Musik. Aber ihre jiddisch-osteuropäischen Wurzeln sind ihnen trotzdem wichtig – als Teil einer (neuentdeckten) Identität. Gary Lucas, Frank Londons Hassidic New Wave, die Band mit dem schönen Namen God is My Co- Pilot und das New Klezmer Trio experimentieren mit der jüdischen Tradition, die sie radikal profanen Einflüssen großstädtischer Stile aussetzen. Da bricht die Klezmer- Klarinette sich schon mal an einem Hard-Rock-Riff.

Ähnliche Zusammenschlüsse sehr unterschiedlicher jüdischer Musiker haben in New York bereits einen Namen und einen Treffpunkt: Schon zweimal veranstaltete die als alternativ-innovativer Downtown- Club mittlerweile einschlägig bekannte Knitting Factory ein „Radical New Jewish Culture Festival“. Den Namen hatte kurz vorher John Zorn eingeführt. Seinen Beitrag zum Münchener „Art Projekt Festival“ im September letzten Jahres nannte er „Radical Jewish Culture“. Er kam unter anderen mit Lou Reed und John Lurie, diskutierte mit dem Publikum über jüdische Identität und Musik und zeigte die Premiere seiner „Kristallnacht“: neun Musiker – alle mit gelbem Stern – spielten seine Suite über den 9. November 1938. Beeindruckt von der Veranstaltung, beschloß Michael Dorf, Leiter der Knitting Factory, zusammen mit Zorn und anderen Musikern, in New York ein ähnliches Festival zu organisieren. Das erste fand im Oktober letzten Jahres statt, das zweite folgte im April. Nun gehen die bisweilen wenig sanften neuen jüdischen Klänge vom 24. Oktober bis zum 12. November auf Tournee – zunächst nach Europa, dann nach Israel.

taz: Die Konzerte, die Sie in New York organisiert haben, liefen unter dem Titel „Radical New Jewish Music“, die Tour heißt jetzt „Jewish Avantgarde Music“. Was an der Musik ist „radical“, was ist „Jewish“, und was ist „Avantgarde“?

Michael Dorf: Das Wort „radical“ haben wir gestrichen, es hat zu viele negative Assoziationen geweckt.

Zum Beispiel?

Es geht ja hier nicht etwa um „Radikalität“ im Sinne von „pro- jüdisch“. Aber es ist einfach eine Tatsache, daß diese Musiker Juden sind, durch ihren kulturellen Hintergrund. Was nun daran „Avantgarde“ ist, das kann man wirklich schwer erklären – natürlich ist es leichter, wenn man die Musik hört. Es ist zum Beispiel Musik, die in der Vergangenheit ansetzt, die Elemente aus älterer Musik entlehnt und die dann neu interpretiert. Und das in einer experimentellen, nichtkommerziellen Weise. Wie etwa das New Klezmer Trio. Sie interpretieren Klezmer ganz neu, aber sie wollen gleichzeitig auch eine Kultur erhalten.

Es gibt ja eine ganze Menge jüdisch-amerikanischer Musiker, die einen starken Bezug zu ihren jiddisch-osteuropäischen Wurzeln haben, viele aber auch zu Europa, zur aktuellen Situation hier. Und es ist wohl auch kein Zufall, daß ihr mit eurem Projekt zuerst durch Europa tourt.

Wissen Sie, meine ganze Familie kommt aus Polen, ein paar aus Deutschland und andere aus Rußland – dieser Teil in Europa, wo in den letzten Jahrhunderten immer mal wieder die Grenzen wechselten. Ein Teil meiner Familie – und damit auch ich – kam dann in die USA. Wäre das nicht so gewesen, wäre ich während des Holocaust umgekommen. Für mich persönlich ist das meine Verbindung zum Judentum. Ich bin kein praktizierender Jude, und ich weiß noch nicht einmal genau, ob ich überhaupt an Gott glaube, aber kulturell fühle ich mich dem Judentum zugehörig. Wegen des Holocaust. Deshalb fühle ich mich als Jude. Und deshalb habe ich auch irgendwie eine besondere Beziehung zu Polen und Deutschland. In gewisser Weise ist das meine alte Heimat, und natürlich weiß ich, daß ich gleichzeitig vollkommen davon isoliert bin. Trotzdem fühle ich mich manchmal mehr Europa verbunden als den USA. Und ich glaube, so geht es auch vielen der Musiker. Es war so, daß viele anfingen, über ihre Identität nachzudenken und natürlich auch darüber, wie diese ihre Musik beeinflußt. Das war etwas, das für Leute wie Marc Ribot oder John Zorn wichtig wurde. Gleichzeitg waren sie angezogen von experimenteller Musik – die wiederum findet in Europa mehr Anklang als in den USA.

Die Knitting Factory hat ja deshalb inzwischen ein Büro in Amsterdam aufgemacht, und auch viele der Musiker, die dort aufgetreten sind, haben ihren Arbeitsschwerpunkt mittlerweile in Europa.

Ja, das ist ein interessantes Phänomen: Eine ganze Reihe jüdisch- amerikanischer Musiker haben in den USA Schwierigkeiten, Arbeit zu finden und arbeiten jetzt in Europa – vor allem in Deutschland.

Das heißt, sie sind auch näher dran an den europäischen „Problemen“.

Ja, diese Musiker sehen jetzt, was in Europa vor sich geht, mit dem Antisemitismus, den Problemen, die Türken jetzt haben und Ausländer überhaupt. Oder was heute im ehemaligen Jugoslawien passiert. Das ist doch unglaublich. Ich kann nicht glauben, daß so etwas heute passiert. Aber ich denke, das dachten die Leute in Deutschland vor 50 Jahren vielleicht auch: „Ich glaube das nicht, das kann nicht die Wirklichkeit sein.“ Und ich sehe auch einen engen Zusammenhang zwischen den Problemen, die Türken heute in Deutschland haben, und den Juden vor über 50 Jahren. So etwas sollte man diskutieren. Oder wie heute Palästinenser in Israel behandelt werden... Ich meine, das sind Diskussionen, die wir brauchen, und ich hoffe, diese Tour kann da ansetzen.

Sie wollen vor den Konzerten jeweils eine Stunde lang mit dem Publikum diskutieren, und Sie wollen die Diskussionen und Konzerte auch filmen. Was sind Ihre Erwartungen?

Ich habe wirklich keine Ahnung, was da auf mich zukommt, deshalb finde ich es auch sehr spannend, einen Dokumentarfilm über diese Tour zu machen. Für mich ist diese Tour ein sehr interessantes Projekt mit einer politischen und einer, man könnte sagen: philosophischen Relevanz. Und es ist neue Musik. In dem Sinne ist das eine Tour auf zwei Ebenen. Wir werden Gespräche haben, denn wir wollen diese Ebene der Kommunikation, und natürlich gibt es auch eine künstlerische Ebene. Aber das Ziel der Tour und der Idee, diese vier Gruppen spielen zu lasen, ist nicht, zu sagen: Die Wirklichkeit ist so und so und so. Es geht vielmehr darum, Fragen zu stellen, Leute zum Nachdenken anzuregen. Und ich denke, es gibt in Europa eine ganze Menge Menschen, die an so einer Auseinandersetzung Interesse haben.

Gibt es von seiten der offiziellen jüdischen Organisationen Reaktionen auf euer Projekt – oder auf die Konzerte mit „Radical New Jewish Music“ in der Knitting Factory?

Ich glaube nicht, daß wir dort als Gruppe von Künstlern bereits wahrgenommen wurden, als jüdische Gruppe. Die offiziellen jüdischen Organisationen wissen, glaube ich, weder, daß ich existiere, noch, daß es die Knitting Factory gibt. Aber es gibt sehr positive erste Reaktionen von einigen Gruppen. Die sind sehr froh darüber, daß jetzt Leute unter dem Label „Neue jüdische Musik“ nach außen gehen. Das ist doch alles sehr wenig kommerziell – und es ist experimentelle Musik. Ich glaube, das ist ganz einfach erfrischend für diese Leute.

Tourtermine:

2.11. München

3.11. Wien (WUK)

4.11. Amsterdam,

5.11. Köln (Stadtgarten)

6.11. Luzern (BOA)

7.11. Heidelberg (Universität)

8.11. Hamburg (Fabrik)

9.11. Tübingen

11.11. Tel Aviv