: Unterhaltsame Beschädigung
Die fesche Rosa, der Liebling der Saison: Johann Kresnik wirft an der Volksbühne rote Rosen auf Rosa Luxemburg – und betreibt damit die Verwandlung von Geschichte in Pop ■ Von Michaela Schlagenwerth und Peter Laudenbach
Das Timing stimmte. Pünktlich zur Selbstauflösung der RAF feierte Johann Kresnik mit seiner Hommage an Rosa Luxemburg (die in der Inszenierung immer wieder mit Ulrike Meinhof verschmilzt) die Mili-Tanten. An der Berliner Volksbühne inszenierte er, nach einem Libretto George Taboris, die muntere Rosa-Luxemburg-Revue: „Rote Rosen für Dich“.
Kresnik gab sein Bestes, seinem Ruf als harter Theaterkommunist gerecht zu werden. Provozieren kann er mit dem Ergebnis aber wohl nur noch die Berliner CDU (bei der das geplante Engagement von Kresniks Tanztheater-Compagnie an Castorfs Volksbühne in den letzten Wochen für einige Empörung sorgte). Trotz der äußerlichen Provokationsmomente ist Kresniks Inszenierung von einer seltsamen Harmlosigkeit: Just Entertainment. Der Anspruch dürfte „Trauerarbeit“ gewesen sein, ein Erinnern an die vorläufig begrabene Utopie. Was seine Inszenierung tatsächlich betreibt, ist die poppig-bunte Aufbereitung der Geschichte(n) von und um Luxemburg und Meinhof, Liebknecht und Wolfgang Grams.
Die linken Schmerz- und Kampfstars werden als Pop-Ikonen vorgeführt. Die Inszenierung beweist, daß alles, wirklich alles konsumierbar ist. Vor allem im Kontrast mit Heiner Müllers planmäßig gescheiterter „Fatzer“-Inszenierung am Berliner Ensemble wird die Fragwürdigkeit von Kresniks Arbeit sichtbar: Heiner Müller, durch dessen Inszenierung ebenfalls Rosa Luxemburg geistert, führte den Zuschauern vor, wie fremd ihnen solcher Stoff ist. Kresnik macht aus Revolution und Konterrevolution einen bunten Abend. An der Rampe prallen zwei Zeiten aufeinander: Müller verweigert der Gegenwart den voyeuristischen Blick auf die gescheiterte Revolution 1918/19 (und auf die zusammengekrachte DDR). Kresnik betreibt das Gegenteil: Er serviert uns seine Heldinnen auf dem Silbertablett.
Zum Preis der forcierten Unterhaltung gehört, daß die Szenen der Trauer, bis auf wenige Ausnahmen, vom Entertainment gnadenlos überrollt werden. Noch die Bilder der Verzweiflung werden unterhaltsam beschädigt. Zwei Beispiele für den Leerlauf: Natürlich hüpft auch Hitler durch das Geschichtspotpourri – weil Luxemburgs Ermordung als Beginn des weißen Terrors, als Vorstufe des Faschismus gelesen werden kann; vielleicht aber auch nur, weil Hitlerkarikaturen auf der Bühne so schön gruselig und lustig sind? Wir sehen einen Knaben mit Bärtchen im Matrosenkostüm, der aus einem großen Ei steigt: A Star is born. Er stolpert über einen Schweinskadaver und ruft „Schwein!“. Er stolpert über Rosa Luxemburg, die praktischerweise mit ihrem Lover in Missionarsstellung am Boden liegt und brüllt folgerichtig: „Schweine!“ Aha. Das ist also der Faschismus.
Ein anderes Beispiel: Weil sich eine kleine Kopulationsszene immer gut macht, zeigt uns Kresnik, daß Rosa Luxemburg, die im Programmzettel kumpelhaft „Rosa“ genannt wird, neben der Revolution auch andere Lieben hatte. An der Rampe wird eine sauber durchchoreographierte Nummer geschoben, die, damit nur ja keine Langeweile aufkommt, noch mit einer kleinen Tortenschlacht verziert wird. Das hat zwar mit der Geschichte nichts zu tun, sorgt aber für Gekicher im Parkett. Peinlich nur, daß als anonymer Beischläfer der gleiche Schauspieler zappelt und stöhnt, der kurz zuvor den jungen Hitler gespielt hat. Ist das ein Ausrutscher oder eine wagemutige Wiederbelebung der Totalitarismus-Theorie?
Mit einem echten „Schwanensee“ beginnt der Abend – nicht „Schwanensee-AG“ (ein frühes Kresnik-Tanztheaterstück), sondern die klassische Choreographie von Fokine mit einem sterbenden Schwan im weißen Tutu, Spitzenschuhen und Glitzerdiadem. Das kann bei Kresnik nicht gutgehen: Ein Herr von der Müllabfuhr stopft die Ballerina in eine blaue Mülltüte und schleift sie rabiat von der Bühne.
Der Vorhang geht auf für die Genossinnen, die besseres zu tun haben, als die Girls in „Schwanensee“, die bloß dumpf auf den Erlöserprinzen warten: Rosa Luxemburg und Ulrike Meinhof. Selbst ist die Frau, und Happiness ist bekanntlich a warm gun.
Die Vogel-Metapher des Anfangs zieht sich durch. Eine der vielen Luxemburg-Darstellerinnen wird mit großen metallenen Flügeln an den Armen Flugversuche starten – und nach verzweifeltem Kampf die Flügel doch nur als Krücken verwenden können. Damit liefert Kresnik die Gegenlektüre einer pathetischen Metaphorik, die Luxemburg in einen Vogel verwandelt: Ein seit Clara Zetkin („Bei Arbeit und Kampf wuchsen ihr Flügel“) und Lenin („Sie war ein Adler“) tradiertes Kitschbild der Revolutionärin.
Bei ihm verendet der „Adler“ im Maschendraht der Geschichte. Im lang ausgespielten Sterben und Zucken auf dem Boden entfaltet sich eines von Kresniks Lieblingsmotiven: Das geschundene Opfer, die Schmerzens-Ikone, die er in seinen Stücken – von „Sylvia Plath“ über „Ulrike Meinhof“ bis hin zu „Frieda Kahlo“ – ständig variiert hat.
Ein anderes Leitmotiv des Abends ist die Auferstehung der Toten: Geisterstunde. In einem Vorspiel marschiert ein Trupp Honecker-Kopien mit Hütchen und Krankenkassenbrille an die Rampe – vorbei an Seziertischen. Die DDR, die traurige Endmoräne des deutschen Sozialismus wird mit den ermordeten Revolutionären kurzgeschlossen. Dem Vorspiel folgt die Obduktion der Leichen – die Sezierer sind Kannibalen. Mit blutverschmiertem Mund, Innereien kauend, verkünden sie den Obduktionsbericht der toten Luxemburg, deren halbverweste Leiche Wochen nach ihrer Ermordung im Landwehrkanal geborgen wurde.
Unsere Leichen leben noch: Die Tote wird von einer Wiedergängerin befreit. Eine Szene genügt Kresnik, um das Ende von Ulrike Meinhofs bürgerlichem Leben vorzuführen: Sie spielt Geige – und zerschmettert das Musikinstrument für höhere Töchter nach wenigen Tönen am Bühnenportal. Sie holt die tote Luxemburg vom Seziertisch und verschmilzt mit ihr: Ineinandergeklammert kriechen sie über die Bühne. Wenn man dieses Ineinanderkopieren von Luxemburg und Meinhof ernst nimmt, ist die Frage, ob Revolution in Deutschland nur als Amoklauf möglich ist, unvermeidlich.
Die nächste Beerdigung, die nächste Auferstehung findet kollektiv statt: Der Bühnenboden wird geöffnet, Scheidemann und seine Schergen treiben die beiden Besiegten mit Stöcken ins Grab. Ihre Stimmen dröhnen dumpf aus der Gruft, bis sie vom martialischen Gehämmer der Totengräber übertönt und zum Verstummen gebracht werden. Die Leiche zerfällt, sechs Lemuren quellen aus dem Grab: Würmer, die, sich auf dem Boden krümmend, kleine Schreie ausstoßen.
Den Kreislauf ewiger Wiederkehr beschwört noch das kitschige Schlußbild. Claudia Michelsen, die Ulrike Meinhof spielt, wird hier plötzlich in „Rosa“ umgetauft. Auf dem Sektionstisch liegend, wird ihr eine blutverschmierte Puppe unterm Rock hervorgezogen, der Chor singt einen Choral aus der Matthäus-Passion; Rosa/Ulrike preßt das Püppchen an die Brust und beschmiert sich mit Blut: Der Kampf geht weiter? Die Toten bleiben jung? Die heilige Madonna der Barrikaden?
Trotz solch greller Schmerz- Metaphern ist der Grundtenor der Inszenierung derbe Komik, was – rein choreographisch betrachtet – die Qualität des Abends ausmacht. Kresnik, der hier nicht mit seinen Tänzern, sondern mit dem Ensemble der Volksbühne gearbeitet hat, gelingen großartige Gruppenchoreographien. Die Inszenierung ist wesentlich weniger fahrig als seine letzte Arbeit („Wendewut“) und von größerer formaler Geschlossenheit. Das Lachen hat Widerhaken: „Es kommt so oder so, es kommt leicht oder schwer, aber wer weiß das vorher“, singen die Honeckers in bester Sechziger- Jahre-Schlager-Seligkeit – und zucken die Schultern und wenden die Hälse.
Und dann kommt es eben so: Zur Deutschlandhymne, intoniert als flotte Marschmusik, wandern sie mit heruntergelassenen Hosen von der Bühne. Der Untergang der DDR, der Bankrott des Linksradikalismus, der Ausverkauf der Utopie als schmissige Travestie.
„Rosa Luxemburg – Rote Rosen für Dich“. Regie: Johann Kresnik. Bühnenbild: Penelope Wehrli. Weitere Aufführungen: Am 12. und 13., 20. und 21. November, jeweils 19.30 Uhr
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