: Mit Gen-Tech gegen Tollwut
Französischer Pharmakonzern will gentechnisch veränderte Viren vermarkten / Das BGA befürchtet Gefahren für Mensch und Umwelt ■ Von Wolfgang Löhr
„Tod durch Kuhpocken“. Mit diesem Titel versah das Deutsche Ärzteblatt vor fast drei Jahren eine Meldung, mit der es auf die Zunahme dieser durch Hauskatzen übertragenen Infektionskrankheit hinwies. Bisher handelt es sich noch um Einzelfälle – gefährdet sind vor allem Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Sollte sich der französische Pharmakonzern Rhône-Mérieux mit einem Genehmigungsantrag für ein neues Produkt in Brüssel durchsetzen, könnte sich das eventuell ändern. Denn das Produkt, für das Rhône-Mérieux die EG-Marktzulassung haben möchte, besteht aus lebenden Vaccinia-Viren, dem Kuhpockenerreger.
Rhône-Mérieux hat auf der Basis von Vaccinia-Viren einen genmanipulierten Lebendimpfstoff gegen die Tollwut entwickelt und möchte ihn jetzt EG-weit vermarkten. Wie der Leiter der Zulassungsstelle Gentechnik beim Bundesgesundheitsamt (BGA), Klaus Wichmann, bestätigte, ist seine Behörde in Brüssel vorstellig geworden und hat ein Veto gegen die Produktzulassung eingelegt. Für das BGA ist die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Lebendimpfstoffes nicht ausreichend nachgewiesen. Da der Impfstoff mit dem Namen Raboral V-RG in der freien Wildbahn – versteckt in Ködern für Füchse – ausgelegt werden soll, ist nicht auszuschließen, daß sich auch Haustiere mit den Vaccinia-Viren infizieren können. „Diese Tiere leben in engem Kontakt mit dem Menschen. Eine auch nur kurze Virusausscheidung der Haustiere kann daher für eine Übertragung auf Menschen ausreichen“, heißt es in einem Schreiben des BGA an die EG-Kommission. In dem Brief, der der taz vorliegt, wird zudem davor gewarnt, daß aus dem Gen-Tech-Impfstoff „in Füchsen und anderen Wildtieren Varianten mit veränderter Wirtspezifität oder höherem Gefährdungspotential entstehen“ können. Die von Rhône-Mérieux vorgelegten Daten würden nicht ausreichen, um diese Gefahr auszuschließen.
Entwickelt wurde der Lebendimpfstoff in einem Kooperationsprojekt zwischen Rhône-Mérieux, dem Forschungsinstitut Transgene und dem belgischen Wissenschaftler Professor Paul Pierre Pastoret von der Universität Liège. Sie übertrugen die genetische Information für ein Oberflächenprotein des Tollwuterregers in das Vaccinia-Virus. Tieren, die nun diese rekombinanten Vaccinia-Viren mit der Nahrung aufnehmen, soll damit ein Impfschutz gegen Tollwut verliehen werden. Der Lebendimpfstoff, über dessen Marktzulassung jetzt entschieden werden muß, hat bereits eine skandalträchtige Geschichte hinter sich: Zum erstenmal in die Schlagzeilen der Weltpresse gelangte er, nachdem durch eine „Indiskretion“ bekannt wurde, daß Wissenschaftler der Pan American Health Organization (PAHO), einer Unterorganisation der WHO, diesen Impfstoff 1986 illegal auf einer argentinischen Versuchsfarm an Rindern getestet hatten. Empörung rief nicht zuletzt die Tatsache hervor, daß die Arbeiter, die die Tiere auf der Farm versorgten, in die Experimente mit eingeplant waren. Es sollte überprüft werden, ob sie sich mit den Vaccinia-Viren infizieren konnten. Weitere Freisetzungsexperimente folgten: 1987 auf einem militärischen Sperrgebiet in Belgien. Ein Jahr später fand dann ebenfalls in Belgien das erste großflächige Experiment statt: In einem Gebiet von 435 Quadratkilometern wurden 6.500 mit den rekombinanten Viren präparierte Köder ausgelegt. 1990 testeten Wissenschaftler die rekombinanten Viren an Waschbären auf einer unbewohnten Insel an der Ostküste der USA, von 1989 bis 1990 wurden dann Experimente in Frankreich durchgeführt. Dort legte man mit finanzieller Unterstützung der EG über 500.000 präparierte Köder aus. Gegen eine EG-weite Marktzulassung des rekombinanten Impfstoffes hat nach Darstellung von Wichmann das BGA als einzige der beteiligten Behörden Sicherheitsbedenken erhoben. Entscheiden wird jetzt ein Expertengremium bei der EG- Kommission. Im Falle einer positiven Entscheidung wird dann der Handel mit den rekombinanten Viren in allen EG-Mitgliedsstaaten zulässig sein.
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