■ Nordirland nach einer beispiellosen Woche der Gewalt: Wie könnte ein Runder Tisch aussehen?
Die Regierungen in London und Dublin behaupten, daß sie das Recht auf eine Lösung des nordirischen Konflikts gepachtet haben. In Anbetracht der Tatsache, daß ihnen das in den vergangenen 25 Jahren – in denen mehr als 3.100 Menschen getötet worden sind – nicht gelungen ist, erscheint diese Behauptung erstaunlich. Auch der neue offizielle Plan enthält nichts als heiße Luft: Wenn die IRA der Gewalt für immer entsagt, darf ihr politischer Flügel Sinn Féin an den Verhandlungen teilnehmen, deren Ergebnis freilich durch das unionistische Vetorecht vorbestimmt ist.
Dieser „Plan“ ist von vornherein zum Scheitern verurteilt – und das wissen sowohl Major als auch Reynolds. Der IRA-Waffenstillstand von 1975 führte dazu, daß die Organisation vom britischen Geheimdienst unterwandert und fast zerschlagen wurde. Deshalb ist es klar, daß die IRA heute – sie ist besser ausgerüstet denn je – einen Waffenstillstand nur dann eingehen wird, wenn die britische Regierung erhebliche Zugeständnisse macht. Dazu ist diese aufgrund ihrer innenpolitischen Schwäche jedoch nicht in der Lage, weil sie bei fast allen Parlamentsentscheidungen auf die Stimmen der nordirischen Unionisten angewiesen ist.
Eine dauerhafte Konfliktlösung in Nordirland ist nicht denkbar, solange Sinn Féin/IRA und protestantische Paramilitärs von den Gesprächen ausgeschlossen bleiben. Die gebetsmühlenhaft wiederholten Versicherungen, daß man nicht mit Terroristen verhandele, klingen hohl, wenn man die Uhr ein paar Jahre zurückdreht: In den siebziger Jahren hat die britische Regierung die Führungsspitze der IRA zu Verhandlungen nach London einfliegen lassen. Und die IRA war damals keineswegs gewaltfrei. Es ist also keine Frage der Prinzipien, sondern eine Frage der politischen Opportunitäten.
Die These, daß bei einem britischen Rückzug aus Nordirland unweigerlich ein Blutbad geschehen würde, ist ebenfalls nicht zwingend. Die Militanz der protestantischen Organisationen war immer dann am größten, wenn sie die britische Regierung und ihre Armee hinter sich wußten. Dagegen haben sie sowohl die Auflösung der protestantischen Nordirland-Regierung als auch das anglo-irische Abkommen von 1985, das Dublin ein eingeschränktes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten einräumen sollte, letztlich hingenommen, wenn auch eine Zunahme der Aktivitäten protestantischer Paramilitärs zu konstatieren ist. Die Unionisten sind exakt so stark, wie die britische Regierung sie deckt. Und die IRA ist so stark, wie die britische Regierung sich dem unionistischen Veto fügt.
Ralf Sotscheck, Dublin
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