Freihandel? – Im Prinzip ja

Sogar in Mexiko klingen die Regierungsäußerungen zur Nordamerikanischen Freihandelszone (Nafta) wie von Radio Eriwan  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Ab 1. Januar soll ganz Nordamerika eine riesige Freihandelszone sein – eigentlich. Denn ob der Nafta-Vertrag, der Kanada, die USA und Mexiko zum größten Binnenmarkt der Welt machen wird, rechtzeitig ratifiziert wird, ist höchst ungewiß. Die Spielverderber sitzen erwartungsgemäß weder im mexikanischen noch im kanadischen Parlament, sondern im US- Kongreß. Wenn nicht mindestens 218 der 435 Abgeordneten bis zum „Thanksgiving-Day“ am 25. November ihr Votum für Nafta abgegeben haben, wird der Start zunächst abgeblasen werden.

Bisher haben sich gerade mal 50 demokratische und 110 republikanische VolksvertreterInnen von den Vorteilen der „historischen Chance“ (Clinton) überzeugen lassen. Auch die Zusatzabkommen zu Umwelt- und Arbeitsschutz, die von den US-Demokraten als Bedingung verlangt worden waren, haben an der Ablehnung der Clinton-Partei nichts geändert.

Die mexikanische Regierung, einst uneingeschränkte Befürworterin des freien Handels mit den nördlichen Nachbarn, bereitet sich bereits auf ein Scheitern vor. Zwar werde bei Nichtratifizierung von Nafta „die Chance für ganze Generationen vergeben“, und die amerikanischen Ökonomien gingen in Protektionismus und Wachstumseinbrüchen unter, so Salinas, dennoch sei Nafta für Mexiko „keinesfalls die einzige Option“. Die Drohung unterstützt eines der Hauptargumente der gegenwärtigen US- Debatten. Sollten es nicht die USA sein, die den Pakt mit Mexiko eingehen, versichert warnend Bill Clinton, stünden genügend andere Bewerber aus Asien und Europa bereit.

In deutschen Unternehmerkreisen – wie die BASF-Gruppe, die stolz ist, nicht „denselben Fehler wie die mexikanische Regierung“ gemacht zu haben und deren Expansionspläne in Mexiko „mit und ohne Nafta“ vorangehen – geht man derzeit davon aus, daß die mexikanische Regierung sich längst auf eine Verzögerung der nordamerikanischen Freihandelszone vorbereitet. Wie ein BASF-Funktionär „im Vertrauen“ äußerte, würden derzeit sogar an die 30 Milliarden Dollar aus den Privatisierungseinnahmen auf den Konten der Interamerikanischen Entwicklungsbank zurückgehalten, um bei Nichteintritt von Nafta verstärkt in das Geschäft mit den südlichen Nachbarn zu investieren.

Das schon vor Jahren gegründete Mexikanische Aktionsnetzwerk gegen den Freihandel nutzt die Gunst der Stunde, um seine Argumente gegen das neoliberale Lieblingsprojekt von Salinas an den Mann zu bringen. Der gegenwärtige Wirtschaftskurs habe die Außenverschuldung in bislang unbekannte Höhen getrieben, 60 Prozent der Klein- und Mittelunternehmen stünden an der Schwelle zum Bankrott, und 65 Prozent der Kleinstunternehmen mußten in diesem Jahr wegen Mangels an Krediten schließen.

Nafta-Kritiker in den USA sehen die Bilanz der mexikanischen Wirtschaftspolitik durchaus kritisch. Jeff Faux, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik, glaubt, daß ein Großteil der Handelsvorteile, die die US-Regierung aus der Marktöffnung Mexikos errechnet, nicht etwa fallenden Zöllen, sondern der anhaltenden Überbewertung des Peso zu verdanken ist. Mit einer massiven Abwertung sei spätestens nach den mexikanischen Präsidentschaftswahlen 1994 zu rechnen, weil der starke Peso aus politischen Erwägungen aufrechterhalten werde. Außerdem, so die offen protektionistische Position des Ökonomen Faux, besteht der Exportüberschuß der USA vor allem aus Investitionsgütern, die über kurz oder lang zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Konsumgüterindustrie in Mexiko dienen – unerwünschte Konkurrenz auf dem eigenen Markt.

Aus derselben freihandelsfeindlichen Warte wird den Mexikanern vorgeworfen, sie betrieben bewußt unlauteren Wettbewerb, da sie trotz durchaus vergleichbarer Produktivitäten – laut Institut für Wirtschaftspolitik 80 bis 100 Prozent der US-Produktivität – nur zehn bis 15 Prozent des US-Lohns zahlen. Gegenwärtig verdient ein US-amerikanischer Industriearbeiter im Schnitt 16 Dollar die Stunde, während seine mexikanische Kollegin auf etwas über zwei Dollar kommt.

Ihr entschlossenes no pasera dürfte so ziemlich der einzige gemeinsame Nenner der US-amerikanischen Nafta-Gegner sein. Das ungewöhnliche Spektrum reicht von konservativen Protektionisten wie Ross Perot, der sich vor allem um den Verfall von Wohlstand und Werten der amerikanischen Mittelklasse sorgt, über Gewerkschafts- und Umweltorganisationen bis zu radikalen Menschenrechtlern. Nicht selten ist ihr stereotypes, wenn auch nicht ganz unbegründetes Bild vom ewig armen, gesetzlosen, drogenhandelnden und korrupten Mexiko, in dem weder Umwelt- noch Arbeitsvorschriften beachtet werden, von rassistischer Gringo-Überheblichkeit geprägt.

Diese Tendenz zur Bevormundung zwingt die mexikanische Opposition, die ja durchaus auch Niedriglohnpolitik und Demokratiedefizit bemängelt, zu einer delikaten Gratwanderung zwischen Regierungs- und Nafta-Kritik einerseits und Verteidigung der nationalen Souveränität andererseits.

Ein Beispiel für diesen Balanceakt waren die Verhandlungen um die Parallelabkommen zu Umwelt- und Arbeitsschutz, die im August abgeschlossen wurden. Knackpunkt des monatelangen Streits um die Verträge war die Möglichkeit, bei Verstößen gegen geltende Umwelt- und Arbeitsgesetze durch eine trilateral besetzte Kommission Sanktionen zu verhängen. Beide kleineren künftigen Nafta- Partner hatten sich dieses US-amerikanische Ansinnen ursprünglich als Angriff auf ihre Souveränität verbeten. Während Kanada sich aber einen Ausnahmestatus erhandeln konnte, mußte Mexiko klein beigeben.

Sollte Nafta tatsächlich Wirklichkeit werden, so kann ein Land künftig bei Streitfragen ein gemeinsames Schiedsgericht anrufen, das bei Nichtbefolgung seiner Empfehlungen der illegal agierenden Nation Geldbußen und Handelssanktionen, wie beispielsweise Sonderzölle, bis zu 20 Millionen Dollar auferlegen kann. Dagegen hatten Kritiker in allen drei Ländern erfolglos darauf gedrängt, etwaige Sanktionen nicht den Ländern, sondern den verantwortlichen Unternehmen aufzuerlegen.