„... nicht mehr so sexy wie früher“

Geschlechterdemokratie in den 90er Jahren: Eine Tagung über die Sündenfälle des Feminismus, künftige Kooperationen mit Männern und die Perspektiven engagierter Frauenpolitik  ■ Aus Hannover Petra Brändle

Geschlechterdemokratie – ist das das neue Zauberwort der feministischen Bewegung? Ist es das Codewort für neue Entwicklungen, gar die Gleichstellung der Geschlechter? Halina Bendkowski, feministische Männerforscherin und stolze Erfinderin dieses „Wortungetüms“, will mit ihrem Schlagwort die feministische Bewegung vitalisieren: „Wir müssen die Männer zwingen, Antworten zu geben auf die Probleme des Geschlechterkonflikts“, ist ihre Maxime. Warum also nicht Volkshochschulkurse für Männer „zwecks Beibringung von Kultur“? Scharfzüngig lag die Berliner Soziologin damit auf dem Kurs der niedersächsischen Frauenministerin Waltraud Schoppe und von Dörthe Jung vom Frankfurter Büro für frauenpolitische Forschung und Beratung. Die beiden Organisatorinnen der Hannoveraner Tagung „Geschlechterdemokratie in den 90ern“ skizzierten am Samstag eine notwendige Kursänderung der Frauenpolitik. Angesichts der weltweiten Rezession und schwindender Aussichten auf eine Umgestaltung der Gesellschaft, wie sie in den 80ern noch machbar schien, erweiterten sie die Strategien frauenpolitischer Arbeit um das Element der selbstbewußten, offensiven Kooperation mit Männern. Darin sehen die Veranstalterinnen kein feminstisches Zurückweichen, sondern eine notwendige Offensive, um das wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und soziale Leben geschlechterdemokratisch umzugestalten. Sie wollen nicht weiter auf gnädige Donationen der Frauenförderung, also Quoten und staatliche Unterstützung für feministische Projektarbeit allein angewiesen sein. Wenn es in den 90ern darum geht, „mehr Frauenpolitik mit weniger Geld zu machen“, so Gisela Erler, Unternehmungsberaterin und Forschungsbeauftragte beim Kinderbüro München, so brauche es aggressive Verhandlungen mit Männern. „Auch wenn ich weiß“, bemerkte Waltraud Schoppe, „daß die Verhandlungen nicht aufs erste Mal erfolgreich sein werden.“

Wo aber die Bündnisse am besten suchen? Ganz einfach: „An den Orten unbedrohter Männlichkeit“, rät Renate Krauß-Pötz, Leiterin des Frauenreferats Frankfurt, und will die Frauen dazu direkt in die Chefetagen schicken, wo sich so schnell kein Mann als Handlanger feministischer Organisationen fühle. Ein Lächeln im Publikum, viel diebische Freude über den raffinierten Winkelzug, doch auch Skepsis war unter den rund zweihundert Zuhörerinnen. Ob denn die feministische Arbeit tatsächlich in einer Krise stecke oder ob eine solche nur herbeigeredet werde, um von der autonomen Linie abzurücken, gab eine zu bedenken. Halina Bendkowski setzte mit einem Verweis auf Amerika dagegen. Dort habe die Frauenbewegung durchaus in der Kooperation mit Männern gewonnen. Als „Sündenfall“ – und hier kritisiert sie sich auch selbst – betrachtet Bendkowski inzwischen die ablehnende Haltung gegenüber gesetzlich verankerter und institutionalisierter Frauenförderung.

Auch wenn die Zeit für Bilanzen und Zukunftsentwürfe auf der Tagung knapp war, für Selbstkritik fanden die Rednerinnen immer genügend Zeit. Vor allem das „typisch Deutsche“ der Frauenbewegten stand am Pranger. Waltraud Schoppe kritisierte die mehrfach „ausgrenzende Haltung“ von Feministinnen gegenüber farbigen Frauen, Frauen aus den neuen Bundesländern, aber auch gegenüber Frauen, für die die Familie und Männerbeziehungen eine größere Bedeutung haben.

Adrienne Goehler, Direktorin der Hamburger Kunsthochschule, setzte dieser Selbstkritik mit bekannt lustvoller Provokation die Krone auf: „Typisch deutsch“ sei, sich „turnusmäßig Asche über das Haupt zu streuen“. Keine Lust mehr auf die zu „rückwärts gerichtete Selbstanklage“, polterte sie und traf sich in diesem Punkt höchstens ein einziges Mal mit ihrer Podiumskontrahentin Karin Walser. Während die Sozialwissenschaftlerin aus Frankfurt zur Weiterentwicklung den „innerfraulichen Diskurs“ zur Profilierung forderte, biß sich Adrienne Goehler seit 1989 im mühsamen (und unerwünschten) Alleingang durch die Männerinstitution Kunsthochschule. Mit einem höheren Frauenanteil in den Institutionen sei noch nicht viel geändert, meinte Goehler – viele Frauen stiegen erst auf, wenn sie sich offiziell von feministischen Ideen lossagten. Dazu brauche es schon eine (feministische) Wurzelbehandlung der Institutionen. „Typisch deutsch“ sei auch, so ihre Kritik, daß die Differenzen innerhalb der Frauenbewegung nicht endlich anerkannt und ausgehalten würden. „Keine Frau ist jede Frau“, heißt deshalb Dörthe Jungs Slogan für die 90er Jahre, um die Unterschiede ins Zentrum des Bewußtseins der Frauenbewegung zu rücken.

Insgesamt bot die Hannoveraner Tagung heiße Diskussionen um die Eckpfeiler equality und diversity, autonome und institutionalisierte Frauenpolitik. Gesucht wurden neue Ansätze, Frauen in Zeiten der Entlassungen stärker ins Erwerbsleben zu integieren, aber auch Modelle des gesplitteten Familieneinkommens – so befand frau die Viertagewoche bei VW bei entsprechender Gestaltung als einen ersten Ansatzpunkt. Allein, und das sprach nur Halina Bendkowski an, der Nachwuchs macht Sorgen! Junge Frauen wollten nichts wissen vom Feminismus. „Wir sind in die Jahre gekommen, wir sind nicht mehr so attraktiv und sexy wie früher.“ Mitten im Rollback hat Halina Bendkowskis Ironie doch etwas von stürmischer Frische – hätte doch jede Frau ein bißchen von ihr, und von Adrienne Goehler.