piwik no script img

„Die breite Masse kennt uns kaum“

■ Friedensgruppen in Serbien und Kroatien stiften vorsichtig neue Kontakte / Trotz schmaler personeller Basis arbeiten PazifistInnen auf beiden Seiten der Front

„Zusammenarbeit? Das hier ist unsere Zusammenarbeit.“ Spöttisch zeigt Zorica Trifunović vom Anti-Kriegs-Zentrum Belgrad auf den Monitor in ihrem Büro. Neben persönlichen Kontakten und gelegentlichen Treffen im Ausland ist „E-Mail“ – der Datenaustausch zwischen Computern über Telefonleitungen – die einzige Möglichkeit für serbische und kroatische FriedensaktivistInnen, regelmäßig Informationen auszutauschen.

Gerade deshalb setzen beide Seiten große Hoffnungen auf ein Pilotprojekt, das gerade in Pakrac anläuft. Die Stadt an der Grenze zwischen Kroatien und der „Serbischen Republik Krajina“ war vor dem Krieg von 46 Prozent Serben und 36 Prozent Kroaten bewohnt. Jetzt steht sie zur Hälfte unter serbischer beziehungsweise kroatischer Kontrolle.

Mit Unterstützung der UNO sollen Freiwillige aus dem In- und Ausland nun den BewohnerInnen der geteilten Stadt beim Wiederaufbau helfen – ein erster Versuch, den Dialog zwischen den verfeindeten Parteien wiederherzustellen. „Wir müssen sehr vorsichtig an die Sache herangehen, weil beide Seiten das Projekt jederzeit fallenlassen können“, erklärt Vesna Janković von der Anti-Kriegs-Kampagne (ARK) Kroatiens. So wurde im Herbst 1992 der Bürgermeister des serbischen Teils Pakracs abgelöst, nachdem er sich in einer kroatischen Zeitung positiv zur Zusammenarbeit geäußert hatte. Die HelferInnen aus Serbien dürfen nicht ohne weiteres in die Krajina einreisen, so daß die konkrete Arbeit auf die kroatische Stadthälfte beschränkt bleibt.

Neben dem Krieg gibt es noch andere Probleme

Mitunter mißbrauchen die jeweiligen Machthaber die Anti-Kriegs- Kampagnen. So besuchte im Juni eine Delegation des Deutschen Bundestages unter anderem auch das Verteidigungsministerium in Zagreb. Auf die Frage eines Abgeordneten nach dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung hielt ein Regierungsvertreter eine ARK-Broschüre hoch und sagte: „Sehen Sie, wir haben sogar eine Anti-Kriegs-Kampagne.“

In ihrem politischen Selbstverständnis sehen sich die Friedensinitiativen unabhängig von Parteien und Staat: „Wir wollen nicht nur als Friedensgruppe arbeiten. Schließlich haben wir neben dem Krieg noch andere Probleme, wie den Übergang von einer sozialistischen Gesellschaft in eine Art pluralistische Demokratie. Die kann es nur geben, wenn sich auch Leute in Bürgerbewegungen von unten organisieren.“

Zorica Trifunović sieht das genauso. Und wie ihre KollegInnen im kroatischen Zagreb spricht sie sich eindeutig gegen die Interventionspläne zur Beendigung des Krieges in Ex-Jugoslawien aus: „Solch ein Eingreifen ist keine politische Perspektive. Mit einem größeren finanziellen und personellen Engagement der UNO scheinen uns die Probleme eher lösbar.“

Neben der Arbeit in Kriegsgebieten befaßt sich die kroatische Friedensbewegung gegenwärtig mit der Dokumentation von Repressionen gegen Minderheiten, besonders gegen die in Kroatien lebenden Serben. Diese bekommen oftmals keinen „Staatsbürgernachweis“ und sind daher bei der Arbeitsplatz- und Wohnungssuche benachteiligt.

Probleme haben auch Familien, die in Wohnungen der ehemaligen Bundesarmee wohnen. Dort sollen nun vor allem kroatische Armeemitglieder mit ihren Angehörigen einziehen.

Die Betroffenen haben sich im Frühjahr 1993 mit Unterstützung der ARK zu einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen. Arbeitsgruppen zu Menschenrechtsfragen, Friedenserziehung, gewaltfreier Konfliktlösung und praktischer Flüchtlingshilfe sind in der serbischen und kroatischen Friedensbewegung gleichermaßen aktiv. Teilweise bestanden diese Gruppen schon vor dem Krieg, bekamen seitdem verstärkt Zulauf von Leuten, die bisher nicht engagiert waren. Trotzdem ist die Zahl der Aktivisten klein: Die ARK hat etwa 300 Mitglieder, schätzt Vesna Janković. Sieben von ihnen arbeiten in Zagreb als Hauptamtliche auf Honorarbasis.

Konkrete Projekte durch Sanktionen behindert

So ähnlich sich die Projekte der serbischen und kroatischen Friedensbewegung sind, so unterschiedlich sind die Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Da über Kroatien keine Sanktionen verhängt wurden, können sich ausländische Helfer ohne weiteres an Workshops oder Aktionen der Initiativen beteiligen. Freiwillige können während ihrer Arbeit im Zagreber „Peace Hotel“ leben. Die kroatische Bewegung finanzierte von Anfang an ein Netzwerk internationaler Gruppen. Inzwischen erhält die ARK sogar Unterstützung aus EG-Fonds.

Zwar erhält auch das Belgrader Anti-Kriegs-Zentrum Spenden aus dem Ausland, doch konkrete Projekte werden durch die Sanktionen oft behindert. Ausländische Freiwillige aufzunehmen ist wegen Schwierigkeiten mit Visa und Unterkünften kaum möglich. Oft scheitert auch die Flüchtlingsberatung in ablegenen Camps, weil die Helfer das teure Benzin nicht bezahlen können.

Deshalb beschränkt sich die Arbeit des Belgrader Anti-Kriegs- Zentrums hauptsächlich auf Belgrad und Umgebung. Um in möglichst vielen Städten Anhänger zu gewinnen und Sympathisanten zu vernetzen, informieren das Bulletin Glas (Die Stimme) und das Zagreber Magazin Arkzin regelmäßig über Aktivitäten, Gruppen und unterdrückte Nachrichten.

Zorica Trifunović und Vesna Janković, die Chefredakteurinnen der Zeitungen, wirken eher resigniert, wenn sie über die Resonanz der Friedensbewegungen berichten: „Ein paar Leute sind für uns, ein paar sind gegen uns, doch die breite Masse kennt uns kaum oder steht uns gleichgültig gegenüber.“ Tobias von Heymann/Jana Meyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen