: Wozu das Ganze?
■ Gespräch mit Krzysztof Kieslowski anläßlich des Filmstarts von „Drei Farben: Blau“
taz: In Ihren Filmen regiert der Zufall. Zu Beginn von „Blau“ rollt ein Ball in den Farben der Trikolore aus dem Unfallauto und verschwindet langsam aus dem Bild. Zufall oder Einstimmung auf Ihre Trilogie zu den Idealen der Französischen Revolution?
Krzysztof Kieslowski: Diese Sequenz spiegelt gar nichts wieder. Es ist ein absoluter Zufall. Ich habe gar nicht gewußt, daß der Ball da im Kofferraum lag. Wie Sie wahrscheinlich wissen, wird ein Auto für eine Filmszene entsprechend präpariert. Die Szene muß glaubwürdig wirken, deshalb haben meine Mitarbeiter mehrere Sachen in das Auto gestopft. Als wir dann den Unfall drehten, rollte der Ball aus dem Wagen. An diesem Tag war es sehr windig, und der Ball war äußerst leicht, der Wind ließ ihn rollen. Da dachten wir, das sitzt. Später, bei den Wiederholungen, mußte dann immer ein Assistent den Ball anschubsen.
Sie haben mal gesagt, ein Film sei wie ein Fußballspiel. Welche Rolle spielen Sie dabei, den Torwart, den Schiedsrichter...?
Keine. Als ich diesen Vergleich zog, hatte ich nur eins im Sinn: daß beide Spektakel sind. Außerdem ist es ein Ausdruck meiner Vorliebe für Serien. So wie es in jedem Fußballspiel einen Ball gibt, werden sich auch in der Trilogie bestimmte Elemente wiederholen, die wie ein Ball weitergegeben werden, mit dem man dribbelt. Ich mache das vor allem für die Kinozuschauer und Kritiker, damit sie ihren Spaß beim Wiedererkennen der einzelnen Motive haben.
Ist es nicht ein bißchen einfach, der Trikolore die politische Dimension zu nehmen, um ihre Ideale überhaupt getrennt untersuchen zu können?
Historisch gesehen gibt es natürlich diese politische Dimension, aber darüber wurde schon so viel geredet. Ich denke, wenn man diese Dinge aus einer persönlichen Sicht betrachtet, kann man sie zerschneiden.
Wenn Julie ihre Mutter im Altersheim besucht, sitzt diese vor dem Fernseher und sieht Leuten beim Bungee-Springen zu...
...in meinem Film gibt es ganz viele solcher Szenen, die meisten sind rausgeflogen. Ich habe in der letzten Zeit die Erfahrung gemacht, daß überall, wo ich den Fernseher einschalte, ob in den Staaten oder in Japan oder sonstwo, Menschen zu sehen sind, die zum Spaß ihr Leben riskieren. Ich weiß gar nicht, woher das kommt und frage mich, weshalb Menschen heutzutage überall runterspringen, hochklettern und sich tödlichen Gefahren aussetzen wollen. Deshalb gibt es im Film auch mehrere Fernsehapparate, wo springende oder kletternde Leute zu sehen sind.
Ich sah das Bungee-Springen eher als Metapher für Julies Situation. Sie versucht sich von ihrer Vergangenheit zu lösen, wird aber immer wieder von ihr eingeholt.
Gewiß stimmt dieser Hintergedanke, überhaupt könnte man die Freiheit auch so definieren: als einen Tiefen- oder Höhenflug mit einem solchen Strick. Man darf nicht allzuweit gehen mit der Freiheit, ansonsten verliert man jenen Strick, der uns mit dem Leben verbindet. Aber wer weiß, vielleicht ist es erst die echte Freiheit, jene Bande, jenen Strick zu durchschneiden. Die Protagonistin versucht das ja auch, aber der Faden hält dennoch, er zieht sie immer wieder nach oben.
Sie bezeichnen sich selbst als Atheisten, dennoch sind Ihre letzten Filme von einem fast religiösen Pathos durchdrungen. Es scheint, als seien Sie ständig auf der Suche nach einer höheren Macht, die unser Schicksal strukturiert.
Ich gehe mit meinen Filmen auf Forschungsreise, nicht auf Entdeckungsreise. Ich glaube nicht, daß ich bisher irgendetwas entdeckt habe. Ich glaube, ich stelle Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Deshalb finde ich sie so spannend.
Welche Fragen?
Wozu das Ganze? Wie soll ich leben? Wozu soll man am frühen Morgen aufstehen? Welchen Auftrag haben wir? Warum bringen wir Kinder zur Welt? Sehr einfache Fragen, deshalb sind die Antworten so kompliziert. Interview: Anke Leweke
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