Verlierer sind die Kroaten Bosniens

Bosnische Armee erobert Kroatenenklave Vareš / Katholischer Erzbischof hatte schon im Juni vor einer Eskalation des kroatisch-muslimischen Krieges in Zentralbosnien gewarnt  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Der bosnischen Armee ist es gestern gelungen, die Verteidigungslinien der kroatisch-bosnischen Streitkräfte bei Vareš zu durchbrechen und die Stadt einzunehmen. Nach Informationen der britischen Nachrichtenagentur Reuters drangen am Donnerstag mittag Soldaten der bosnischen Armee in das Stadtzentrum ein. Nach Angaben des kroatischen Rundfunks soll es sich dabei um Mitglieder der 7. Brigade gehandelt haben. In der 7. Brigade sind die ausländischen Freiwilligen aus islamischen Ländern konzentriert.

Nach Informationen des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) sind die meisten der 20.000 kroatischen Bewohner der Stadt Vareš geflohen und von der HVO in die Nähe der von Kroaten gehaltenen Stadt Kiseljak gebracht worden. Da in die ursprünglich 22.000 Einwohner zählende Stadt in den letzten Monaten kroatische Familien aus der umliegenden Region gekommen waren, könnte die Zahl der kroatischen Flüchtlinge, die nun die Stadt verlassen haben, jedoch noch höher sein. Die HVO erklärte darüber hinaus, daß die umliegenden kroatischen Dörfer Tribinje, Pogar, Borovica und Ivancevo von den bosnischen Truppen zerstört worden seien. Seit gestern seien die Kommunikationslinien zusammengebrochen.

Die mehrheitlich von Kroaten bewohnte Region um Vareš – 41 Prozent Kroaten, 30 Prozent Muslime, 16 Prozent Serben und 13 Prozent Jugoslawen – war seit dem 15. Juni 1993 von bosnischen Truppen belagert. An der südöstlichen Seite der Enklave befand sich zudem eine Frontlinie mit den serbischen Truppen – wo jetzt offenbar der Rückzug der HVO und der kroatischen Bevölkerung vonstatten ging. Nach dem Ultimatum des selbsternannten Präsidenten der kroatischen Republik „Herceg- Bosna“ vom 15. April, sich den kroatischen Truppen zu unterstellen, war es auch in der Region um Vareš zu Spannungen zwischen Kroaten und Muslimen gekommen. Sie eskalierten mit der Verschärfung des Krieges zwischen HVO und Bosnischer Armee um die herzegowinische Hauptstadt Mostar Anfang Mai.

Zwar versuchten die katholischen Franziskaner und die religiösen Führer der Muslime gerade in der Region um Vareš die Spannungen zu mindern, seit jedoch die Kroaten der nahe Zenica gelegenen Stadt Kakanj im Juni nach Vareš geflohen waren, entluden sie sich zunehmend in bewaffneten Scharmützeln. Die innerhalb der kroatischen Enklave um Vareš lebenden Muslime wurden zum großen Teil zur Flucht gezwungen. Erst vorige Woche hatte die kroatische HVO 52 Häuser des muslimischen Dorfes Stupni Do zerstört und ein Massaker unter der Bevölkerung angerichtet.

Schon im Juni hatte der Erzbischof von Sarajevo vor einer Eskalation der Konflikte zwischen Kroaten und Muslimen in Zentralbosnien gewarnt. An die Adresse der kroatischen Extremisten der Westherzegowina gerichtet, hatte der Erzbischof auf die tausendjährige Tradition der Toleranz der Kroaten Zentralbosniens hingewiesen. Die Zerstörung dieser Tradition wäre ein Verlust für das gesamte Kroatentum. Schon damals befürchtete der Erzbischof, daß mit einer Eskalation des Krieges in Zentralbosnien die Kroaten der Region die größten Verlierer des Krieges sein könnten.

Die politischen Führer der Kroaten Zentralbosniens haben sich in den letzten Monaten immer wieder zu Bosnien bekannt. Sie seien zuerst Bosnier und erst zweitens Kroaten, hatten auch einige der Redner, die auf der „bosnischen Versammlung“ Anfang Oktober in Sarajevo über den Genfer Teilungsplan diskutierten, betont. Wie die letzten Ereignisse zeigen, scheint es der westherzegowinischen Führung gelungen zu sein, die lokale HVO auf ihren Konfrontationskurs festzulegen. Andererseits scheint das Vorgehen der bosnischen Armee anzuzeigen, daß die muslimisch-nationalistischen Kräfte in ihr die Strategie bestimmen.