Italiens Liga, das unbekannte Wesen

■ Ein neues Buch will Klarheit über die norditalienischen Antizentralisten schaffen

Eigentlich ist den ItalienerInnen und selbst „Liga“-Mitgliedern bis heute nicht so ganz klar, was diese Volksbewegung der Lombarden, Piemontesen, Veneter und Ligurier darstellt. Dem soll nun ein neues Buch, soeben in deutscher Sprache (übersetzt von Hans Mayr) erschienen, Abhilfe verschaffen: „Die Lega. Italien in Scherben“ ist der Titel, geschrieben vom Bozener Journalisten Toni Visentini (Corriere della sera, La Repubblica, Il mattino dell' Alto Adige).

Die Ligen wurden, speziell im Ausland, aber auch in Italien selbst, lange Zeit entweder für ein vorübergehendes Phänomen gehalten, Ausdruck einer temporären Mißstimmung gegenüber Fehlentscheidungen der römischen Regierung. Oder sie wurden als rassistische, egoistische Gruppen abgetan, die mit dem Feuerchen des Separatismus spielen, um der römischen Zentrale Steuern zu entziehen oder mehr Zuwendungen abzutrotzen. Tatsächlich war beides eine völlige Fehleinschätzung.

Umberto Bossi, ein gescheiterter Medizinstudent und vor zehn Jahren eher zu den Politspinnern gezählt, schwamm vor fünf Jahren nach oben – damals noch ohne konkretes Programm, aber mit dem Charisma dessen, der eine sich immer mehr verbreitende Stimmung ausdrückte: Die Regierung vereinnahmt über Steuern das im reichen Norden erworbene Geld und kauft sich über Subventionen und Klientel-Bedienung im Süden Wählerstimmen. Der Norden sieht sich bedroht von allerlei illegaler Konkurrenz – die Industriearbeiter von den Billiglohn- Süditalienern, der Kaufmannsstand durch ambulante Händler aus Afrika und Asien, die Industrie durch mangelnde Fürsorge des Staates gegen ausländische Konkurrenten. Fremdenfeindlichkeit mischte sich so in eine seit jeher bestehende Rivalität zwischen Mailand und Rom über die Führung der Nation. Am Ende gewann die „Lega lumbard“ schon in den späten achtziger Jahren im Norden bis zu einem Viertel aller Rathaussitze. Mittlerweile wird sie bereits als künftig stärkste Partei des Parlaments gesehen. Der Name „Lega“, den sie sich in Anlehnung an die antikaiserlichen Städtebünde Oberitaliens im 12. Jahrhundert gegeben hat, ist so zum Schreckgespenst der Altparteien geworden, die unterschiedslos Wähler an die Neuen verlieren.

Doch die Bewegung ist mittlerweile auch zum Fragezeichen für die künftige Einigung Europas geworden. Die Möglichkeit einer Sezession des nördlichen Italien steht als Menetekel an der Wand – erstes Zeichen des Zerfalls eines EG- Landes? Visentini versucht zu belegen, daß es so wild nun doch wieder nicht ist, daß die „Liga kein zweites Jugoslawien aus Italien machen“ will. Das Buch geht die verschiedenen Phasen der Entwicklung innerhalb der Bewegung durch, zeigt aber vor allem die Mutationen Bossis, des unumstrittenen „Leaders“ der Antiparteiengruppierung. Eine sicherlich gespaltene Persönlichkeit, wie der Mailänder Leitartikler Giorgio Bocca betont hat: „Der eine, der Bossi der Marktplätze und Fernsehauftritte, ist ein unerträglicher Schreihals und Phrasendrescher, der oft nur auf die Wirkung im Publikum zielt, nicht aber den Nachhall in der Öffentlichkeit und im Ausland berechnet; der andere Bossi, das ist der zähe, meist einsichtige, realistische Verhandlungspartner und Parteichef, der bei der Auswahl seiner Kandidaten für die Gemeinden eine überaus glückliche, sehr vorsichtige Hand zeigt und so bereits deutliche Signale in Richtung auf eine wirkliche Erneuerung der Politik von den untersten Strukturen her gesetzt hat.“

Visentini kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Bossi habe den vollen Sezessionismus längst beerdigt, der Zentralstaat sei allemal im Verfall, eine Regionalisierung unaufhaltsam und damit eine Hauptforderung der Ligen erfüllt. Den in seiner Bewegung sicherlich stark vorhandenen Rassismus habe er weitgehend domestiziert (und dort, wo Liga-Bürgermeister bereits amtieren, hat es in der Tat keinerlei Ausschreitungen gegeben). Und wenn er mit Kampagnen zur Steuerverweigerung oder gar dem Rückzug seiner Deputierten und Senatoren (derzeit gut fünfzig an der Zahl) für den Fall der weiteren Aufschiebung von Neuwahlen droht, sei das eher Rhetorik – jeder wisse, daß Neuwahlen nicht aufgeschoben werden können angesichts der gut 300 Volksvertreter, die in Ermittlungsverfahren verwickelt sind.

So sieht Visentini in Bossi nicht mehr nur das Zeichen, sondern möglicherweise schon den definitiven Ausdruck eines „Szenariums, wie Italien zumindest in den Formen, in denen es sich in den 50 Nachkriegsjahren entwickelt hat, in Scherben zerfällt und von Leuten zu Grabe getragen wird, die sich auf einen mythischen, mittelalterlichen Helden wie Alberto von Giussano berufen.“ Tatsächlich steht der Beweis aber noch aus, ob die Ligen, einmal in eine Regierung von nationaler Tragweite eingetreten, tatsächlich Programme haben, die ohne große Traumata im ganzen Land (und nicht nur im Norden) verwirklicht werden können. Werner Raith

Toni Visentini: „Die Lega. Italien in Scherben“. Edition Raetia, Bozen, 173 Seiten, 32,80 DM