: Kunst als Fata Morgana
Digitalisierte, nervöse Bildcollagen in klinischen Containern – Die hannoversche Eisfabrik zeigt eine Retrospektive mit Arbeiten der Videokünstlerin Shigeko Kubota, die in Deutschland bislang kaum zu sehen waren ■ Von Michael Stoeber
Über der internationalen Szene der Videokunst leuchtet ein renommiertes Dreigestirn: Bill Viola, Nam June Paik und Shigeko Kubota. Während die Herren in ihren Arbeiten eher selbstreferentiell das Medium als Medium thematisieren und dabei Probleme des Sehens und der elektronisch vermittelten Kommunikation behandeln, ist Shigeko Kubota, Ex-Ehefrau von Nam June Paik, die eigentliche Protagonistin der Video- Skulptur. Das klassisch bildnerische Problem von Kern und Hülle, Innen und Außen überträgt sie auf das Wechselspiel zwischen klar kalkuliertem Gehäuse und nervös subjektivem Video. Die Bildschirme, über die ihre fiebrigen Bänder laufen, sind dabei nur ein Gestaltungselement unter anderen – klinische Container, in denen die digitalisierten Bildcollagen aus Licht, Farbe und Form sich gerieren wie ein fließender, kreisender Stream of consciousness. In Kubotas Diktion: „cool installation, hot tapes“.
Die Ausstellung in der hannoverschen Eisfabrik stellt in einer Retrospektive der letzten zwanzig Jahre das umfassende ×uvre der 1937 in Niigata, Japan, geborenen Künstlerin vor, die bislang kaum in Deutschland zu sehen war. Die früheste Arbeit ist ein Video-Poem von 1968. Die alliterierenden Strophen sind persönliches Manifest und weibliche Kampfansage an eine bis dato vor allem männlich dominierte Kunst. „Video is vengeance of vagina, video is victory of vagina, etc. Viva Video.“ Das dazugehörige Objekt ist ebenso poetisch wie konkret. Eine Art violetter Kissenhülle, dessen Figuration sich ständig sanft durch ein kleines Gebläse im Innern verändert, birgt einen Monitor. Nur partiell durch einen halb geöffneten Reißverschluß ist der Bildschirm sichtbar. Die kolorierte Bilderfolge des stummen Tapes zeigt das entschlossene Selbstporträt einer stumm agierenden Kubota.
Video als Kind-Ersatz, Video als Medium der Weltbemächtigung, Video als Möglichkeit, die Frauenrolle ihrer Heimat hinter sich zu lassen. „Ich reise herum mit meiner Videoausrüstung auf dem Rücken wie vietnamesische Frauen mit ihren Babies“, sagt die Künstlerin. 1964 kommt die 27jährige mit ihrem Videopack nach New York, wo sie fortan leben wird, gerät in die Fluxusbewegung und entdeckt Marcel Duchamp als künstlerischen Kompaß. Mit ihm beschäftigen sich ihre „Duchampiaden“. Kubota hat Duchamp 68, wenige Monate vor seinem Tod, noch persönlich kennengelernt. Über seinen letzten Auftritt mit John Cage in Toronto machte sie ein Fotobuch – die beiden Männer spielen zusammen Schach und die Spielzüge bestimmen Cages dazugehörende Komposition. Auch ihr „Video Chess“, ein gläsernes Schachspiel, das Brett ein Monitor, der elektronisch verfremdete Bilder des damaligen Konzerts zusammen mit dem Soundtrack zeigt, erinnert daran.
Kubota hat ihrem Mentor und Übervater ein überraschendes Epitaph gesetzt. 1972 reiste sie nach Rouen an das Grab Duchamps. Auf zwölf wie in einer Stele übereinandergetürmten Monitoren sieht man das Dokument dieser Pilgerfahrt, unter anderem auch die hintersinnig unsentimentale Grabinschrift „D'ailleurs, c'est toujours les autres qui meurent“ (Im übrigen sind es immer die anderen, die sterben). Durch eine geschickte Spiegelinstallation werden die elegischen Bilder buchstäblich bis ins Unendliche projiziert. Zugleich liest sich das Ganze auch wie eine subtile Referenz an das oft gehörte Diktum Duchamps: „Art is a mirage“ (Kunst ist eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana).
Auch die berühmten „Niagara Falls“, mit denen Shigeko Kubota 1987 zum zweiten Mal auf die documenta eingeladen wurde, sind in dieser Ausstellung zu sehen. Eine frei stehende Wand mit zehn unregelmäßig verteilten Monitoren, dazwischen klar konturierte Spiegelscherben; im Vordergrund ein Bassin mit Wasser, in das eine Sprinkleranlage einen zweiten, natürlichen Vorhang aus regelmäßig fallenden Wassertropfen entläßt. Das Ganze ergibt ein raffiniertes System von Spiegelungen und Brechungen: das Bild des fließenden Wassers und die verfließenden Bilder auf dem Wasser, dazu Audiogeräusche der Fälle und das sanfte Plätschern des Sprinklers. Die Wasserfälle werden mit Motiven der vier Jahreszeiten und der japanischen Kirschblüte gekoppelt, als Verbindung von Okzident und Orient. Die geometrische Strenge der Installation versammelt organische Bilder einer wilden und einer domestizierten Natur: das klinische Arrangement der wie Messer wirkenden, spitzen Scherben, und zugleich die sanfte Kräuselung des Wassers als mythenbeladenes Element des Lebens. Zuletzt wäre ein weiteres Mal an Duchamp zu denken, an dessen Wasserfall im nachgelassenen Werk „Etangs donnés“ – dort aber als Metapher von Samen und Orgasmus und dessen Verbindung zum Tod.
Bis zum 11. November 1993. Seilerstraße 15-17. Empfehlenswerter Katalog des American Museum of the Moving Image, New York, 40 DM
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