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Sarajevo: Doppeltes Spiel mit der Freiheit

Evakuierung von rund 1.500 Serben und Kroaten / Kroatische Kampforganisation zerschlagen  ■ Von Erich Rathfelder

Split (taz) – Zum ersten Mal seit der Belagerung Sarajevos soll heute eine größere Gruppe von Menschen die Stadt verlassen dürfen. Es handelt sich dabei um rund 1.500 als „serbisch“ und „kroatisch“ klassifizierte Einwohner der Stadt. Zwar bleibt damit das Gros der nichtmuslimischen Bevölkerung, die auf rund 60.000 geschätzt wird, weiterhin in Sarajevo. Doch die Anzeichen mehren sich, daß zunehmend der multinationale Geist zurückgedrängt wird.

Mit dem Versuch der bosnischen Armee, die rund 1.500 Mann der bisher relativ selbständig operierenden Truppen des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) unter Kontrolle zu bekommen, wird auch von muslimischer Seite der Anspruch erhoben, die noch unter der Hoheit der bosnischen Regierung stehenden Gebiete vollständig zu kontrollieren.

Der Kommandant der HVO, Slavko Zelić, soll verhaftet worden sein. Mit dem Aufbau von Straßensperren hat die bosnische Armee demonstriert, daß sie eigenständige kroatische Truppen in der Stadt nicht mehr dulden will. Allerdings sind erhobene Vorwürfe, die HVO würde, wie in Bosnien allgemein, zunehmend mit der serbischen Seite zusammenarbeiten, nicht von der Hand zu weisen.

Der Vorgang in Sarajevo wirft ein Schlaglicht auf den Plan, im gesamten Gebiet Bosnien-Herzegowinas die verschiedenen Ethnien voneinander zu trennen. Von kroatischen und serbischen Politikern wird dieser Prozeß schon seit Monaten betrieben und tritt jetzt offensichtlich in eine Endphase ein. In der unter serbischer Kontrolle stehenden Bosanska Krajina lebten früher 350.000 Muslime und 130.000 Kroaten. Heute sind es gerade noch 70.000 Muslime und 40.000 Kroaten – und sie geraten jetzt erneut unter großen Druck. Durch Drohungen, Mordanschläge und Benachteiligung bei der Verteilung von Lebensmittelrationen sollen alle Nichtserben veranlaßt werden, das Gebiet umgehend zu verlassen. Das kulturelle Erbe vor allem der Muslime ist systematisch zerstört: Von ehemals 250 Moscheen stehen in der Bosanska Krajina noch zwei, von 16 Moscheen in Banja Luka blieb nach deren „Einebnung“ im April dieses Jahres keine mehr übrig. Zerstört wurden damit Meisterwerke der islamisch-europäischen Kultur.

In den von den Kroaten der Westherzegowina beziehungsweise Herceg-Bosna beanspruchten Gebieten östlich der Neretva zwischen Čapljina und Stolac sind die im Juni begonnenen „ethnischen Säuberungen“ „so gut wie abgeschlossen“, wie der Leiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der Schweizer Claudio Barazini, am Freitag erklärte. Rund 10.000 Menschen haben ihre Heimat verloren, seit vom 1. Juli an alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren verhaftet und in die Lager Rodoć, Gabela und das seit dem 16. Oktober aufgelöste Lager Dretelj gebracht worden waren.

Einige der rund 1.600 Gefangenen des Lagers bestätigten am letzten Sonnabend, daß viele Familienangehörige während der Haftzeit der Männer mit Gewalt auf die weiterhin bosnisch kontrollierte Ostseite Mostars getrieben wurden. Diese Aussagen werden bestätigt durch den Umstand, daß es sich bei den Familienangehörigen der 207 muslimischen Gefangenen, denen es seit kurzem erlaubt ist, das Lager zu besuchen, fast durchweg um Angehörige der kroatischen oder serbischen Bevölkerung handelt, sie also aus Mischehen stammen.

Im restbosnischen Gebiet, in Tuzla und Zenica, bemühen sich die Behörden immer noch, die multikulturelle Identität Bosniens zu wahren. Dieses Bemühen wird durch die Flucht von 20.000 KroatInnen aus Vareš nicht in Frage gestellt. Denn dem Angriff der bosnischen Armee auf diese vor allem von Kroaten bewohnte Enklave ging eine „Säuberung“ des Gebiets von Muslimen voraus. Am 23. und 24. Oktober wurden in Vareš alle muslimischen Einwohner zusammengetrieben, es fanden offenbar auch Exekutionen statt.

Angesichts dieser Ereignisse und dem Massaker in dem muslimischen Dorf Stupni Do wurde die bosnische Armee gezwungen einzugreifen. Das Resultat der Entwicklung muß aber auch für die bosnische Regierung bedenklich sein: Mit der Flucht der Kroaten aus der Region sind die Muslime jetzt dort unter sich.

Die Politik der ethnischen Trennung wird auch durch die internationalen Hilfsorganisationen unterstützt. Zwar wehren sich sowohl das Internationale Rote Kreuz als auch das UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) und andere Hilfsorganisationen offiziell nach wie vor gegen diesen Vorwurf, sie sind jedoch gezwungen, angesichts der Gefahr für Leib und Leben derjenigen Bevölkerungsgruppen, die unter dem Terror der „anderen Seiten“ leiden, am Bevölkerungsaustausch mitzuwirken. Die Vermittlung von Ausreisemöglichkeiten wie auch die Mitwirkung der UNO beim Gefangenenaustausch werden inzwischen als humanitäre Hilfsaktionen angesehen.

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