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Betr.: Offener Brief an die 14 Unterzeichner der "offenen Briefe" an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Weilheim und "an die Bayerische Staatsregierung" vom 17.9.93

Offener Brief an die 14 Unterzeichner der „offenen Briefe“ an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Weilheim und „an die Bayerische Staatsregierung“ vom 17.9.93

[...] Die gegen uns und die von uns geehrte und verehrte Dichterin vorgebrachten haltlosen Vorwürfe weisen wir mit Entschiedenheit zurück:

1. Sie schreiben z.B.: „War es nicht nur mangelnde Aufklärung, sondern auch massive Suggestion, die Schüler der 90er Jahre zu dieser Wahl führte?“ Diese Verdächtigungen sind absurd. Wir haben in sechsmonatiger, von den Lehrern völlig unabhängiger Jury-Arbeit zusammen über 70 Bücher von 15 Autoren gelesen, darunter 15 Bücher von G. Fussenegger, über die wir uns noch weiter informiert haben, bevor wir uns einmütig für sie entschieden.

2. Sie schreiben: „Wer altfaschistisches Gedankengut würdigt und mit 12.000 Mark honoriert, nimmt in Kauf, daß – in Anwendung dieses Gedankenguts – auf deutschen Straßen Menschen erschlagen und verbrannt werden.“ Uns die Billigung rassistischer Verbrechen zu unterstellen, ist beleidigend. Als Beleg für den angeblichen Faschismus der Autorin dienen den Herren Michelides und Oberschlick seit Jahren ein „Anschlußgedicht“ und zwei sinnwidrig interpretierte Zitate aus den „Böhmischen Verzauberungen“ (auch im „Inneren Reich“ 1/1943). Wer die beiden Textseiten über Prag im Jahr 41 unvoreingenommen und ungekürzt liest, wird feststellen können, daß sie sich als Beweis für den ständigen Antisemitismusvorwurf nicht eignen. Im übrigen haben wir der Autorin den Preis nicht für diese drei Seiten zuerkannt, sondern für ein 3.000 Seiten umfassendes großartiges Romanwerk, u.a. für „Das Haus der dunklen Krüge“, „Das verschüttete Antlitz“, „Zeit des Raben, Zeit der Taube“ und „Die Pulvermühle“.

3. Als Hauptbeleg für den Rassismus-Vorwurf dient Ihnen die „Mohrenlegende“ (1937). Dazu machen Sie den unglaublichen Versuch, einige Zitate, in denen die Fremenfeindlichkeit der Erzählfiguren gezeigt wird, als Überzeugung der Autorin hinzustellen. Die Nazis wußten das besser: „Diese ,Legende‘ widerspricht unseren Auffassungen von den Rassegesetzen“ (so in: „Die Weltliteratur“ 7/1941). In der Tat ist die „Mohrenlegende“ ein flammendes Plädoyer gegen jede Art von Rassismus.

Da wir annehmen, daß kaum einer der Unterzeichner der „offenen Briefe“ dieses Buch gelesen hat, erlauben wir uns, Ihnen ein Exemplar der „Mohrenlegende“ zu schenken, und würden als Gegengabe gern erfahren, ob die Behauptung, der Text enthalte „altfaschistisches Gedankengut“, habe einen „rassistischen Duktus“ (so Christian Michelides in konkret 11/93) und sei „rassistischer Schund“ (so Gerhard Oberschlick am 14.10.93 brieflich), von Ihnen allen geteilt wird und wie man einen so gravierenden Vorwurf mittragen kann, ohne den Text zu kennen. Diese Fragen interessieren uns auch deshalb, weil wir Gertrud Fussenegger den Weilheimer Literaturpreis niemals zuerkannt hätten, wenn wir in ihrem Werk Rassismus hätten entdecken können.

Wir bitten um Verständnis, daß wir diesen Brief auch den Medien schicken, die Sie mit Ihren Vorwürfen gegen Gertrud Fussenegger und gegen uns erreicht haben. Die Schüler-Jury zum

Weilheimer Literaturpreis 1993,

Erik Beige, Juditz Emmler,

Tanja Fischer, Elisabeth Mei-

ster, Ulrike Schreiber, Alexan-

der Stögbauer, Artur Meinzolt

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