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Ross Perot meldet sich zurück

Fernsehdebatte um das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta: Vor der Entscheidung im US-Senat und -Repräsentantenhaus wird um politische Symbole gekämpft  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Würde es sich um ein Fußballspiel handeln, könnte die Begegnung etwa so aussehen: Auf der einen Seite der FC Anti-Nafta mit Linksaußen Jesse Jackson (einst politischer Hoffnungsträger der amerikanischen Linken), im Mittelfeld die gesamte Riege der amerikanischen Gewerkschaftsführer in schönster Eintracht mit einem großen Teil der US-Ökologiebewegung, auf dem rechten Flügel Pat Buchanan, vor nicht allzu langer Zeit Idol furstrierter Republikaner, die George Bush für zu links hielten. Als Mittelstürmer schließlich Ross Perot, milliardenschweres Schreckgespenst des amerikanischen Zwei-Parteien- Systems und Populist – allerdings mit einem unberechenbaren Hang zu Eigentoren.

Auf der anderen Seite der VfB Pro-Nafta: In der Abwehr tummelt sich eine noch etwas konfuse Clinton-Administration, im Mittelfeld massiert sich ein Überangebot an Ex-Präsidenten, darunter die Herren Nixon, Ford, Carter, Reagan und Bush. Die linke Flügelposition bleibt unbesetzt. Rechts außen ist Rush Limbaugh aufgelaufen, Amerikas derzeit populärster und reaktionärster TV-und Radiomoderator mit einer unverhohlenen Antipathie gegen Frauen, Schwarze, Schwule und Steuern. Auf dem Stürmerposten wechseln sich Lee Iacocca, ehemaliger Wundermanager, Colin Powell, ehemaliger Wundergeneral, und Al Gore, amtierender US-Vizepräsident, ab.

In wirren Zeiten entstehen nun einmal wirre Bündnisse. Der Zankapfel heißt in diesem Fall „North American Free Trade Agreement“ (Nafta). Das Abkommen wurde noch unter der Bush- Administration unterzeichnet, dann von Präsident Clinton unterstützt, nachdem mit Mexiko Nebenabsprachen zu Umwelt-und Arbeitsschutz ausgehandelt worden waren.

Doch noch fehlen Clinton mindestens 30 Stimmen, um am kommenden Mittwoch die nötige Mehrheit von 218 Abgeordneten im US-Repräsentenhaus zu bekommen. Kann der Präsident rechtzeitig 30 Wankelmütige (und später eine einfache Mehrheit im Senat) auf seine Seite ziehen, so würden die USA, Kanada und Mexiko mit insgesamt rund 360 Millionen Menschen ab 1. Januar 1994 die größte Freihandelszone der Welt bilden. Vorgesehen ist die Aufhebung aller Zölle und Importbeschränkungen zwischen den beiden nordamerikanischen Staaten und Mexiko.

Nafta-Befürworter glauben fest daran, daß damit in den USA Arbeitsplätze gesichert werden, während ihrerseits die mexikanische Wirtschaft durch den Zugang zum nordamerikanischen Markt einen Aufschwung erleben und also den Lebensstandard der eigenen Gesellschaft heben werde: Wer mehr verdiene, könne auch mehr kaufen – vor allem Produkte made in America.

Über 200.000 neue Jobs, so verspricht man im Weißen Haus, würden durch Nafta bis 1995 in den USA geschaffen.

Das dürfte ebenso schamlos übertrieben sein, wie die Prophezeiungen von Gewerkschaften und vor allem Ross Perot, wonach Nafta wie ein gigantischer Rüssel Hunderttausende von Arbeitsplätzen aus den USA absaugen und in Mexiko wieder ausspucken würde. Solche Befürchtungen werden von den Gewerkschaften und ihrem Dachverband, der AFL-CIO, immer wieder untermauert. Der ohnehin magere Mindestlohn in den USA beträgt derzeit 4,35 Dollar – pro Stunde, in Mexiko jedoch 4,21 Dollar – pro Tag.

Unbestritten ist, daß in den USA Arbeitsplätze wegfallen werden. Vor allem Hersteller von Bekleidung und Schuhen sowie Maschinenteilen werden ihre Produktion nicht mehr in asiatische Länder auslagern, sondern nach Mexiko – ein Prozeß, der schon seit Jahren im Gang ist.

GewerkschafterInnen befürchten, daß sich ganz Mexiko damit in eine riesige maquiladora verwandelt. Mit maquiladora sind eben jene rund 2.220 Firmen gemeint, die bereits seit Jahren südlich des Rio Grande rund 500.000 mexikanischen Arbeitskräften für Fließbandproduktion Stundenlöhne von weniger als einem Dollar bezahlen, Was US-Firmen lockt, sind nicht nur Niedriglöhe, sondern auch die ausgesprochen laxe Handhabung der herrschenden Umweltschutzgesetze durch die mexikanischen Behörden. Dank der maquiladoras haben sich Teile der 3.600 Kilometer langen Grenze in Giftmüllhalden verwandelt.

Unbestreitbar ist allerdings auch, daß Nafta das Ende der maquiladores bedeuten würde – zumindest in Mexiko. Schon aus juristischen Gründen ist der Sonderstatus dieser Firmen im Rahmen des Freihandelabkommens nicht zu halten. Sie werden weiter wandern – Richtung El Salvador und Guatemala.

Daß sich nun ausgerechnet Ross Perot zum Fürsprecher von Umweltschutzgruppen und Gewerkschaften macht, ist eine von vielen verblüffenden Windungen in der US-Nafta-Debatte.

FC Anti-Nafta gegen Vfb Pro- Nafta ist längst zu einer gigantischen PR-Schlacht geworden, in der es vor allem um symbolische Konflikte geht: Für die amerikanische Linke ist es, ebenso wie für rechte Protektionisten, der Kampf gegen das Amerika der Konzerne und gegen Globalisierung der Wirtschaft; für die Gewerkschaften geht es nach zwölf Jahren politischer Niederlagen darum, zu beweisen, daß sie in Washington überhaupt noch eine Rolle spielen.

Ross Perot, dessen Organisation „United We Stand“ Zerfallserscheinungen zeigt, will sich erneut ins Rampenlicht – und damit in eine gute Ausgangsposition für die nächsten Präsidentenwahlen bringen.

Es gelang ihm nur mäßig, als er Dienstag abend in einer TV-Debatte über Nafta gegen Vizepräsident Al Gore stritt. Und für Bill Clinton steht nicht nur die innenpolitische, sondern, kurz vor dem asiatisch-pazifischen Wirtschaftsgipfel in Seattle und kurz vor der deadline für einen Abschluß der Gatt-Verhandlungen, auch der außenpolitische Ruf auf dem Spiel.

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