: Kartoffelstärke statt Cortisonsalbe
■ Von Katrin Wienefeld
„Tierhomöopathin, psychologische Beratung für Tiere“ steht auf dem braunen Praxisschild. Birgit Böcker schüttelt den Kopf und zündet sich vor der Eingangstür eine Zigarette an: „Klar, das muß sie so schreiben. Die meisten Menschen schieben doch das Tier vor, wenn sie selbst 'ne Beratung brauchen“. Birgit Böcker ist laut tierärztlichem Fachjargon „Patientenhalterin“ von Mischlingshündin Muff und wartet auf den Beratungstermin bei der Ottensener Tierhomöopathin Beatrix Brück.
Ein nässendes Ekzem am Schweifansatz der Hündin ist Grund für den Besuch bei der Tierheilpraktikerin. Die nimmt allerdings erstmal die Krankheitsgeschichte der fünfjährigen Muff auf: „Ist sie geimpft, verwurmt oder hatte sie Unfälle?“. Fragen dieser Art gehören zum Repertoire der Tierheilerin. „Ich beurteile das Tier in seiner gesamten Situation. Und jeder chirurgische Eingriff oder jede Antibiotika-Behandlung kann wichtig für den derzeitigen Allgemeinzustand des Tieres sein“, sagt Beatrix Brück.
Die ganzheitliche Betrachtungsweise der Homöopathin, Autodidaktin und gelernte medizinisch-technische Assistentin, enstpricht dem wachsenden Bedürfnis der Menschen nach natürlichen Behandlungsmethoden für ihre Tiere. Birgit Böcker kam auf Rat ihrer Freundin, die „keinen Bock mehr auf diese Chemie bei den Tierärzten“ habe, zur Tierhomöopathien. Birgit Böcker hat sich vorgenommen: „Ich werd' Muff so behandeln, wie ich mich behandeln würde. Dosenfutter bekommt sie genauso selten, wie ich diesen ekligen Fertigsuppenkram esse“.
Zwölf Semester Studium liegen zwischen Tierarzt und Tierheilkundler
Nüchtern betrachtet der Präsident der Hamburger Tierärztekammer, Adolph Hövermann, die Erweichung der Menschen für heilkundliche Tierbehandlung. „Die Behandlungen der Tierheilpraktiker sind mit denen der Tierärzte nicht zu vergleichen. Die arbeiten mit ganz anderen Mitteln“, sagt der Tierarzt. Zunehmend würden sich Scharlatane und obskure Heiler auf dem Tiergesundheitsmarkt tummeln: „Mich stört die Unverschämtheit, mit der diese Leute werben. Schließlich kann sich jeder Spielbankbetreiber so nennen. Und die Schulen betrügen die Leute, indem sie suggerieren, einen Berufsabschluß bieten zu können“. Hövermann empören vor allem die „falschen Heilsversprechungen“: „Tierärzte müssen sich durch Schwarten – dick genug, um Männer zu erschlagen – durcharbeiten, und dann kommt einfach jemand daher und sagt, er heilt durch Handauflegen.“
Die Tierheilpraktikerin Karin Wieser vom Dachverband der Tierheilpraktiker stört derartige Kritik nicht: „Wir können genauso heilen wie ein Tierarzt“, sagt die Mitarbeiterin einer Heidecker Tierklinik. Und André Grafe von der norddeutschen Tierheilpraktiker-Schule Bad Bramstedt bei Hamburg pocht auf die Seriosität der Ausbildung. „Das Grundstudium dauert zwei Jahre, in denen die Schüler 1000 Unterrichtsstunden bewältigen müssen.“
Trotz Cortisonsalbe juckt's und kneift's den Hund auf der Haut
Auch Tierärzte bilden sich verstärkt in naturheilkundlichen Verfahren fort. „Akupunktur hat sich bewährt“, erklärt Hövermann, „wenn Tiere so betäubt während einer Operation keine Schmerzen spüren, kann das nicht wie so häufig bei Menschen auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen sein“.
Muff kneift und kratzt nun immer noch in ihrem wuscheligen braunen Fell, obwohl Birgit Böcker den wäßrigen Pickel mit einer cortisonhaltigen Salbe einreibt. So hatte es ihr Tierarzt empfohlen. Homöopathin Brück hat ein einfaches Mittel parat: „Geh' in den nächsten Supermarkt und hole dir Kartoffelstärke, damit kannst du das Sekret austrocknen“, empfiehlt sie der verdutzten Hundebesitzerin. In vier Wochen soll Muff zur Nachuntersuchung kommen. Hat sich das Ekzem nicht gebessert, kann mittels Mineralstoffanalyse getestet werden, ob eine allergische Reaktion vorliegt.
Diese Methode zur Bestimmung von Allergien, deren Anzahl und Ursachen bei Tieren noch nicht erforscht sind, ist jedoch bei Tierärzten umstritten. Fest steht nur: „Die Zahl der Hauterkrankungen und Allergien bei Tieren als Reaktionen auf verstärkte Umwelt- und Nahrungsbelastungen nimmt drastisch zu“, so Professor Ingo Nolte, Leiter der auf Hauterkrankungen spezialisierten Klinik für kleine Haustiere an der tierärztlichen Hochschule Hannover.
Deren Interpretation sei jedoch mit Vorsicht zu leisten, da auch die Zahl der Haustiere stetig steige, so Skeptiker Hövermann. In Hamburg pendelt sich die Zahl der beim Finanzamt gemeldeten Hunde seit einigen Jahren auf rund 40.000 ein, doch die Dunkelziffer „kann auch beim Vierfachen liegen, dazu kommen mindestens 60.000 Katzen, genausoviele Wellensittiche und so weiter“, so Hövermann. Mit dem Zuwachs an Vierbeinern und geflügelten Hausbewohnern hätten sich auch die Haltungsbedingungen geändert, gibt Hövermann zu bedenken: „Man sagte früher: Kein Himmel ohne Sterne, kein Hund ohne Flöhe. Heute ist es immer warm um das Tier, da gedeihen Flöhe und Milben prächtig.“
Ob juckende rote Quaddeln, eitrige Ekzeme, Haarausfall oder kahle, trocken-schuppige Stellen – Tiere reagieren fast immer mit der Haut auf Störfaktoren. „Wie die Menschen können Haustiere Allergien auf Hausstaub, Milben, Konservierungsstoffe im Futter oder den Speichel der Flöhe entwickeln“, sagt Professor Nolte.
In die Uniklinik, in der erst seit sieben Jahren Häute gesondert untersucht werden, kommen mittlerweile zehn Prozent der Patientenhalter mit ihren befellten oder gefiederten Zeitgenossen wegen Hauterkrankungen. Wissenschaftliche Forschungen über Art, Umfang oder Allergie-Sensibilität bestimmter Rassen gibt es jedoch noch nicht. „Früher waren Allergietests bei Hunden oder Katzen nicht bekannt“, gibt Nolte zu. Tierärzte seien zudem auf die Bereitwilligkeit der Tierhalter angewiesen: „So etwas muß sich erst 'rumsprechen, und der Hundehalter muß Interesse an der Behandlung haben“.
Selber kochen für Hund und Katze ist vielen Haltern zu aufwendig
Ein Allergie-Test kostet im Hannoveraner Institut rund 180 Mark, eine Desensibilisierungs-Behandlung bis zu 1000 Mark. Proteine, die im Verdacht stehen, die allergische Reaktion auszulösen, werden in die entzündete Stelle gespritzt. Reagiert das Tier mit der gleichen Symptomatik, kann die Behandlung beginnen. Wie bei Menschen wird in drei Stufen vorgegangen. Nolte: „Wir erkundigen uns, ob die direkte Umwelt zu ändern ist, die Federkissen also gegen solche aus Latex getauscht werden können oder das Futter umzustellen ist.“
Erst der zweite Schritt ist die Desensibilisierung mittels regelmäßigem Einspritzen der entsprechenden Proteine. „Erst wenn diese nicht möglich oder den Besitzern zu aufwendig sind, greifen wir zur Cortisonbehandlung“, so Nolte. Da eine Änderung der Lebensumstände jedoch aufwendig ist, scheuen viele Hundehalter die schonenderen Methoden, zum Beispiel bei einer Futtermittel-Allergie jeden Tag für den Hund kochen zu müssen. Schonkost wie die bekömmliche Lammfleisch-Hüttenkäse-Reis-Diät können sich zudem viele Hunde- und Katzenbesitzer nicht leisten.
„Das muß ich einfach einkalkulieren“, sagt Beatrix Brück. Für eine Futterumstellung bedürfe es einiger Überredungskunst, bis die Besitzer überzeugt sind, daß „der Juckreiz und die schrecklich stinkenden Pupse vom Fertigfutter kommen“, so Brück. Die Leute seien komplett geblendet von der Werbung und glauben zunächst nicht, daß Selbstgekochtes „auch noch viel billiger ist“.
Der wackeligen Colliehündin Ronja, eine von ihrer Besitzerin verwöhnte Schöne, wird erstmal ihr geliebtes Fressen entzogen: „Zuviel Fleisch und Kohlehydrate, wie für einen Leistungshund“, attestiert Beatrix Brück. Also ab sofort 200 Gramm Pansen weniger. Und Vitamin A-Zufuhr, bevor an den Psychoproblemen der Hündin – eigentlicher Anlaß für den Termin bei der Homöopathin – gearbeitet werden soll. Denn der
Bei Treppenphobien kommt die Homöopathin mit zum Üben
Mangel an diesem Vitamin verursacht Sehprobleme im Hell-Dunkel-Kontrast und begünstige, so die Diagnose, Ronjas Macke: Panische Angst vor PVC und Treppensteigen. Wenn die Futterumstellung angeschlagen hat, will Brück Ronjas Phobie verhaltenstherapeutisch behandeln: Dann kommt die Homöopathin mit und übt das Treppensteigen.
Verhaltenskunde ist Beatrix Brücks drittes Standbein, neben der Homöopathie und Phytotherapie, der pflanzlichen Heilkunde. „Ich ufere nicht aus und bilde mich hier und dort ein bißchen“, sagt sie. Bei chronischen Verhaltensstörungen ohne organische Ursachen kämen auch Patienten auf Empfehlung von Tierärzten zu ihr.
Die Ethologin (Verhaltenskundlerin) und Fachtierärztin Dorit Feddersen-Petersen von der Uni Kiel diagnostiziert einen erheblichen Mangel an verhaltenskundlerischer Ausbildung bei den praktizierenden Tierärzten: „Das Studium ist zu medizinisch ausgerichtet. Das Normalverhalten der Tiere wird nicht gelehrt, die Ärzte fühlen sich als Götter in Weiß“, sagt die Wissenschaftlerin. Eine Reform des Studiums sei dringend notwendig.
Die Tiermedizinstudenten glauben trotz düsterer Zukunftsaussichten noch an das „rosa Berufsbild Kleintierarzt, das durch diese dusseligen Fernsehserien gefördert wird“, schimpft Hövermann. In Hamburg warten mehr als 100 Veterinäre mit eigener Praxis auf ihr - bis auf die steuerpflichtigen Hunde - ungezähltes tierisches Patientenpotential. Von den bundesweit rund 1000 neuen Jungtierärzten pro Jahr werden bloß 300 benötigt. „Der Rest wird, trotz der Arbeitsmöglichkeiten im Lebensmittel- und Laborbereich, auf Halde produziert“, sagt Hövermann.
Die Ärzte rechnen nach Gebührenordnung ab, die Heiler nach dem Geldbeutel
Die Konkurrenz wird heilpraktisch ausgebildet. 350 neue Schüler jährlich absolvieren, so Leiter Grafe, die Bad Bramstedter Schule. 400 Praktizierende soll es bundesweit geben. Diese werden sich in nächster Zukunft auch zählen lassen müssen. Ein Berliner Urteil sprach unausgebildeten Tierheilpraktikern das Recht auf diese Berufsbezeichnung ab, und erlaubte lediglich, sich „Tierheilbehandler“ nennen zu dürfen. Nur Mitglieder des Verbandes der Tierheilpraktiker, der schon 1931 den Begriff patentieren ließ, dürfen sich so bezeichnen.
Der Hamburger Tierarzt Matthias Schroeder ist nach seinem Studium zum überzeugten Homöopathen geworden: „Ich beurteile die Lebensumstände und charakterlichen Besonderheiten des einzelnen Tieres. Das leistet die Schulmedizin nicht“. Die Universitätsausbildung hat Schroeder als einseitig empfunden: „Vieles ist mit naturheilkundlichen Mitteln zu behandeln. Eine Katze, die sich ständig leckt, kann Rivalitätsprobleme haben. Da helfen homöopathische Mittel“.
Kostspielig sind Tiere allemal. Die Preise sind willkürlich bei den Heilkundlern, streng nach Gebührenordnung bei den Studierten festgelegt. Eine einfache Untersuchung beim Tierheilpraktiker kostet von 30 Mark aufwärts, „je nach Geldbeutel der Klienten“, so Tierhomöopathin Brück. Der approbierte Tierarzt richtet sich nach der Schwierigkeit der Diagnose. Mindestens 25 bis 50 Mark ohne Medikamente wird der Patientenhalter dort pro Besuch los.
Birgit Böcker bekommt noch einen kostenlosen Rat gegen die unvermeidlichen Flöhe mit, die jeden zweiten hanseatischen Hund besiedeln: „Mit zwei, drei Tropfen ätherischen Ölen wie Lavendel das Tier einreiben und mit dem Flohkamm durchs Fell gehen“. Bei einer flohverseuchten Wohnung empfiehlt es sich, so Brück, „mit Backpulver auf einem Liter Wasser den Boden abzureiben und Salz in Bodenritzen zu streuen“. Dann beißt den Hund kein Floh mehr.
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