piwik no script img

Herrschaftsfrei aus der Steckdose

William S. Burroughs, Friedrich Kittler und Bill Viola – auf der MultiMediale 3 in Karlsruhe wurden die Videopioniere und Vorreiter des interaktiven Mediengeschehens prämiert  ■ Von Dirk Liedtke

„Wenn man den Stecker rauszieht, ist es um all die schönen Kunstwerke geschehen“, sinniert eine Besucherin der „Mediale 3“ angesichts der hochtechnisierten Exponate. Folgerichtig ist der Elektrokonzern Siemens auch der Hauptsponsor des Medienkunstpreises, der am Rande des Festivals am Wochenende in Karlsruhe verliehen wurde.

Der Beatnik-Kultautor William S. Burroughs erhielt einen Preis für sein Lebenswerk. Jurymitglied Peter Weibel, Leiter des Instituts für Neue Medien an der Städelschule in Frankfurt am Main, nahm die Auszeichnung stellvertretend entgegen und erinnerte an Burroughs' epochales Werk „Die elektronische Revolution“ als Ideengeber der späteren „Mind Machine“. Als Prototyp des experimentellen Künstlers habe Burroughs seine literarischen „Cut-Up, Fold-In“- Techniken auf audiovisuelle Medien erweitert und ganz nebenbei die „Minimal Music“ antizipiert. In der Konzeption ist Burroughs' ×uvre jedoch kritisch: Die Medien stehen im Zentrum jeder Macht. Sie sind ein Virus, der unser Bewußtsein konditioniert.

Gegenüber solch traumwandlerischer Kreativität wirkte der Hauptpreisträger Bill Viola mit seiner südkalifornischen Nettigkeit etwas bläßlich. Er forderte die Kritik auf, sich nicht auf die Technologie und die Maschinen in Arbeiten von Medienkünstlern zu fixieren, sondern deren weiterreichende Ideen und Ausdrucksformen zu erkennen. Violas Videoinstallation „The City of Man“, ein animiertes Triptychon, ist auf der MultiMediale zu sehen.

Theoriepreisträger Friedrich Kittler, seit kurzem Professor für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Berliner Humboldt- Universität, postulierte indessen griffig: „Die Medienkunst ist nichts anderes als die Anerkennung der psychotechnischen Wünsche der menschlichen Sinne.“

Den herrschaftsfreien, interaktiven Umgang mit dem Fernsehen forderte das Team des Hamburger Ponton European Media Art Lab, das einen Anerkennungspreis erhielt. „Wir wollen die Macht über Bild und Ton nicht den Medienkonzernen überlassen“, erklärten die Macher von „Van Gogh TV/Piazza Virtuale“. Das interaktive Projekt animierte während der documenta IX in Kassel zum spielerischen Dialog mit dem Fernseher per Datenleitung. Weitere Preise gingen an den Leiter des „Studios Akustische Kunst“ beim Westdeutschen Rundfunk in Köln, Klaus Schöning, und die Experimentalmusikerin und Komponistin Sabine Schäfer.

Der Vorbehalt, die Grenze zwischem Banalem und Genialem verlaufe in der Videokunst zumeist unscharf, blieb jedoch angesichts der Ausstellungen auf der MultiMediale 3 bestehen. Bruce Naumans „Raw Material – Brrr“ zeigt auf drei Monitoren das Endlosvideo eines Mannes, der kopfschüttelnd den Laut „Brrr“ ausstößt. Dazu ZKM-Direktor Heinrich Klotz: „Nie ist das Bild des Menschen aggressiver und unnachgiebiger bis zur gänzlichen Entstellung und Lächerlichkeit isoliert worden.“ Naumans Videoinstallation gehört zum Komplex „Bewegte Bilder – Elektronische Kunst“, in dem Genrekoryphäen wie Jonathan Borofsky, Marie-Jo Lafontaine und Fabrizio Plessi mit Arbeiten vertreten sind. Als eine weitere Ausstellung wurde „Orgelpunktpunktkommastrich“ vom Institut für Musik und Akustik am ZKM initiiert, doch die wenigen gezeigten Arbeiten gehen in der Übermacht der visuellen Reize leider unter.

Das spannendste Projekt der diesjährigen MultiMediale ist aber die Ausstellung „neuFundland“ unter der Ägide von Jeffrey Shaw, dem Leiter des Instituts für Bildmedien am ZKM. Hier versammeln sich größtenteils aktuelle Projekte, die das ganze Repertoire elektronischer Kunst abdecken. Jean-Louis Boissier aus Paris realisierte die Multimediainstallation „Flora petrinsularis“, die Rousseaus Schriften zur Botanik in ein per Video illustriertes elektronisches Buch übersetzen.

Paul Sermon vereint in seiner „Telematic Vision“ zwei Couchpotatoes, die mehrere Kilometer voneinander entfernt auf je einem Blue-Box-Sofa sitzen, per ISDN- Leitung vor einem Fernseher. Vielleicht weckt diese leicht zugängliche Erlebniskunst das Interesse an einer interaktiven Medienzukunft abseits von kommerziellen Interessen multinationaler Medienkonzerne.

Die MultiMediale 3 in der IWKA- Halle ist noch bis zum 13. November täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen