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Zur freiwilligen Heimkehr gezwungen

Indien schickt tamilische Flüchtlinge zurück nach Sri Lanka. Für die Regierung in Colombo ist jeder von ihnen ein mutmaßlicher Terrorist  ■ Aus Colombo Walter Keller

Im Hafen von Trincomalee füllt sich langsam der Pier mit schwerbewaffneten Polizisten. Sie tragen Munitionsgürtel um den Bauch und umklammern fest ihre AK-47, die legendäre Kalaschnikow, die sonst der Armee vorbehalten ist. Dazwischen steht der Brite Rod Slip vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der zusammen mit anderen Mitarbeitern in den nächsten Tagen viel Arbeit bekommen wird.

Hier im Nordosten Sri Lankas, wo sonst Weizen für die Mühlen der „Prima Flour Mill“ gelöscht wird, soll heute eine andere „Fracht“ angelandet werden: 1.300 tamilische Flüchtlinge werden zurückerwartet. Sie alle hatten lange Jahre im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu eine sichere Zuflucht gefunden. Jetzt kehren sie zurück, so wie schon 30.000 vor ihnen, die bereits im vergangenen Jahr kamen.

Kein Zweifel, Indien will zumindest einen Großteil der insgesamt fast 200.000 tamilischen Flüchtlinge wieder loswerden, von denen viele bereits seit 1983 in Tamil Nadu leben. Sie waren nach den antitamilischen Pogromen desselben Jahres meist mit kleinen Fischerbooten ins rettende Südindien geflüchtet, andere waren später gekommen, nachdem ihre Heimatgebiete zu Kriegszonen wurden. Jahrelang konnten sie auf die große Sympathie und Hilfe der Inder bauen.

Damit ist es jetzt vorbei. „Die Rückführungsaktion der Inder ist Ausdruck einer veränderten Politik der indischen Regierung. Das Attentat auf Rajiv Gandhi vor gut zwei Jahren war der Auslöser. Angeblich sollen die tamilischen ,Befreiungstiger‘ (LTTE) daran beteiligt gewesen sein. Und die – so behauptet es Indien – seien auch in den Flüchtlingslagern aktiv“, meint R. Chera, Mitarbeiter des „International Centre for Ethnic Studies“ in Colombo. Deshalb stehe die Entscheidung Indiens ausschließlich in Zusammenhang mit nationalen Sicherheitserwägungen. Man sei nicht etwa der Auffassung, daß die Flüchtlinge zurückgeschickt werden, weil sich die Lage in Sri Lanka verbessert habe. Indien, wo die LTTE zwischenzeitlich verboten ist, bestrafe mit der Rücksendung dieser Menschen kollektiv Zehntausende, die nun eine ungewisse Zukunft vor sich hätten.

Mittlerweile hat die MS Nicobar festgemacht. Das große Personenschiff wurde vom UNHCR gechartert, von dessen Vertretern das Rückführungsprogramm zumindest auf srilankischer Seite überwacht wird. An den kleinen runden, etwas trüben Seitenfenstern am Bauch des Schiffes drücken sich bereits einige Kinder die Nasen platt und schauen gespannt heraus.

Kurze Zeit später betreten die ersten Rückkehrer nach langen Jahren wieder srilankischen Boden. Für viele Kinder ist es das erste Mal. – Die meisten Ankömmlinge sind mit Koffern und Bündeln bepackt, viele Frauen tragen Kleinkinder auf dem Arm, mindestens zwei Frauen sind hochschwanger. Auch etliche alte Leute sind dabei, die sich fest an einen langen Stock klammern.

„Reverse flow of Tamil refugees“ nennen die Inder sprachgewandt die Rückführung, die seit ihrem Beginn Anfang 1992 schon mehrfach heftiger Kritk ausgesetzt war. Und auch anläßlich der jüngsten Repatriierungswelle haben Menschenrechtsorganisationen wie „Asia Watch“ aus den USA die indische Regierung wiederholt aufgefordert, den Rückführungsprozeß zu beenden. Die Organisation behauptet, Flüchtlinge würden letztendlich durch eine von den indischen Behörden zu verantwortende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in indischen Lagern zur Rückkehr nach Sri Lanka gezwungen.

Der verantwortliche UNHCR- Vertreter in Colombo, der Österreicher Peter Nicolaus, sieht das anders: Die Flüchtlinge kämen freiwillig, dies hätten Überprüfungen des UNHCR im südindischen Madras vor ihrer Ausreise ergeben. Für viele jener 30.000, die im letzten Jahr zurückgekehrt sind, sei dies vielleicht nicht der Fall gewesen, räumt er ein. „Die Inder haben die Tamilen damals zum Teil mit brennenden Zigarettenkippen traktiert, um sie auf das Schiff zu zwingen.“

Jetzt sei die Lage jedoch viel besser. Der UNHCR habe zwar noch keinen Zugang zu den zahlreichen Flüchtlingslagern, die indische Regierung gestatte der Organisation mittlerweile jedoch, Umfragen in einem Sammellager durchzuführen, in dem alle Flüchtlinge aus den verschiedenen Gebieten des Bundesstaates vor ihrer Ausreise zusammengeführt werden. „Alle wollten sie zurück“, stellt auch der Nepalese Bahadur Thapa fest, der für den UNHCR in Madras arbeitet.

Die Rückfrage bei den Flüchtlingen nach ihrer Ankunft in Trincomalee ergibt kein einheitliches Bild. Einige erzählen, sie seien froh, wieder in der Heimat zu sein. Niemand habe sie gezwungen. Andere sprechen jedoch die seit dem Attentat auf Rajiv Gandhi schlechte Behandlung durch die indischen Behörden an, von denen sie teilweise „wie der letzte Dreck“ behandelt worden seien. Sie berichten darüber, wie sich die Situation in den Lagern verschlechtert habe, und von zahlreichen Schikanen der Behörden. Der ganze Ärger und viele Demütigungen hätten sie zur Rückkehr nach Sri Lanka veranlaßt.

Einige der Gesprächspartner haben kaum eine Vorstellung davon, was sie nun in ihrem Heimatland erwartet, obwohl sie angeblich bereits in Indien über die Verhältnisse zu Hause aufgeklärt worden sind. „Wird man hier nach uns schauen, uns helfen? Wer gibt uns zu essen?“ fragt ein alter Mann. Viele von denen, die nach einigen Tagen Verwaltungsprozedur und Zwischenstation in einem zum Übergangslager umfunktionierten ehemaligen Touristenhotel dann per Bahn in Richtung der westlich liegenden Distrikte Mannar und Vavuniya geschickt werden, haben kaum die Möglichkeit, sich in ihren ehemaligen Siedlungsgebieten wiederanzusiedeln, da diese militärisch weiterhin hart umkämpft sind. Vermutlich werden sie schon bald wieder in einem Lager landen und dort ein neues Flüchtlingsdasein fristen. Schwer werden es auch jene etwa hundert Familien haben, die soeben mit ihrem Gepäck die „Nicobar“ verlassen haben. Sie stammen aus dem Osten der Insel, und auch dort ist man von Normalität noch weit entfernt. Schon das Auftreten der Polizei am Pier im Hafen zeigt, daß hier bei weitem nicht alles so „im Griff“ ist, wie die Regierung immer wieder behauptet. „Die Streitkräfte kontrollieren allenfalls die Städte sowie die Gebiete, die in unmittelbarer Nähe der wichtigen Straße entlang der Küste liegen“, meint Joseph Pararajasingham, tamilischer Parlamentsabgeordneter der „Tamil United Liberation Front“ (TULF). „Der Osten kann nur durch massive Militär- und Polizeipräsenz gehalten werden“, behauptet der Abgeordnete.

Die Nöte und das ungewisse Schicksal der Indien-Rückkehrer stellen nur die Spitze eines Eisbergs in einem Konflikt dar, unter dem Hunderttausende zu leiden haben. Insgesamt sind es derzeit nach Angaben des Ministeriums für Rehabilitation und Sozialfürsorge gut eine halbe Million Binnenflüchtlinge, die wegen anhaltender Auseinandersetzungen in Sri Lankas Nord- und Ostgebieten, aber auch wegen des brutalen Vorgehens der LTTE gegen Kritiker und Dissidenten derzeit in Flüchtlingslagern leben oder ihre Heimat verlassen haben.

Zehntausende Tamilen sind nach Colombo geflüchtet, wo sie entweder bei Verwandten oder in Hotels und kleinen Absteigen, lodges genannt, leben. Ihre Sicherheit im Süden der Insel ist allenfalls relativ: Täglich werden dort Tamilen von der Polizei, die angeblich auf der Suche nach eingedrungenen LTTE-Kämpferinnen und -Kämpfern ist, meist willkürlich aufgrund der repressiven Gesetze verhaftet. Berichten zufolge sind allein seit Anfang des Jahres mindestens 8.000 meist jugendliche Tamilinnen und Tamilen im Großraum von Colombo verhaftet worden. Die meisten wurden zwar nach kürzerem Aufenthalt in einer Polizeistation wieder freigelassen, „Tamilen werden allerdings täglich gedemütigt“, wirft der tamilische Journalist Baskaran, der selbst vor kurzem verhaftet wurde, der Polizei vor. „Wenn man einen Blick auf die Aktivitäten des Staates wirft, wird einem klar, daß alle Tamilen auf Sri Lanka als Terroristen angesehen werden.“

Die Schilderungen Baskarans sind kein Einzelfall. „Tamilen sind in den südlichen Landesteilen nicht sicher“, behauptet auch der Präsident der Menschenrechtsorganisation „Movement for Interracial Justice and Equality“ (MIRJE), der Singhalese Charles Abeyeskera. „Die Auffassung, die von westlichen Botschaften in bezug auf eine angebliche Sicherheit für Tamilen im Süden vertreten wird, beruht auf einem Mythos, der nicht zuletzt von der Regierung Sri Lankas in Umlauf gebracht wird.“ Die gleiche Auffassung vertritt der Rechtsanwalt Kalyananda Tiranagama, Präsident der „Lawyers for Human Rights and Development“ in Colombo. „Jeden Tag kommen verängstigte Eltern zu mir und bitten darum, daß ich mich für die Freilassung ihrer Kinder einsetze“, meint Rechtsanwalt Tiranagama.

Er glaubt außerdem, die Verhaftung von Tamilen im Süden sei zu einem großen Geschäft für die Polizei geworden, da Eltern oft an die Beamten Bestechungsgelder zahlten, um ihre Kinder schnell wieder freizubekommen. „Tamilen werden hier im Süden nicht verhaftet, weil sie vielleicht Mitglieder der LTTE sein könnten. Sie werden inhaftiert, nur weil sie Tamilen sind“, lautet der schwere Vorwurf, den R. Cheran vom „International Centre for Ethnic Studies“ in Colombo macht.

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