Sanssouci: Vorschlag
■ Tanz im Tacheles
„Den Körper dem Tanz zu leihen, bedeutet sozusagen mit dem Teufel einen Vertrag zu schließen. Da fallen uns Himmel und Hölle gleichzeitig ein.“ Butoh kennt keine Kompromisse, fordert die Tänzer bis auf die Knochen und die großen Worte hat die Choreographin Anzu Furukawa bei der inzwischen legendären „Rent-a-body“-Butoh-Performance 1989 im Ballhaus Naunynstraße eingelöst. Über 50 TänzerInnen bewegten sich damals durch die Flure und den Theatersaal, durch Bar und Galerie. Zunächst völlig unbeweglich an den Wänden klebend, ließen sie sich auf die Körper der Besucher fallen, glitten an ihnen hinab auf den Boden und schlängelten sich durch ihre Beine. Das Butoh- Tanztheater tatoeba théatre danse grotesque, das das Happening angeleiert hatte, ist seitdem mehr als ein Geheimtip.
Die neueste Produktion von tatoeba, „Eclipse“, ist zur Zeit im Tacheles zu sehen. Zwei Tänzerinnen und ein Tänzer führen die Metamorphosen des Fleisches vor. Wie siamesische Zwillinge kleben Minako Seki und Yumiko Yushioka aneinander, hocken auf einem wie zu einem frischen Grab aufgeschütteten Sandhaufen und von weißem Garn völlig eingesponnen, scheinen ihre Körper in dem zerfledderten Kokon seit ewigen Zeiten ineinander verwachsen. Langsam kommt Bewegung in das erstarrte Bild, heben sich die Arme, krallen sich Hände und Füße und schließlich bricht der gemeinsame Körper entzwei und wie ein Wurm, den man zerhackt hat, kriechen die beiden Tänzerinnen in verschiedene Richtungen davon.
Eigentlich wird die japanische Legende von der Sonnengöttin Amterasu erzählt, die sich, vom Bruder beleidigt, in eine Höhle verkrochen, alles Licht von der Welt genommen hat und nur schwer wieder hervorzulocken war. Doch aus dem Grabhügel ziehen Minako Seki und Yumiko Yoshioka, mit geblümten Küchenschürzen über den nackten, weiß angemalten Körpern und mit zu Grimassen verzogenen Gesichtern, die sie wie alte Bäuerinnen erscheinen lassen, keine Sonnenstrahlen: Hammer und Sichel liegen im Grab verborgen. Es kommt nicht zusammen, was nicht zusammen gehört – ratlos hantieren die beiden mit dem symbolträchtigen Handwerkszeug, das befremdlicher sicher selten in irgendwelchen Händen lag.
Solch stringente Geschichten wie sie der Regisseur Raimund Driesen mit der Gruppe inszeniert hat, sind dem Butoh eigentlich fremd und was sich tatoeba selbst ins Programm geschrieben hat, gelingt hier nicht: Den Eindruck zu vermitteln, daß man nicht auf der Erde steht, sondern an ihr hängt. Wenn im poppigen Schlußbild Kim Itoh als HipHop-Tänzer brilliert, dann scheint der Abend die Hoffnung vermitteln zu wollen, daß es der Lärm der Straße ist, der die neugierige Göttin wieder aus der Höhle hervorlockt. Schön wär's ja. Michaela Schlagenwerth
Weitere Aufführungen bis zum 21.11. täglich um 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße, Mitte
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