: Ein Herz für die Keramik
■ Gesichter der Großstadt: Die 86jährige Hedwig Bollhagen ist die älteste Unternehmerin der Bundesrepublik / Die Töpferei läßt sie einfach nicht los
Ursprünglich sollte sie in das Bankgeschäft der Familie einsteigen – Anfang der zwanziger Jahre, als die Inflation sich ihrem Höhepunkt näherte. Doch sie konnte ihre Verwandten schnell von der Sinnlosigkeit dieses Plans überzeugen. Von der Last, „etwas werden zu müssen“, befreit, wendete sich Hedwig Bollhagen ganz und gar ihren künstlerischen Ambitionen zu und erlernte das Handwerk, das sie auch heute noch mit sehr viel Leidenschaft betreibt: die Keramikherstellung.
Mit 17 absolvierte sie die keramische Fachschule im Westerwald und ging danach auf Wanderschaft. Das war für eine junge Frau ihrer Generation und Herkunft äußerst ungewöhnlich. Obwohl sie den „entsetzlichen Kitsch“ der Rosenthal-Betriebe ablehnte und auch den „herzigen Sachen“ im bayerischen Partenkirchen nichts abgewinnen konnte, lernte sie viel. Ihren Stil hatte sie längst gefunden, „zweckmäßig, machbar und zeitlos“ sollte er sein. Vorbilder waren die Arbeiten der Bauhaus-Schüler Margit Friedländer und Otto Mündig. Noch heute arbeitet sie nach Entwürfen von 1929 – aus Überzeugung, „nicht, weil ich zu faul war“. Von Anfang an wollte sie keine anspruchsvollen Einzelstücke herstellen, sondern Gebrauchskeramik.
1934 gründete sie gemeinsam mit Bauhaus-Absolventen, deren Steingut- und Fayence-Fabrik im nahen Velten in Konkurs gegangen war, die Werkstätten für Keramik in Marwitz. Sie startete mit 40 Mitarbeitern und einer gehörigen Portion Idealismus. Der Anfang war in einer Zeit von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit sehr schwer. Den Händlern war die sachliche, aber vergleichsweise aufwendig produzierte Keramik zu teuer: „Kaffeetopp ist Kaffeetopp, der darf nicht so viel kosten“. Und denen, die sich damals Neuanschaffungen leisten konnten, gefielen die schlichten, blauen Dekors nicht. Sie vermißten die schnörkelige Vornehmheit – „teuer aussehen“ hieß der Trend.
Dennoch überstand Hedwig Bollhagen mit ihrer Fabrik die Wirtschaftskrise, die DDR und jetzt auch die Treuhandanstalt. In der Nazizeit konnte die Produktion erst ungehindert weitergehen. Die Keramiken galten nicht als „entartet“, „Gott sei Dank ging unser Kram nicht unter Kunst“. Damit schlüpfte sie durch die Maschen der Zensoren. Im Zweiten Weltkrieg stellte dann sie Öfen für Luftschutzkeller her und später Terrinen und Eßnäpfe für die Ausgebombten. Auch während der Besatzungszeit hatte sie Glück, die Fabrik wurde nicht demontiert.
Dann wurde die „SBZ“ zur DDR. Obwohl sie die Fabrik freiwillig an den Staat verkaufte, konnte sie – „den volkseigentümlichen Planungsblödheiten“ zum Trotz – auch in dieser Zeit ihren eigenen Weg gehen. Ihre Popularität hat sicher nicht unwesentlich dazu beigetragen. Während der Ulbricht-Ära hörte sie in einer Radiosendung anläßlich der Kunstausstellung in Dresden, auf der auch einige ihrer Objekte vertreten waren, daß ihre Zylindervasen heftig kritisiert wurden. Zylindrisches sei „kosmopolitisch und geistlos“. Wenig später kam ein Händler aus Dresden angereist und verlangte vor allem nach diesen Keramiken, „alle Leute wollten plötzlich Zylindervasen haben“.
Sie produzierte jedoch nicht nur Teller, Tassen und Kannen, sondern beteiligte sich seit den fünfziger Jahren an Restaurierungen. Zur 750-Jahr-Feier rekonstruierte sie das Ziffernblatt der Nikolai- Kirche und den Wappen-Adler des Roten Rathauses: „Davon haben wir ganz viele gemacht. Gott sei Dank sind sie ganz oben und man sieht sie gar nicht.“ Sie findet den Adler mit Schwert und Zepter „scheußlich“.
Zur Wende war sie 82 Jahre alt. Sie überlegte nicht lange, ob sie sich zur Ruhe setzen und noch ein bißchen „rumpopeln“ sollte, sondern beantragte die Reprivatisierung. „Ein reines Zuckerschlecken war das nicht.“ Viele Aufträge gingen ihr verloren, als die Kunstgalerien der DDR, für die sie vor der Wende produzierte, „zerplatzten“. Neue Abnehmer zu finden, brauchte Zeit. So mußte sie sich schweren Herzens von über 30 Mitarbeitern trennen. Einige gingen sogar freiwillig, weil sie woanders mehr Geld verdienen konnten. Jetzt feierte sie ihren 86. Geburtstag. Aufzuhören kann sie sich nicht vorstellen: „Das Töpfern läßt einen ja nicht los!“ Christine Sievers/Marie Klein
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen