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Die Bahn rollt aufs Reformgleis

Einigung der Länder mit dem Bund über Finanzierung der Regionalisierung / Nur Hamburg hat Bedenken / Ab dem 1. Januar 1994 drei AG / Bund behält den Ballast  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Der Zug ist abgefahren. Die Weichen für die Bahnreform sind endgültig gestellt. Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann verkündete am Freitag stolz den „Durchbruch“: Nach dreieinhalb Stunden hatten die Länderregierungschefs sich mit Kanzler Kohl und seinem Verkehrsminister grundsätzlich geeinigt.

Am 1. Januar werden Bundes- und Reichsbahn in privatwirtschaftliche Aktiengesellschaften überführt. Ein Jahr später übernehmen die Länder und Kommunen die Organisation und die Bezahlung des Nahverkehrs. Für diese neue Aufgabe bekommen sie zunächst bis 1996 jährlich 14,5 Milliarden Mark vom Bund – 8,2 Milliarden als Zuschüsse und 6,3 Milliarden im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Ab 1997 wird dann ein Traum vieler Landesväter wahr: Sie erhalten einen Teil der Mineralölsteuer, die bisher vom Bund allein kassiert wurde. Zur Jahrtausendwende haben sie nach bisherigen Berechnungen etwa 17,3 Milliarden Mark als Ausgleich für ihre Belastungen durch die Bahnreform in der Kasse. Jetzt fehlt nur noch das Ja vom Bundesrat. Aber außer in Hamburg scheint es in keinem Landeskabinett mehr grundsätzliche Bedenken zu geben.

Daß die Bahn umstrukturiert werden müsse, davon waren vor ein paar Jahren auch UmweltschützerInnen überzeugt. Denn im Vergleich zum Straßenverkehr hat die Bahn in den letzten 30 Jahren ständig an Boden verloren: 83 Prozent des Verkehrs rollen heute über Autobahnen und Landstraßen. Ein Schuldenberg von inzwischen 70 Milliarden Mark bremste die Bahn außerdem noch weiter aus. – Doch einen Geburtsfehler hatte die geplante Reform von Anfang an. Denn die Regierungskommission Bahn, die 1989 den ersten Vorschlag ausgearbeitet hatte, vertrat ganz eindeutig die Interessen der deutschen Wirtschaft. Ökologische und verkehrspolitische Überlegungen spielten hingegen kaum eine Rolle. Kein Wunder: Der Vorsitzende Günther Saßmannshausen saß nicht nur bei VW im Aufsichtsrat, sondern auch bei Shell und anderen Großkonzernen. Nur von einem Schizophrenen wäre zugleich ein Konzept zu erwarten gewesen, das Verkehr vermeidet oder von der Straße auf die Schiene umlenkt. Auch seine Verhandlungskollegen von den bedeutendsten deutschen Banken konnten wohl kaum als progressive Verkehrsexperten gelten. Was jetzt nach vier Jahren zähen Verhandelns herausgekommen ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Vorschlägen, die die Herren damals ausgearbeitet hatten.

Drei Aktiengesellschaften werden am 1. Januar 1994 ins Handelsregister eingetragen: Eine soll für den Personen-, eine andere für den Gütertransport zuständig sein. Die dritte AG verwaltet die Schienen. Nur in den ersten Jahren wird noch eine staatliche Holding die Aufsicht über die drei Unternehmen führen. Während sämtliche Aktien der beiden Unternehmen, die die Loks und Waggons besitzen, verkauft werden dürfen, bleibt der Bund bei der Fahrweg AG Haupteigner.

Wer einen Zug fahren lassen will, kauft die Schienennutzungszeit von der Fahrweg AG. Sie wird dem meistbietenden Kunden den Zuschlag geben. Auch ausländische Lok- und Waggonbesitzer haben künftig das Recht, ihre Dienste anzubieten. Kritiker des Gesetzes weisen darauf hin, daß die Besteller von Regionalverkehrszügen stark zubuttern müssen, wenn sie in Konkurrenz mit den lukrativen Fernzügen stehen. Ob die Ausgleichszahlungen des Bundes ausreichen, auch nur den heute schon mageren Nahverkehr aufrechtzuerhalten, scheint fraglich. Bis dato liegen keine Berechnungen der deutschen Bahnen vor, für wie viele Milliarden Mark Defizit der Regionalverkehr bisher verantwortlich war.

Zwar soll ins Grundgesetz ein Satz aufgenommen werden, wonach der Bund „bei den Verkehrsangeboten dem Wohl der Allgemeinheit Rechnung tragen“ müsse. Diese schwammige Formulierung aber wird kaum verhindern, daß die betriebswirtschaftlich rechnenden Manager der Schienengesellschaft Nebenstrecken stillegen oder Grundstücke in begehrten Gegenden lieber verkaufen als Gleise darauf betreiben.

Den enormen Schuldenberg der beiden Bahnen übernimmt eine Institution mit dem paradoxen Namen „Bundeseisenbahnvermögen“. Sie gehört dem Bund und führt zunächst einen Schattenhaushalt, der im nächsten Jahr offiziell noch nicht in den Büchern von Finanzminister Theo Waigel auftaucht. Auch die Beamten werden von dort aus weiterbezahlt. Die Aktiengesellschaften haben die Möglichkeit, so viele Staatsdiener auszuleihen, wie sie brauchen. Scheinen ihnen Leute auf dem freien Arbeitsmarkt geeigneter, bleiben die Beamten sitzen. Ihre Gehälter aber werden selbstverständlich weitergezahlt – aus dem Bundeshaushalt. Wie hoch dieser Posten werden wird, ist noch völlig unklar.

Kritiker glauben, daß die Bahn durch die Reform noch weiter abgehängt wird. Denn die reine Orientierung auf wirtschaftliche Effizienz bevorzugt die Schnellzüge; 90 Prozent der BahnkundInnen aber nutzen das ökologische Verkehrsmittel für Kurzstrecken. Schon im Vorfeld der Reform wurde das Angebot weiter eingeschränkt. 1992 wurde das Sitzplatzangebot um sechs und wurden die Güterwaggons um zwölf Prozent abgebaut, errechnete die Initiative Bessere Bahn. „Halbe Bahn fürs ganze Volk“, kommentiert Robin Wood das Gesetzesvorhaben.

Kommentar Seite 10

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