Betr.: Richard Deacon

In der klaren, nie mimetischen Figuration der Arbeiten von Richard Deacon sind Einflüsse der klassischen Moderne von Brancusi bis González ebenso spürbar wie des Minimalismus. Donald Judd zählt denn auch zu den Künstlern, von denen sich der 44jährige Waliser beeinflußt weiß. Aber anders als die geometrisch rektangulären Gebilde der Minimal art bevorzugt Deacon biomorphe Formen: Kurven und Spiralen, die meist in einer Art von labilem Gleichgewicht und vager Bodenhaftung ohne jeden auratischen Sockel den Raum besetzen. Das gestalterische Vokabular erinnert an technoide Artefakte ebenso wie an organische Verschlingungen. Kompakte und geschlossene Körper tauchen dagegen nur selten auf, zumal der Künstler offene Dimensionen liebt. Durchblicke bestimmen das Bild der Plastik, doch Deacon bevorzugt bei der Umsetzung wiederum Materialien, die diesem Willen entgegenarbeiten. Laminiertes Holz oder weiches Aluminium, gehämmertes Kupfer oder Polyester und Glasfiber. Der hannoversche Kunstverein stellt nun mit retrospektivem Anspruch 14 der wichtigsten Werke Deacons aus den Jahren 1987 bis 1993 in seinen weitläufigen Räumen in der Sophienstraße vor. Gleichzeitig kam Deacon einem Wunsch von Ausstellungsmacher Eckhard Schneider nach und zeigt in der Orangerie zwei neue großformatige Skulpturen, die der documenta-IX-Teilnehmer eigens für die 100 Meter lange Halle aus dem 18. Jahrhundert entwickelt hat.

Es handelt sich um eine Arbeit aus laminiertem Holz, die wie ein vielfach in sich verknäulter Schaukelstuhl wirkt. Die verschlungenen Courbatouren entwickeln ein Volumen, das – typisch für die meisten Arbeiten Richard Deacons – von der Kontur bestimmt ist, nicht durch Masse. Die andere Arbeit aus Stahl breitet sich flach wie eine Flunder auf dem Boden der Halle aus. Auf ihrer genieteten Oberfläche bricht sich das Licht wie in einer silbrig glitzernden Pfütze.Michael Stoeber

Abb.: Richard Deacon: „What could make me feel this way“, 1993Foto: Kunstverein Hannover