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Wie ein Bundeswehrgeneral

■ 5. Deutscher Redewettstreit für politischen Nachwuchs / Simulierte Bundestagssitzung mit echtem Bundestagspräsidenten / Leiter der Bonner Rednerschule macht den Buckel

Wer, um Himmels Willen, redet hier? „Bundeswehreinsätze müssen in der Nähe von Israel und Polen möglich sein.“ „Frauen sind ganz normale Menschen.“ Steffen Heitmann? Vernachlässigte Kinder aus Plattenbausiedlungen? Quatsch, hier gehen die besten politischen Nachwuchsredner Deutschlands zur Sache. Der Förderkreis Politische Rhetorik hatte sie ins Rote Rathaus geladen, zum 5. Deutschen Redewettstreit für politische Junioren. Im Vorstand des Förderkreises sitzen zwei Bundestagsabgeordnete und Peter Ditko, Leiter der Bonner Rednerschule – einer der versiertesten Rhetoriker unserer Republik.

Bevor Ditko die Gäste begrüßte, dienerte er vor dem Regierenden Bürgermeister – ungefähr dreiundsiebzigmal. Dann die hohe Kunst der Rede. Wie stelle ich mich auf? Na klar, so wie der Gefreite Ditko, Beine ordentlich zusammen und vor allem gerade. Was mache ich mit meinen schweißnassen Händen? Dasselbe wie Ditko: Ich presse sie gespreizt aneinander. Bei Höhepunkten der Rede nehme ich meine Hände kurz auseinander, so als ob ich um Almosen flehe. Wie rede ich? So wie Pastor Ditko: „Und so wollen wir dann hier in einem Wettstreit herausfinden, wo die Talente sind.“

Erstes Talent: Ein Stegreifredner der Jungen Union. Sein Thema: die Chancen von Frauen in der Wirtschaft. Er beginnt, wie es ihm seine Polit-Idole gezeigt haben: „Diesmal geht es nicht um Hunde oder Rauchverbot, sondern um einen anderen Bereich – die Frauen. Frauen haben's schwer, das sage ich nicht nur aus eigener Erfahrung.“ Die Lacher im Publikum verunsichern den Redner. Seine rechte Hand fährt kurz über seinen Bauch – er ist im vierten Monat schwanger. Dann spricht Daniela von den Jusos über härtere Strafen für Umweltsünder. Auch ihr Einstieg, ein klassischer. Sie definiert den Begriff! Wir hören: „Umweltsünder, wer ist das überhaupt? Hundehalter, die den Dreck nicht wegräumen. Raucher, die Zigarettenpapier wegwerfen.“ Ja, Daniela, Du hast die Probleme Deiner Zeit erkannt. Hundescheiße macht Dich kaputt, nicht große Chemiekonzerne.

Um 21 Uhr der Höhepunkt des Wettredens: die simulierte Bundestagssitzung mit einem echten Bundestagspräsidenten, Dieter- Julius Cronenbourg – Quatsch – Cronenberg, nach ein paar Bierchen puterrot. Hinter dem Rednerpult steht ein Jungsozialist aus Mecklenburg-Vorpommern. Mit erstickter Stimme und Tränen in den Augen schwärmt er von einer neuen Rolle der Bundeswehr. Er fordert weltweiten Einsatz, „auch in der Nähe von Israel und Polen“. Zwischenruf von rechts: „Das hört sich ja an wie ein Bundeswehrgeneral!“ Antwort des Unbeirrten: „Haste Pech gehabt.“ Pech? Bei dieser Veranstaltung hat niemand Pech gehabt. Hier sind alle glücklich. Dieter-Julius Cronenberg ist glücklich, weil er im Foyer bei den Sponsoren McDonald's und Schultheiss naschen darf. Peter Ditko ist glücklich, weil nicht alle gemerkt haben, daß er nur eine schlechte Kopie ist von Lothar de Maizière: Er hat denselben spärlichen Bartwuchs, dasselbe servile, nach Anerkennung forschende Lächeln und denselben Sprachfehler, aber noch weniger Ausstrahlung. Der Regierende Bürgermeister ist glücklich, weil er die Veranstaltung schon nach zehn Minuten wieder verlassen hat. Und die jugendlichen Redner sind glücklich, denn hier dürfen sie endlich mal alles rauslassen, über alle Partei-, Moral- und Blödheitsgrenzen hinweg. Wie sagte unser Kaiser 1914, als er unsere Jungens ins Feld schickte? „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Nils Klawitter

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