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Wenn am Grab die Whiskyflasche kreist

■ Ein Friedhofsgärtner erzählt: Von Hexensabbaten und Klopfzeichen aus der Gruft     Von Joachim Reiss

Die Arbeit hat Spuren hinterlassen. Schaufel und Spitzhacke nimmt Peter Normann nicht mehr in die Hand. „Das Kreuz“, sagt er und verzieht sein Gesicht. Jetzt agiert er mehr auf sozialtherapeutischem Gebiet. Denn vielen, vor allem alten Menschen, ist der Gärtnermeister der einzige, der ihnen nach dem Verlust des Lebenspartners zum Sprechen geblieben ist.

Äußerlich erinnert an dem 45-Jährigen mit massiv goldenem Ring, klobig goldener Armbanduhr, blauem Anzug und einer holzfaserig gemusterten Plastikfliege um den Hals rein gar nichts an einen Friedhofsgärtner. Seit 20 Jahren arbeitet der Mann in Ohlsdorf und ist dort für die Pflege von 27.000 der über 250.000 Grabstätten des mit 400 Hektar größten Parkfriedhofs der Welt verantwortlich. 360 Menschen ackern hier auf einem Grund, in dem seit der Friedhofseröffnung 1877 die Gebeine von über 1,3 Millionen Menschen verscharrt wurden.

Fiedhofsarbeit ist Knochenarbeit. Bandscheiben- und Rheumaleiden sind an der Tagesordnung. Bei jedem Wind und Wetter, jahrein, jahraus, muß der schwere lehmige Mutterboden ausgehoben und transportiert werden. Und jetzt, zur Herbstzeit, machen Berge von Laub Normanns Zwölf-Mann-Trupp das Leben zusätzlich schwer. Das macht die Arbeit hier nicht gerade zu einem begehrten Job. Viele Gärtner wollen mit Friedhöfen nichts zu tun haben. Die Fluktuation an Arbeitskräften ist groß, und oft sind es nur Saisonarbeiter, die sich hier als Hilfskräfte ein paar Mark dazuverdienen.

Rein finanziell läuft der Friedhof aber hervorragend. Obwohl der Umweltbehörde unterstellt, gibt's vom Staat keinen Pfennig dazu. Und dort, wo nicht einmal der Tod umsonst ist, blüht das Geschäft. 50 Millionen Mark beträgt der Jahresetat. Dafür aufkommen müssen natürlich die Kunden, wie hanseatisch kühl die Klientel bezeichnet wird. Die Preise für die letzte Ruhestätte schwanken zwischen 1200 Mark für ein Reihengrab in Randlage und 20.000 Mark für ein Mausoleum, das sich die gut betuchten Kaufmannsfamilien leisten. Für den Normalverbraucher kommen dann noch 3000 - 8000 Mark an Beerdigungskosten hinzu, die sich Bestattungsunternehmer, Steinmetze und Zimmermänner teilen.

Zur letzten Ruhe wird der Holzsarg dann exakt in 1,70 Meter Tiefe deponiert, weil - wie Wissenschaftler herausgefunden haben - in diesem Versenkungsniveau die idealsten Verwesungsbedingungen herrschten. Denn nach 25 Jahren werden die Reihengräber wieder aufgebuddelt und neu gefüllt. „Normalerweise finden wir da nur noch Mehl“, berichtet Normann aus der Alltagspraxis. Doch einige Knochen sind so zäh, daß auch die Würmer daran keine Freude haben. Die müssen Normann und seine Mannen dann eben diskret im Nachfolgegrab entsorgen.

Wer sich und seine Liebsten vor so einem Schicksal bewahren will, sollte sich rechtzeitig um ein sogenanntes Wahlgrab kümmern. Das kostet zwar mehr, dafür besteht aber die Möglichkeit, dieses zu Lebzeiten noch selbst auszusuchen und die Bestattungsdauer auch über die obligaten 25 Jahre hinaus fortzusetzen.

Seit jeher zieht ein Friedhof Menschen in seinen Bann. Weit nach Toresschluß klettern - zuletzt am Buß- und Bettag - zwielichtige Gestalten über die Zäune und veranstalten dort ihre makaberen Rituale. Von „Hexensabbaten im Mausoleum“ weiß Gärtner Normann zu berichten. Aber auch satansmäßig weniger ambitionierte Jugendliche, die die Simulation von Wirklichkeit an Computer und Fernseher satt haben, suchen zu mitternächtlicher Stunde hier das echte Grufti-feeling.

Für Abwechslung sorgen jedoch nicht nur die ungebetenen Besucher. Selbst Angehörige entweihen den würdevollen Ort mitunter. „Einmal“, erinnert sich Normann, „hatten wir eine Beerdigung, wo am offenen Grab die Whiskyflaschen gekreist sind.“ Da hätte sich dann auch das Friedhofspersonal, das sich aus Pietätsgründen bei Bestattungen normalerweise im Hintergrund hält, nicht lumpen lassen und die Einladung zum Umtrunk gern angenommen. „Danach mußten wir die Kollegen einzeln nach Hause tragen“, fügt der Gärtner trocken hinzu.

Noch makabrer wird's, wenn es plötzlich aus der Gruft klopft. In so einem Fall muß der Notarzt ran. „Ich kann mich noch ganz genau erinnern“, berichtet Normann, „wie der junge Doktor kreideweiß über dem Grab gestanden und tatsächlich etwas gehört hat.“ Eilig wurde der Tote exhumiert. „Aber dann waren wir doch alle froh“, so Normann, „daß die Leiche schon ganz gelb war“, - der unumstößliche Beweis, daß der Verstorbene ordnungsgemäß vor der Beisetzung verschieden war.

Für Außenstehende befremdlich wirken auch die Abschiedsriten mancher Angehöriger. „Eine Frau hat sich mal breitbeinig über das Grab ihres Gatten gestellt“, erzählt Normann, und zum letzten Gruß in die Grube gepinkelt.

Solche Erlebnisse sind natürlich die Ausnahme, skurrile Farbtupfer in einem 20-jährigen Friedhofsalltag, der sonst von gedämpfter bis depressiver Stimmung ist. „Gerade wenn Kinder beerdigt werden“, sagt Normann „geht uns das mächtig an die Nieren.“ Aber 80 Prozent „unserer Kunden“, meint er, seien zwischen 80 und 90, wenn sie hierher kämen. Das ginge dann in Ordnung. „Wo sollen die denn sonst hin?“, fragt er mit großen Augen.

Traurig jedoch macht den Gärtner das Verhalten der Hinterbliebenen. Viele kümmern sich nicht um die Gräber ihrer Angehörigen, sondern lassen sie verkommen. Normann führt dies auf Vereinsamung und Gleichgültigkeit unter den Menschen zurück. Niemand interessiere sich mehr für den anderen. Es sei, doziert der Mann mit der Fliege, „eine Verarmung in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten“. Die Menschen entfremdeten sich deshalb auch vom Tod. Ihnen fehle die Fähigkeit zu echter Trauer, zu Trauerarbeit.

Die zunehmende Isolierung des Individuums in der amorphen Massengesellschaft belegt auch die steigende Zahl der anonymen Einäscherungen in der Urne: 1600 pro Jahr. Menschen, die dies verfügen, wollen entweder auch im Tod anderen nicht zur Last fallen, oder sie wissen, daß, wenn sich schon zu Lebzeiten keiner um sie gekümmert hat, dies danach erst recht nicht der Fall sein wird. Und so ist die Eliminierung der Erinnerung an die irdische Existenz eines Menschen die letzte Konsequenz eines vorher schon trostlosen Lebens.

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