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Saubermänner, Porno-Diven und Mussolinis Enkelin

Die verschiedenen KandidatInnen zu Italiens Kommunal-Teilwahlen setzen ihre eigenen Signale für die künftige politische Kultur des Landes  ■ Von Werner Raith

„Seit Generationen“, sagt Gianni Buongiorno und hievt eine Kiste in den Container an Mole 3 des Hafens von Genua, sei seine Familie „geradezu Symbol für die Arbeiterbewegung“. Er selbst war lange Zeit Sektionschef der Kommunistischen Partei seines Vorortes. Bei Wahlen hat es nie Zweifel gegeben: „Alle Kreuzchen unserer Verwandtschaft standen unter Hammer und Sichel.“

Diesmal jedoch, wenn er übermorgen den Bürgermeister seiner Stadt erstmals in direkter Wahl mitbestimmen soll, steckt er in einer tiefen Klemme. Angefochten wird Giannis einst eherne Überzeugung ausgerechnet von jenen, die seine Partei zu einer Art Erzübel erklärt hat – die „Ligen“. Der norditalienische Antiparteienbund, der bei den letzten Teilwahlen im Frühjahr in der Lombardei, Piemont und dem Veneto an die 40 Prozent Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte, habe mit dem fast 60jährigen Orthopäden Enrico Serra zwar „nicht gerade eine politische Koryphäe“ ins Rennen geschickt: „Aber gerade deshalb hat er meine Sympathie. – Wie die Ligen das in anderen Orten, etwa in Varese, gemacht haben, beeindruckt mich schon.“ Dort hatte der Bürgermeister bei seinem Amtsantritt erklärt, er werde einst stolz sein, wenn die Leute seinen Namen gar nicht kennen, den Ort aber hervorragend verwaltet finden „So ist es richtig“, sagt Gianni. Außerdem propagieren die „Ligisten“ Ziele, die auch in Genua nicht schlecht ankommen. So fordert Liga-Chef Bossi zum Beispiel einen „Landeskinder-Bonus“ bei Neueinstellungen – wer aus der Gegend stammt, soll anderen Bewerbern vorgezogen werden. Angesichts einer Arbeitslosenrate von 18 Prozent und der überall sichtbaren Konkurrenz von Billigarbeitern aus afrikanischen und asiatischen Ländern „eine große Versuchung“, der sich sogar Gianni nicht entziehen kann. Schließlich soll auch er nächstes Jahr seine Stelle verlieren.

So hat er denn gerade bei dem Kandidaten Probleme, den seine Partei, seit zwei Jahren mehrheitlich umgetauft in „Partito democratico della sinistra“ (PDS), präsentiert. Adriano Sansa, mehr als zehn Jahre jünger als der Ligen- Bewerber, ist ein anerkannt scharfsichtiger Amtsrichter, der schon in den 70er Jahren Korruptionsermittlungen durchgezogen hat und daher als Vorläufer der Säuberungsaktion „Mani pulite“ (Saubere Hände) gilt. „Moralisch ist der astrein“, meint Giannis Genosse Marco Fanelli bei einer abendlichen Besprechung, doch ein Chor von „Aber wofür steht der denn?“ bringt ihn zum Schweigen. In der Tat könnte man meinen, der Mann sei einer Klon-Anstalt entstiegen, so genau paßt er auf die angepeilte politische Mitte: PDS-Kandidat, unterstützt aber auch von der mit der Industrie verbundenen „Alleanza democratica“, gefördert dazu auch noch von Antiprohibitionisten und der Saubermann-Bewegung des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, Orlando; ein Linker, aber auch ein treuer Katholik, Mitarbeiter der Kirchenzeitschrift Famiglia cristiana. Ein Mann wie aus dem Bilderbuch für einen Neuanfang, sozusagen von Polit-Null an.

Doch gerade bei Null wollen Gianni und seine Genossen eben nicht anfangen. Ein Teil von ihnen trauert der alten KP nach, ein anderer sieht „gerade jetzt die dringende Notwendigkeit einer machtvoll akzentuierten Linken“, wie ein Jung-Genosse in den Raum ruft. Und einer murmelt: „So schlecht haben wir Genua auch nicht verwaltet, daß jetzt ein Quereinsteiger ranmuß!“

Wirtschaftliche Zahlen lassen die ehemalige Nummer eins der Mittelmeerhäfen freilich schlecht dastehen: Die Zahl der Be- und Entladungen ist in den letzten zehn Jahren auf ein Drittel gesunken, und zu allem Überfluß hat sich das Columbus-Jahr 1992 als totaler Flop erwiesen, fast eine Milliarde Mark zusätzlicher Schulden drückt seither auf die Stadtkasse.

Was die Genossen jedoch vor allem wurmt, ist ein Motiv, das sie bei ihren obersten Chefs entdeckt haben: „Die machen mit solchen Kandidaten längst keine eigene Politik mehr. Die wollen nur die Liga stoppen, das ist alles.“

Da hat er sicher recht – die Kandidatur Sansas hat das erklärte Ziel eines „Riegels“: Schafft es die unorthodoxe Koalition, die Ausdehnung der Ligen aus ihren Stammlanden in Nachbarregionen wie Ligurien zu verhindern, hätten die Altparteien wieder Aussichten, Terrain zu gewinnen. So haben sie auch in anderen oberitalienischen Städten, wie in La Spezia, Triest und Venedig, Kandidaten mit großer Popularität aufgestellt. In der Lagunenstadt kandidiert der Philosoph Massimo Cacciari, einer der angesehensten Denker Italiens.

Für die PDS geht es in all diesen Orten um die Sicherung ihrer „Nordflanke“: Das Zentrum Italiens, südlich von Florenz bis zum Nordrand von Neapel, mit Rom als Mittelpunkt, „gehört“ nach einhelliger Demoskopen-Meinung den Ex-Kommunisten, sei es in ihrer moderaten Form als PDS, sei es in der nostalgischen Gruppierung „Rifondazione comunista“. Auch wenn in Rom wohl mit Francesco Rutelli erstmals ein Grüner Bürgermeister einer Millionenstadt wird (sein ernsthaftester Gegenkandidat, weil vom Industriellenverband der Region Latium unterstützt, ist Neofaschistenchef Fini), sieht sich die PDS in der Metropole als Mit-Sieger. Schließlich haben die Ex-Kommunisten, um im Norden möglichst viel Unterstützung gegen die Ligen zu bekommen, in Rom zugunsten des beliebten Rutelli eines ihrer eigenen Aushängeschilder fallenlassen, den ehemaligen Kulturdezernenten Nicolini. Der kandidiert jetzt chancenlos für die Konkurrenz Rifondazione comunista. – Sozialisten, die einst in mehr als einem Drittel aller Gemeinden Bürgermeister gestellt haben, spielen im Norden wie im Zentrum keine Rolle mehr.

Die Christdemokraten sind so hoffnungslos abgeschlagen, daß ein Wahlkampfmanager fürchtet, der DC-Kandidat könne „noch hinter Moana Pozzi landen“. Das ist zwar übertrieben. Die Porno- Diva, die – wie ein gutes halbes Dutzend ihrer Arbeitskolleginnen in anderen Städten – ebenfalls antritt, wird wohl allenfalls einige Zehntel Prozent bekommen. Doch die Äußerung des Managers gibt die Stimmung in der einstigen Mehrheitspartei deutlich wieder. Ihre einzige Hoffnung sind einzelne Städte im Süden, wo die Partei seit jeher eine feste Klientel hat.

Doch auch dort wird es für die Katholikenpartei nicht mehr so leicht wie ehedem. In Neapel scheint sich der Kampf für die am 5. Dezember vorgesehene Stichwahl auf die für die Neofaschisten kandidierende Enkelin Mussolinis, Alessandra, und den PDS-Vertreter Antonio Bassolini zuzuspitzen – mit leichten Vorteilen für den Ex-Kommunisten. Und ausgerechnet in Palermo, einer ihrer ehemaligen Hochburgen, stehen die Christdemokraten derart auf verlorenem Posten, daß sie gar nicht erst versuchten, einen Kandidaten aufzustellen. Leoluca Orlando, der noch bei den Wahlen 1990 49 Prozent für die Democrazia cristiana geholt hat, steht diesmal für seine eigene Partei „la Rete“, und die Meinungsforscher geben ihm gute Chancen, schon im ersten Turnus durchzukommen.

Seine wichtigste Gegenkandidatin ist seine Vorvorgängerin im Amt, Elda Pucci. So wie Orlando die DC aus Protest gegen die Behandlung durch den seinerzeitigen Ministerpräsidenten Andreotti verlassen hat, ist die gelernte Gynäkologin Pucci aus Protest gegen Orlando aus der DC entschwunden und zur Partito liberale übergewechselt: „Orlando ist der undemokratischste Mensch, den ich je kennengelernt habe“, so ihr Verdikt über ihren ehemaligen Parteifreund. Orlando wütet unterdessen gegen die „sogenannte Liberale“, die bereits gezeigt habe, „daß sie keine Stadt regieren kann“.

Mittlerweile kommen auch so manchem Orlando-Fan Zweifel, ob der so beliebte „Rete“-Gründer noch immer so gut sein wird wie damals, als er in vorderster Linie gegen die Mafia kämpfte. Seinerzeit konnte er alles, was nicht lief, dem Wirken der bösen Unterweltler zuschreiben, aber heute ist Palermo eine andere Stadt. Mafiabosse wurden reihenweise verhaftet, ein Großteil ihres Kapitals arbeitet längst nicht mehr auf der Insel, sondern im Ausland, die mit den Dunkelmännern liierten Bauunternehmer sind aus dem Geschäft. Die Frontstadt-Stellung aus der Zeit des kalten Krieges ist verschwunden, seit man auf der Insel keine Cruise-Missiles mehr gegen den Feind aus dem Osten in Stellung bringen muß. Die Amerikaner haben deswegen sogar ihr Konsulat in Palermo geschlossen.

Doch gleichzeitig sind die Ressourcen knapper denn je und die sozialen Probleme noch größer als vorher. Ganze Stadtteile verfallen, rund 40 Prozent der Jugendlichen sind ohne Arbeit. „Ich habe von 1985 bis 1990 mehr als dreitausend Arbeitsplätze geschaffen, und nicht auf einen einzigen ist jemand durch meine persönliche Empfehlung gekommen“, sagt Orlando im überfüllten Plenarsaal der Universität. Doch heute muß er, statt neue Stellen zu schaffen, 500 städtische Angestellte entlassen. Schon stellen ihm in Versammlungen Gymnasiasten böse Fragen: „Sie sagen immer“, tönte einer, „daß es seit dem Fall der Berliner Mauer keinen Existenzgrund für ideologische Parteien wie KP und DC mehr gibt. Nun hören wir aber, daß die Mafia durch die Polizei auf Null gebracht wird. Wozu braucht Sizilien dann noch antimafiose Bürgermeister?“ – Mit dem Kampf gegen die Mafia allein wird Orlando die Wahl wohl nicht gewinnen.

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