: „Die DEA ist außer Kontrolle geraten“
Der Konflikt zwischen der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA und dem Washingtoner Außenministerium eskaliert / Drei DEA-Landesbeauftragte in Birma wurden abberufen / Kritik am „Krieg gegen die Drogen“ nimmt zu ■ Von Bertil Lintner
Eine Szene wie in einem amerikanischen Film: In den Slums von Harlem in New York kaufen Undercoveragenten von einem arglosen Straßenhändler Heroin. Sobald Drogen und Geld den Besitzer gewechselt haben, dröhnt eine Stimme aus dem Lautsprecher eines in der Nähe geparkten Autos. Andere Wagen schießen heran. Der Händler gerät in Panik und versucht zu fliehen. Aber es gibt kein Entkommen, der Mann wird verhaftet, seine Ware beschlagnahmt. Die „Drug Enforcement Agency“ (Drogenbekämpfungs- Agentur, DEA) hat in ihrem Krieg gegen die Drogen wieder einmal einen Sieg davongetragen.
Wirklich? In Washington bezweifeln inzwischen viele Politiker die Wirksamkeit derartiger Operationen. Leisten sie mehr, als den beteiligten Agenten ein Gefühl persönlicher Befriedigung und eine Menge Spannung zu verschaffen? Dabei sind die Kosten astronomisch: Jährlich gibt die DEA einige Millionen Dollar aus, um bei Straßenhändlern Drogen einzukaufen. Und wenn etwa die thailändische Polizei Suchtmittel beschlagnahmt, bezahlt die DEA außerdem bis zu 80 Prozent des lokalen Wertes. Erfolgt die Beschlagnahmung in der Hauptstadt Bangkok, so wird gar der dortige Marktpreis zugrunde gelegt.
Auch die politischen Kosten sind enorm. Die DEA operiert häufig unabhängig von anderen US-Regierungsbehörden und ohne Befehle aus Washington. Wäre es nicht sinnvoller, den sozialen und politischen Faktoren mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die für die Blüte des Drogenhandels verantwortlich sind? Und wie soll man sich verhalten, wenn Regierungen, die selbst tief in den Drogenhandel verstrickt ist, die DEA mit geschönten Zahlen über Festnahmen und Drogenverbrennungen versorgt, um ihre Unterstützung durch die USA sicherzustellen?
All diese Fragen stellten sich, seit ans Licht kam, daß der damalige DEA-Chef John Lawn am 8. Mai 1986 ein Anerkennungsschreiben an General Manuel Antonio Noriega geschickt hatte, den damaligen Oberbefehlshaber der Verteidigungsstreitkräfte Panamas. Darin gab Lawn seiner „tiefen Hochachtung“ vor dem „energischen Kampf“ Noriegas gegen die Drogen zum Ausdruck. Der Brief wurde in den Akten des Justizministeriums der USA vergraben, um allen Beteiligten eine Peinlichkeit zu ersparen. Aber die Information sickerte durch und verursachte einen gewaltigen Skandal.
Nun scheint sich die gleiche Geschichte in Birma zu wiederholen. Die offizielle US-Politik verurteilt die dort herrschende Junta, den „Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ (SLORC), wegen offener Menschenrechtsverletzungen und offensichtlicher Beteiligung am Drogenhandel im Goldenen Dreieck. Die DEA wiederum lobt den SLORC wegen seines „energischen Kampfes gegen die Drogen“. Resultat: ein Konflikt zwischen DEA und Außenministerium – und die Rückberufung von drei aufeinanderfolgenden DEA- Landesbeauftragten in Birma.
Als erster mußte im Dezember 1988 Gregory Korniloff gehen. Vor einigen Monaten hatte der SLORC die Macht ergriffen und Tausende unbewaffneter Demonstranten in den Straßen Ranguns zusammengeschossen. Der angesehene US-Botschafter Burton Levin hatte seine Mitarbeiter angewiesen, die Kontakte zum SLORC auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Ohne dessen Wissen versuchte Korniloff, mit Birmas gefürchteter Geheimpolizei, dem „Direktorat des Nachrichtendienstes der Verteidigungsstreitkräfte“ (DDSI), ein Treffen zu arrangieren. Als dies bekannt wurde, erteilte Botschafter Levin den Befehl, Korniloff müsse Birma innerhalb von 48 Stunden verlassen. Sein Nachfolger kam im Juli 1989: Angelo Saladino, dessen Erfahrungen sich auf Straßenoperationen in amerikanischen Städten beschränkten.
Saladinos Hauptsorge galt von Anfang an der Wiederaufnahme der US-Hilfe an Rangun, einschließlich der Unterstützung für die Antidrogenkampagne, die nach den Massakern von August und September beschnitten worden war. Im Februar 1990 besuchte eine birmanische Delegation Washington, um die Wiederaufnahme der US-Hilfe zu betreiben. Das Außenministerium weigerte sich, die Delegation zu empfangen, konnte aber mit Charles Rangel, dem Vorsitzenden des Drogen- Ausschusses im Repräsentantenhaus, sowie mit DEA-Vertretern sprechen. Das wiederum versetzte das Außenministerium in Rage, weil der Delegation auch der Brigadegeneral Tin Hia angehörte, der sich am Kampf gegen die Drogen zwar noch nie auch nur beteiligt hatte, aber für die Massaker von 1988 in Rangun verantwortlich war.
Saladino hatte den SLORC auf die Idee gebracht, parallel zu Tin Hias Besuch in den USA die erste öffentliche Drogenverbrennung in Birma zu organisieren. Diplomaten und UN-Vertreter wurden zu dieser Zeremonie eingeladen, bei der über 100 Kilo Opium und Heroin verbrannt wurden. Saladino zeigte sich Seite an Seite mit Brigadegeneral Khin Nyunt, dem mächtigen Chef des DDSI. Aber da dieses Ereignis bei der internationalen Presse keinerlei Aufmerksamkeit erregte, organisierten Khin Nyunt und die DEA einige Monate später eine „Medienblitzkampagne“. Zu diesem Zeitpunkt durften keine ausländischen Journalisten das Land betreten, aber Saladino sorgte dafür, daß ein CBS- Fernsehteam eine zweite Drogenverbrennung in Rangun filmen konnte.
Die US-Botschaft wußte davon nichts, Levin war gerade außer Landes. Die Fernsehbilder – die sich trotz Manipulationsversuchen der DEA und des DDSI als sehr professionell erwiesen – zeigten vor laufender Kamera einen offenen Streit zwischen Saladino und dem stellvertretenden Botschafter Chris Szymanski, was in Washington erneut Empörung auslöste. Einen weiteren Höhepunkt erreichte die Kontroverse, als im März 1991 entdeckt wurde, daß Saladino ein geheimes Memorandum an Khin Nyunt unterschrieben hatte, in dem er über die besten Methoden sprach, um die US-Regierung und UN-Behörden zu beeindrucken. Eine Kopie des Memorandums hatte sich die taz verschafft, die außerdem Hinweise darauf lieferte, wie man „viele der lautstärksten Kritiker Myanmars (Birmas) ihrer abgenutzten, aber immer noch wirksamen Waffen in ihrer Kampagne gegen Myanmars Anti-Drogen-Programm berauben“ könnte.
Weiter empfahl Saladino dem birmanischen Militär einige Methoden, um seine „voreingenommensten Kritiker“ zum Schweigen zu bringen. Saladino mußte Birma einige Monate später verlassen. Sein Nachfolger Richard Horn überschüttete jedoch weiterhin den SLORC mit Lob und organisierte unbefugt Treffen, ohne die Botschaft in Rangun auch nur zu informieren. Horn wurde im August dieses Jahres nach Washington zurückgerufen.
Der Grund für die unheilige Allianz zwischen DEA und dem birmanischen Militär bietet zu den verschiedensten Spekulationen Anlaß. Quellen in Washington halten offene Korruption für möglich. Naivität und mangelnde Erfahrung mit asiatischen Gesellschaften sind weitere wahrscheinliche Faktoren. Auf jeden Fall ist inzwischen offensichtlich, daß der DDSI die Station der DEA in Rangun von Anfang an erfolgreich manipuliert hat. Ein hoher DDSI- Vertreter, John Huinaun, arbeitete viele Jahre als „lokaler Berater“ im DEA-Büro in Rangun.
Fragt sich, was denn diese Politik der DEA in der Praxis bringt. In den offiziellen Statistiken wird deutlich, daß die Drogenproduktion in Birma in den letzten sechs Jahren in die Höhe geschossen ist. Das Land ist heute der wichtigste Produzent illegalen Opiums und Heroins, und bis zu 60 Prozent allen Heroins auf den Straßen von New York stammen aus dem Goldenen Dreieck. Noch vor fünf Jahren waren es kaum 20 Prozent. Beschlagnahmt wurde kaum etwas, wie die Statistiken belegen. Die Ernte von 1993 war die größte in der Geschichte des Goldenen Dreiecks.
Die Situation in Birma – und auch an anderen Orten in der Drogen produzierenden Welt – ist inzwischen so verwirrend, daß die Clinton-Regierung in den USA eine Übernahme der DEA durch die Bundespolizei FBI empfiehlt. Dies wäre das Ende der institutionellen Autonomie der DEA – und höchstwahrscheinlich auch ihrer umstrittenen Operationen im Ausland. „Die DEA ist außer Kontrolle geraten. Irgend etwas muß mit ihr passieren“, sagt eine gut informierte Quelle in New York.
Aus dem Amerikanischen
von Meinhard Büning
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