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Erster Staatsvertrag mit Jüdischer Gemeinde

■ Staatskirchenrechtliche Vereinbarung für ganz Berlin / Feiertage anerkannt

Gestern nachmittag unterzeichneten der Vorsitzende Jerzy Kanal für die Jüdische Gemeinde und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen für das Land Berlin den ersten Staatsvertrag in ihrer wechselvollen Geschichte. Bisher gab es seit 1971 nur eine für den Westteil geltende „Vereinbarung“, die die Beziehungen zwischen dem Senat und der Glaubensgemeinschaft regelte. Im Ostteil gab es nichts. Mit diesem Vertrag ist jetzt die Jüdische Gemeinde der protestantischen und katholischen Kirche in Berlin gleichgestellt. Jerzy Kanal würdigte den Vertrag als „Meilenstein in ihrer Geschichte“ und Diepgen als Bekenntnis und Verpflichtung, „daß diese Stadt (jüdische) Heimat ist und bleibt“. Der Staatsvertrag garantiere der Gemeinde „Freiheit und Unabhängigkeit“. Kultursenator Ulrich Roloff-Momin hatte im Vorfeld erklärt, daß dieser Vertrag „angesichts immer neuer antisemitischer Äußerungen und Anschläge“ ein erneutes und „manifestes Bekenntnis Berlins zu seiner großen Jüdischen Gemeinde ist – und umgekehrt“.

Die Nationalsozialisten hätten durch Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bürger einen nicht wiedergutzumachenden Verlust in der Stadtkultur angerichtet, Berlin sei deshalb verpflichtet, die Gemeindearbeit und Kultur besonders zu unterstützen. Die Mitverantwortung Berlins an der Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums steht auch in der Präambel des Vertrags.

Geregelt sind jetzt die Anerkennung der jüdischen Feiertage, die staatlichen Zuschüsse für den Religionsunterricht, die seelsorgerische Betreuung in Schulen, Krankenhäusern, Haftanstalten, die Unterstützung von kulturellen Aktivitäten sowie der Volkshochschule, der Stiftung „Neue Synagoge-Centrum Judaicum“ und der gemeindeeigenen Friedhöfe.

Der Jahreszuschuß für die etwa 10.000 Mitglieder zählende Gemeinde wird von etwa sieben auf 9,8 Millionen Mark erhöht. Zu diesem Sockelbetrag, der vor allem für Personalkosten bestimmt ist, kommen nach Angaben der Kulturverwaltung noch etwa 2,7 Millionen Mark, die in Bauvorhaben, beispielsweise auf den Friedhöfen, fließen sollen. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne freute sich in einer Erklärung über diesen Vertrag, forderte aber, daß der Senat ebenfalls die israelische Synagogengemeinde Adass Jisroel zu fördern habe.

Berlin ist nach Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen das vierte Bundesland, das einen staatskirchlichen Vertrag mit einer Jüdischen Gemeinde abgeschlossen hat. Kein anderer Vertrag enthalte aber, so die Kulturverwaltung, die Anerkennung von jüdischen Feiertagen. Die Berliner Gemeinde ist die größte Deutschlands und hat überproportional viele Neuzuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zu integrieren. Anita Kugler

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