: Rohrbomben gegen Reihenhaussiedlung
■ Anschlagserie auf Kreuzberger Stadtplaner und drei Architekten in Zehlendorf / „Klasse gegen Klasse“ als Täter?
Unbekannte haben in der Nacht zu Freitag in einer Zehlendorfer Reihenhaussiedlung mehrere Bomben- und Brandanschläge verübt. Sie waren ganz offensichtlich gegen den dort wohnenden Leiter des Kreuzberger Stadtplanungsamtes, H., und drei Architekten gerichtet. Menschen wurden zum Glück nicht verletzt, es entstand Sachschaden in noch nicht bekannter Höhe. In einer Polizei-Pressemitteilung von gestern heißt es: „Der Verdacht liegt nahe, daß es sich um die Fortsetzung der Straftaten handelt, zu denen sich autonome Gruppen unter dem Pseudonym ,Klasse gegen Klasse‘ bisher selbst bezichtigt haben“.
Der Leiter des Kreuzberger Stadtplanungamtes, H., sowie dessen Frau und drei Kinder waren zwischen 1.30 und 2.00 Uhr durch eine gewaltige Detonation aus dem Schlaf gerissen worden. „Ich dachte, das Haus stürzt ein“, so H., dem der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben stand, gestern vormittag gegenüber der taz. Fünf Minuten später hörten die H.s eine weitere Detonation in der Nachbarschaft. Wie die Polizei später ermittelte, war sowohl auf der Terrasse der Familie H. als auch auf der Terrasse des rund hundert Meter entfernt wohnenden Architekten-Ehepaars F. jeweils eine selbstgebaute Rohrbombe explodiert. Kurz darauf waren in unmittelbarer Nähe von H.s Haus zwei Fahrzeuge in Brand gesetzt worden, die dem Vernehmen nach zwei weiteren Architekten gehören.
Aufgrund der Tätigkeit von H. und der „verwendeten Tatmittel“ geht der Staatsschutz davon aus, daß „der oder die unbekannten Täter im autonomen Spektrum zu suchen sind“. Wie berichtet, gab es in jüngster Vergangenheit mehrere Anschläge in Kreuzberg, zum Beispiel auf das Restaurant Auerbach und auf den italienischen Spezialitätenladen Alimentari e Vini. Bekannt hatte sich dazu die stalinistische Kadergruppe „Klasse gegen Klasse“, die schon länger mit Brandanschlägen auf angebliche „Nobelkarossen“ von sich reden macht und vorgibt, damit gegen die Umstrukturierung von Kreuzberg durch Spekulanten und den „pseudoalternativen Mittelstand“ zu kämpfen. Über die Mittel und Ziele des „Kampfes“ herrscht zwischen Anhängern autonomer Gruppen und „Klasse gegen Klasse“ jedoch Streit.
Der Leiter des Kreuzberger Stadtplanungsamtes, H., ist fassungslos über den Anschlag. „Warum hier? Wen will man treffen?“ fragt er sich mit Fingerzeig auf die bescheidene, in den zwanziger Jahren von dem Bauhausarchitekten Bruno Taut entworfene Reihenhaussiedlung. „Ich fühle mich absolut unschuldig“, so H. Er als Beamter setze in Kreuzberg lediglich um, was das rot-grüne Bezirksamt beschließe. „Ich trete mit Herzblut für den Erhalt der Dinge und für eine bürgernahe Stadtplanung ein“, beschreibt er sich selbst und verwahrt sich entschieden dagegen, mit den Spekulanten in einen Topf geworfen zu werden: „Ich liebe Kreuzberg.“
Der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD) sprach von einem „Terroranschlag“. „Es gibt keine Rechtfertigung für solch verbrecherisches Tun.“ Über H. sagte Strieder zur taz: „Er hat Enormes geleistet, um die Grundstücksspekulation nicht ausufern zu lassen.“ Innensenator Heckelmann (CDU) veranlaßte gestern die Bildung einer speziellen Arbeitsgruppe von Polizei, Staats- und Verfassungsschutz, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung des „Anti-Berlin-Terrors in Kreuzberg“ befasen soll. Plutonia Plarre
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