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■ Nebensachen aus AmsterdamCarpool und keine MitfahrerInnen in Sicht

Niederländer haben ein neues Spielzeug. Es ist sieben Kilometer lang, 5,85 Meter breit, von Betonrampen eingeschlossen und das erste seiner Art in Europa. Sechzig Millionen Mark hat es gekostet und heißt „Carpool-Wechsel- Streifen“. Auf dieser neuen Fahrspur auf der A 1 südlich von Amsterdam zwischen Naarden und Diemen dürfen zu Stoßzeiten lediglich Autos mit mindestens drei Insassen fahren – morgens in Richtung Amsterdam, abends in die Gegenrichtung. Auf diesem Weg sollen Autofahrer angehalten werden, ihre Autos effizienter zu nutzen.

Kritiker spotten, daß zwar die Staus dadurch nicht kürzer würden, aber immerhin werde so verkehrspolitisch etwas gegen die wachsende Arbeitslosigkeit getan: Ganz im Stil der ehemaligen Transitstrecke nach West-Berlin wird der Carpool-Streifen rund um die Uhr von Wachtürmen aus und mit Hilfe von Kameras überwacht, um im Fall eines Unfalls die Autos möglichst schnell von dem abgetrennten Streifen heben zu lassen. Zusätzlich kontrollieren sechs Polizisten auf Motorrädern ständig die Einhaltung der Spielregeln.

Der niederländischen Öffentlichkeit verkürzt „Carpooling“ derweil die länger werdenden Winterabende mit Anekdoten. Reihenweise verstecken sich Beifahrer unter den Sitzen, inbrünstig hoffend, von der Polizei angehalten zu werden, um dann triumphierend den Kopf hochzurecken: Ätsch, wir sind doch zu dritt. Ein Eiliger düste gleich am ersten Tag mit zwei aufblasbaren Puppen auf dem Rücksitz über den Carpool-Streifen. Hundert Gulden kostete ihn der Spaß.

23 Minuten sparten angeblich am ersten Tag Carpooler im Vergleich zu ihren Kollegen mit leerer Rückbank. Genützt hat ihnen das wenig: Vor und hinter dem Streifen waren die Staus länger als vorher. Das jedenfalls behauptete feixend die Polizei, die ihrer neuen Verantwortlichkeit als Fahrgastzähler verständlicherweise wenig abgewinnen kann.

Stimmt alles nicht, konterte das verantwortliche Wasserbauamt. Die Staus seien keineswegs länger, sie würden lediglich anders gemessen. Die Polizei, so das Wasserbauamt, meldete erst „Stau“, wenn der Verkehr zum Stillstand gekommen sei. Die neuen elektronischen Meßgeräte auf dem Abschnitt schlügen hingegen schon aus, wenn die Geschwindigkeit auf weniger als fünfzig Stundenkilometer absacke.

Der kühnen Behauptung des Ministeriums, mit tausend Autos am Tag seien die Erwartungen weit überschritten, nahm ein zählfreudiger Journalist den Wind aus den Segeln: Der beste Kunde des neuen Carpool-Streifens sei die Polizei, titelte die Boulevardzeitung De Telegraaf. Hundertzwanzigmal am Tag führen alleine ihre sechs Motorräder hin und her und beschönigten die Statistik.

Und in Leserbriefen melden sich die Kritiker zu Wort. Es ginge nicht an, daß Alleinfahrer weiterhin ebensoviel Steuern zahlen müßten wie Dreiergespanne, wo sie doch weniger Spuren benutzen dürften, nörgeln die ersten. Ein anderer will wissen, wie er bitte bei sechs Geschäftsterminen am Tag jedesmal zwei Mitfahrer organisieren solle.

Derweil wird auf der A 1 schon wieder umgebaut. Die Schlagbäume am Anfang und Ende des Carpool-Streifens wurden bereits aus Sicherheitsgründen wieder eingezogen. Auch wird erwogen, ob der Streifen vielleicht verkürzt und die Einfädelspur verlängert werden müsse. Wie kurz das Stück tatsächlich ist, ist noch ungewiß: Die Angaben variieren je nach Quelle zwischen 700 und 1.500 Metern. Ein Zollstock, bitte, und eine Ladung elektrische Eisenbahnen ins Verkehrsministerium! Jeannette Goddar

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