: Konversionsmodell Bremen
Eine rüstungsabhängige Region propagiert das Unmögliche – „Konversion“ / Waffenbau bleibt lukrativer – bis zum bitteren Ende ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Bremen ist das kleinste Bundesland mit der größten Rüstungsabhängigkeit. Zirka fünf Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Landes sind direkt oder indirekt von der Rüstungsproduktion abhängig, hat eine Studie des bremischen Wirtschaftsressorts ergeben. Während Bremen 1990 1,4 Prozent zum Buttosozialprodukt der BRD beitrug, gingen 7 Prozent der Bundeswehr-Inlandsaufträge an die Weser – mehr als an das dreimal größere Hamburg.
Das Problem ist in Bremen natürlich seit Jahren bekannt. Wissenschaftler rechneten vor, daß staatliche Investitionen in zivile Technologiebereiche wirtschaftspolitisch mehr „Sekundäreffekte“ haben und Arbeitsplätze schaffen als die Investitionen des Verteidigungsetats. Aber diese Entscheidungen fallen in Bonn, und so zogen während der heißen Phase der Friedensbewegung die Bremer SPD-Genossen regelmäßig mit radikalen Anträgen für Frieden und Abrüstung in der Tasche auf die Bundesparteitage der SPD, in Bremer Politik setzte sich aber immer wieder die Haltung durch: Wenn es Rüstungsaufträge gibt, müssen „unsere“ Betriebe sich darum bewerben dürfen – solange sich keine anderen Aufträge anbieten.
Andere Aufträge sind zumindest längst nicht so lukrativ wie die staatlichen Rüstungsaufträge. Also wuchs die Rüstungsabhängigkeit, in Bremen wurden die Pershings gewartet, wurden U-Boote mit Elektronik ausgestattet und Simulatoren für die militärische Ausbildung entwickelt, beim Tornado wie beim Jäger 90 waren die Flugzeugbauer aus Bremen dabei.
Andere Aufträge sind nicht so lukrativ
Seit der „Wende“ der Weltpolitik gehen die Aufträge zurück, die Kontrollen der Rüstungsexporte sind schärfer geworden. „Konversion“ wurde also von einem Fremdwort, das nur moralisch war und also an der Sache vorbeiging, zu einem wohlfeilen Ziel der Regierungserklärungen. Schon 1990 gab es einen 200seitigen Bericht über die Bremer Abhängigkeiten von der Rüstungsindustrie und die gefährdeten Arbeitsplätze. Und mit dieser Untersuchung in der Hand zogen Politiker nach Brüssel und Bonn, um nun Subventionen für die „Konversion“ einzufordern. Der Chef der großen Rüstungselektronikfirma „Atlas Elektronik“ (4.200 Mitarbeiter), der von dem „Arbeitskreis andere Produkte“ engagierter Kollegen nie etwas wissen wollte, lernte, von der „Strategischen Initiative Umweltschutz“ zu reden. Ein beim Land angestellter Wirtschaftsforscher wurde zum „Konversionsbeauftragten“ ernannt, ein Gesprächskreis, in dem Manager, Politiker und Gewerkschafter zusammensitzen, wurde als „Beirat“ eingerichtet. Die „gesellschaftlichen Kräfte“, in Bremen auch in einer „Stiftung Rüstungskonversion“ organisiert, dürfen jetzt mitreden, mitentscheiden dürfen sie nicht. Die Firmen lassen sich nicht gern in die Karten gucken.
Und das hat Gründe. Denn über Rüstungskonversion ist wohlfeil reden, allein die Sache „verdammt schwer“ zu machen, wie das eine Unternehmenssprecherin salopp formuliert. „Da ist kaum ein Unternehmen über den Berg“, sagt der Bremer Konversionsbeauftragte Wolfram Elsner. „Dual Use“ ist das Stichwort, mit dem die Firmen die Hürde ein wenig tiefer setzen wollen. Sie wollen die lukrativen Rüstungsaufträge weiterhin annehmen, die dabei anfallende Technologie dann aber mit neuen Subventionen für zivile Produkte verwenden und insofern „doppelt nutzen“. Doppelt genutzt wird ohne Skrupel: Die Bremer Firma Finnigan-MAT exportierte zum Beispiel mit Genehmigung Massenspektrometer für die Universitäten in Bagdad und Musol/Irak. Im Golfkrieg kam heraus, was Firmenmitarbeiter längst wußten: Die „Universitäten“ waren abgeschirmte Sicherheitszonen, in denen an Giftgaswaffen gearbeitet wurde. Massenspektrometer, wie sie in Bremen für den Spürpanzer „Fuchs“ entwickelt wurden, werden im Umweltkatastrophenschutz mit Erfolg eingesetzt: Mit ihnen lassen sich giftige Chemikalien aufspüren und schnell analysieren.
Dual Use kein Königsweg
„Dual Use“ ist nicht wegen der Mißbrauchsmöglichkeiten kein Königsweg. In den bremischen Rüstungselektronikfirmen wird ganz spezielle, in kleinen Serien angefertigte Technik hergestellt. Die hochqualifizierten Techniker der „Systemtechnik Nord“ (STN) etwa haben eine Unterwasserdrohne mit dem schönen Namen „Pinguin“ entwickelt, die z.B. Minen aufspüren kann. Als ziviles Beiprodukt hat STN jetzt eine Drohne mit dem Namen „Gullyver“ auf den Markt gebracht, die die Kommunen durch ihre Abwasserrohre schicken können, um schadhafte Stellen aufzuspüren. Das Geschäftsvolumen beträgt natürlich nur einen Bruchteil der militärischen Aufträge, und wenn daraus ein Ersatz für die Militäraufträge werden sollte, müßten die Entwicklungsabteilungen zu Montageabteilungen für Massenfertigung „konvertiert“ werden. Selbst dann wären die Gullyvers nicht billig – die Frage bleibt, wo der Markt für die hochgezüchtete Technologie ist.
Was sich die Rüstungsfirmen im einzelnen alles ausgedacht haben, ist durchaus spannend: So bieten STN-Techniker in Bremen jetzt ein Geräuschsystem für die „Blindenampel“ an, bei der sich die Lautstärke den jeweiligen Umgebungsgeräuschen anpaßt. Simulationsgeräte zur Ausbildung gibt es inzwischen auch für Fahrschulen oder AKWs. Der neueste Hit: Auf der Medica '93 wird ein Gerät gezeigt, das in Notfällen medizisches Personal mit größeren Mengen Sauerstoff versorgen kann. Die Technologie wurde für U-Boote erfunden.
Rüstungs-High-Tech für Zivilisten zu teuer
Eine andere Bremer Rüstungsschmiede, die „Deutsche Systemtechnik“, hat den Bahnhof mit einem Fahrplancomputer bedient und stattet Mülltonnen mit Codiersystemen aus, die die Häufigkeit der Leerung automatich erfassen. Aber da wird gleich ein Problem der „Modellregion Bremen“ deutlich: Der grüne Umweltsenator in Bremen entschied sich nicht für das System der Bremer Rüstungsfirma, sondern für die Konkurrenz. Und im Falle eines Computersystems für Feuerwehr- und Polizeieinsatzkoordination lieferte die Bremer Rüstungsfirma STN zwar an Oldenburg und Münster, nicht aber an Bremen selbst.
Für die meisten der betroffenen Unternehmen bleiben die „zivilen“ Bereiche also Spielwiesen. Nicht nur der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Klein „baggert“ in Bonn für den großen Taiwan-Rüstungsauftrag, von dem die Bremer-Vulkan-Werft mit ihren Elektronikfirmen einen ordentlichen Teil abbekommen würde. Bislang lehnt Außenminister Klaus Kinkel noch ab, aber der Druck zur Lockerung der Exportgenehmigungen wird größer.
1992 wurde ein Vertrag unterschrieben, der für den Chef der Vulkan-Tochter STN eine „Herzensangelegenheit“ unter Dach und Fach brachte: das deutsch- französische Projekt einer unbemannten Aufklärungsdrohne „Brevel“. Hunderte Millionen ist die Sache Wert, dagegen füllen die Konversionsfördergelder nur die Portokasse. Und der Bremer Wirtschaftssenator zitierte jüngst einen Thyssen-Manager mit den Worten: „Das ist ein Thema für Kirchentage und Talkshows.“ Die Rüstungsproduktion wird entweder mit großen Gewinnen genutzt oder, wenn es keine Aufträge mehr gibt, stillgelegt. Die echte „Konversion“ ist die absolute Ausnahme.
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