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SanssouciNachschlag

■ Das Ballett "Circe und Odysseus" in der Komischen Oper

Die Liebe ist ein seltsames Spiel, und wer allen Ernstes versucht, außerhalb der Welt des Schlagers etwas über die wahre Liebe zu sagen, begibt sich auf vermintes Gelände. Da befindet man sich bei der Kriegsberichterstattung über den Geschlechterkampf schon auf gesicherterem Terrain. Nichts anderes hatte man bei der Uraufführung von „Circe und Odysseus“, einem Ballett der Palucca-Schülerin Arila Siegert, zu erwarten. Der große Held, schon im Titel ins zweite Glied verbannt – das konnte ja heiter werden. Die Geschichte der „letzten Hetäre“ (Horkheimer/Adorno), deren Verführungskraft und Zaubertrank Odysseus dank der Hilfe von Hermes überstehen konnte – diese Geschichte einmal andersherum erzählt? Warum Odysseus in Wahrheit verloren hat oder so? Oder nicht ganz so sympathisch: ein Klagelied über die Geburtswehen der patriarchalischen Welt? Völlig falsch. Arila Siegert hat in der Sage von Circe und Odysseus vor allem anderen eine wahre Liebesgeschichte entdeckt: Circe liebt Odysseus, weil der sich nicht von ihren Verführungskünsten blenden läßt. Daß der Preis dieser Liebe die Unterwerfung der Verführerin ist, hat Arila Siegert nicht interessiert. Behauptet wird statt dessen eine seltsame Freiheit: Circe ist nicht hörig, weil sie den Mann, den sie liebt, freiwillig wieder gehen läßt. Wahre Liebe ist eben nicht von Dauer.

Eine schräge Geschichte, deren Umsetzung nur in wenigen Sequenzen überzeugt. Alma Muntenau muß als Circe dämonisch und unterkühlt über die Bühne schreiten, aber trotz aller Ausstrahlungskraft der Tänzerin ist dies eine Überfrachtung mit Bedeutung, die von der reduzierten Bewegungssprache nicht getragen wird. Thomas Hartmann als tanzender Odysseus strotzt indes vor Männlichkeit, und seine Gestik ist albern in ihrem Pathos. Allein Circes Obermanager La Croix (Gregor Seyffert) darf seinen schmierig-verteufelten Charakter facettenreich entfalten. Die Verwandlung von Odysseus Mannen verläuft sukzessive, Circes Nymphen sind leb- und seelenlose Puppen von vornherein. Manipulierbare Masse, mit der der mephistophelische La Croix die Gefährten des Odysseus ködert. Statt in Schweine werden diese von martialischen Dienerinnen im Militarylook in schwarze Anzugmenschen verwandelt, die das Umbinden einer Krawatte endgültig in die Knie und an die Hundehalsbänder der Domina-Nymphen zwingt. Doch Gott sei Dank werden sie aus dieser fatalen Situation von dem unverführbaren Odysseus erlöst und dürfen im Schlußbild – wieder als echte Krieger – gemeinsam mit ihrem Chef neuen Abenteuern entgegenziehen. Die armen Nymphen erlöst leider niemand, und so werden sie bis ans Ende aller Zeiten seelenlos unter Circes Peitsche dahinvegetieren. Die sitzt derweil auf einem edlen weißen Sofa und liest Modezeitschriften. Michaela Schlagenwerth

Heute 19.30 Uhr, Komische Oper, Behrenstraße 55–75, Mitte.

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