piwik no script img

Blindschleiche aus Passion

Linienrichter Alois Pemmer war der auffälligste Mann beim 1:0-Sieg der Frankfurter Eintracht gegen La Coruña im UEFA-Cup  ■ Aus Frostfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

Masochisten aus Passion lassen sich gerne von schönen Frauen auspeitschen und lecken dafür deren Stiefel blank – oder sie werden Linienrichter. Alois Pemmer ist Linienrichter der FIFA aus Passion – und in den Stadien der alten Welt der Prügelknabe der Massen. Stein und Bein (ge-)froren an diesem Dienstag abend im Waldstadion zu Frankfurt am Main, als die Mannschaften der Eintracht und des spanischen Erstligisten Real Club Deportivo La Coruña zum Hinspiel um den Einzug in die vierte Runde im UEFA-Pokal den – trotz Heizung – mit einer „dünnen Eisschicht“ (Trainer Klaus Toppmöller) bedeckten Rasen betraten.

Premmer nahm seinen Platz an der Linie ein. Und in den folgenden 90 Minuten entging dem kahlköpfigen kleinen Mann aus Österreich nicht das kleinste Foulspiel, kein Ausball und kein Abseits (vor allem der Heimmannschaft). Wie ein Wiesel hechelte Premmer seine Linie auf und ab – (an-)getrieben von den Kurswechseln der Akteure auf dem Spielfeld. In gebückter Lauerstellung überwachte Premmer zwei Halbzeiten lang die Einhaltung der Abseitsregel, plazierte den Ball beim Eckball mit der ganzen Erfahrung eines langen Linienrichterlebens genau im Fähnchendreieck und blieb selbst bei lebensgefährlichen Rutschpartien am Kreiderand cool bis in die wenigen Haarspitzen. Doch (fast) immer, wenn er sein rot-gelbes Fähnlein hoch in die eisige Novembernacht riß, war ein gellendes Pfeifkonzert die Antwort: „Blindgänger“ nannten sie ihn – und „Blindschleiche“. Für Sekunden stand Alois Premmer wieder gedemütigt, aber glücklich im Mittelpunkt.

Masochist Premmer war an diesem Abend im Waldstadion allerdings kein einsamer Mann: Auch auf den Rängen saßen knapp 12.000 Masochisten aus Frankfurt am Main, die nur gekommen waren, um sich bei mörderischen Temperaturen von ganzen elf Männern in rot-schwarzen Leibchen (fast) zu Tode langweilen zu lassen. Ganze fünf Torschüsse in 90 Minuten – und Torhüter Ulrich Stein, dem die Kälte ins Gebein kroch, avancierte bei der Eintracht zum besten Feldspieler. Wiederholt trippelte Stein den durch die Abwehrkette geschlüpften spanischen Mittelfeldstar Fran an der Seitenlinie (!) aus.

Deportivo La Coruña war nämlich keine „Topfenmannschaft“ (Franz Beckenbauer), sondern ein von Trainer Arsenio Iglesias auf hautenge Manndeckung eingeschworenes Team mit pfeilschnellen Spitzen, dem es in der klirrenden Kälte zugute kam, daß es aus einer nicht gerade für ihr mildes Klima berühmten Region Spaniens kommt. Doch die Spitzen blieben diesmal stumpf, weil zum einen der Manndecker der Eintracht, Dietmar Roth, zu Normalform auflief und Fran (fast) immer im Griff hatte. Und zum anderen der als „Superstar“ apostrophierte Goalhunter von La Coruña, der Brasilianer Bebeto, grippekrank im Bett lag, nachdem er, so geht die Mär, zum erstenmal in seinem Leben mit Schnee in Berührung gekommen war.

So wurde im Waldstadion eine Dosis Fußball zum Abgewöhnen verabreicht: Die „tödlichen Pässe“ von Uwe Bein erstarben schon auf dem Weg zu Furtok oder Okocha. An Gaudino lief das Spiel vollkommen vorbei, und auch Manfred Binz kam nicht aus der Defensive heraus. La Coruña verteidigte zur Freude der knapp tausend spanischen Fans im Waldstadion mühelos bis zur verflixten 90. Minute das 0:0 – das Iglesias als „Erfolg“ gewertet hätte. Doch dann hielt der für Oldtimer Rudi Bommer ins Spiel gekommene Mirko Dickhaut nach Zuspiel von Gaudino an der Strafraumgrenze drauf: Der Ball zischte ins linke Toreck – 1:0 für die Eintracht. Ein unverdienter Sieg, der der Sehnsucht nach Anthony Yeboah neue Nahrung gab. Im Rückspiel soll er endlich dabei sein. „Mit Yeboah können wir in Spanien wieder eine bessere Sturm-Leistung anbieten“, ist Toppmöller überzeugt.

Als die VIPs in den Katakomben bei Paella und Karamelpudding dennoch ihre Fiesta zelebrierten, ging ein Mann – unbeachtet von allen – mit erhobenem Haupt in die kleine Kabine für die Unparteiischen: ein gedemütigter, aber glücklicher Alois Premmer.

Deportivo La Coruña: Liano - Djukic - Voro - Lopez Rekarte, Mauro Silva, Ribera, Fran (90. Vales), Donato, Nando - Claudio, Riesco (78. Alfredo)

Zuschauer: 12.000; Tor: 1:0 Dickhaut (89.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen