: Schmöker im Schaltkasten
■ Projekt der New Yorker Künstler Michael Clegg und Martin Guttmann
Kunstgranitgrau und mit allseits abgerundeten Ecken stehen sie ebenso zahlreich wie unauffällig in der Stadt herum. Irgendwann hat sich jeder schon mal gefragt, wie es wohl in den Schaltkästen der HEW aussieht. Seit Anfang September gibt es in Barmbek, Kirchdorf und Volksdorf einen Schaltkasten mit durchsichtigen Türen und hier wird der Inhalt sichtbar: Bücher.
Diese Überraschung bescherte die Kulturbehörde mit ihrer „Kunst im öffentlichen Raum“. Die Projekt-Idee hatten Michael Clegg und Martin Guttmann aus New York. Die seit 1980 zusammenarbeitenden Künstler sind durch ihre Serien von Porträts bekanntgeworden. Doch inzwischen bedeutet für sie das Kunst-Thema Porträt mehr, als bloß inszenierte Abbilder herzustellen. Sie sind an den komplexen sozialen Strukturen hinter der Erscheinung interessiert. Für das Hamburger Projekt wurden im Frühsommer die Anwohner der geplanten Standorte informiert und systematisch befragt. 1.300 Bücher wurden gesammelt, um so die Nachbarschaftsbibliotheken auch mit den Werken des tatsächlich in der Gegend vorhandenen Interesses auszustatten. Denn in Barmbek, Kirchdorf und Volksdorf ergibt sich ein recht unterschiedliches Bild des sozialen Systems. Dieses erfaßten die Künstler nicht allein, sie versicherten sich des kundigen Beistandes und der wissenschaftlichen Begleitung durch den Fachbereich „angewandte Kulturwissenschaften“ der Uni Lüneburg.
Eine ohne jede Kontrolle rund um die Uhr geöffnete Ausleihbibliothek, ein selbstorganisiertes soziales System sollte entstehen und allzu viele waren von vorne herein der Meinung, das sei eine schöne Idee, könne aber in diesen Zeiten gar nicht klappen. Tatsächlich mußte ein ähnlicher Versuch im österreichischen Graz im Mai 1991 wegen Vandalismus abgebrochen werden. Doch Bücher haben in Hamburg noch einen Rest ihrer Aura bewahrt: In Barmbek wurde das Projekt nach der vorgesehenen Laufzeit Ende Oktober erfolgreich beendet, in Kirchdorf-Süd verschwanden zwar eines nachts alle Bücher auf einmal, der öffentliche Schrank wurde aber aus den Beständen der Anwohner gleich wieder neu bestückt und konnte leicht beschädigt seine - in deutsch, englisch und türkisch erläuterte - Funktion ebenfalls fast zwei Monate ausüben. Im eher mittelständischen Volksdorf gab es Protest: Mit Unterschriftenlisten verlangten die Anwohner, diese Einrichtung über den vorgesehenen Projektzeitraum hinaus zu behalten. Über soviel, bei „Kunst im öffentlichen Raum“ nur seltene Zustimmung erfreut verlängerte die Kulturbehörde dort die Laufzeit bis Ende diesen Monats.
Danach wird mit allen Beteiligten eine Dauerlösung zur Umformung eines Kunstprojekts in eine Service-Einrichtung überlegt. Denn so sehr die Künstler mit der Aktion Anregungen stiften wollen, auf Dauer kann sie nicht in der Verantwortung der Künstler bleiben. Zudem sind die Türen aus durchsichtigen Kunststoff (Lexan) mit Messingscharnieren nicht für Dauernutzung und Feuchtigkeitsdichte im Hamburger Wetter konstruiert.
Das Projekt der New Yorker, die erst während der Planungsphase hier vor Ort die grauen, unsichtbar schaltenden Kästen der HEW für die neuen kommunikativen Verbindungen entdeckten, ist vielleicht das gelungenste Außenraum-Projekt des Jahres. Eine Dokumentation und die Übernahme des Projekts nach Lüneburg sind fürs nächste Frühjahr geplant. Hajo Schiff
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