Form follows fun?
■ Zur Projektwoche „Positionen“: Prof. Eckhard Jung über visuellen Schnickschnack im Fernsehen und überall
Ab dem kommenden Montag tummeln sich Fernsehleute, Designer, Schriftgelehrte und andere Bedeutsamkeiten an unserer kleinen Hochschule für Künste. Anlaß ist die Projektwoche „Positionen zur Gestaltung“, auf der die derzeit brisantesten Fragen des Geschmacks debattiert werden sollen. Prof. Eckhard Jung gab der taz schon mal allerhand Auskünfte.
Was will man sich denn um Gestaltungsfragen groß streiten?
Ach, das geht wunderbar. Es hat sich ja unter diesem Designbegriff mittlerweile vieles etabliert, was nur Oberflächen verschönert, was nur Gigi ist und Styling. Also genau das Gegenteil von dem, was die Begründer dieses Begriffes, angefangen beim Bauhaus, eigentlich wollten: eine vernünftige Gestaltung für Produkte des täglichen Gebrauchs. Und eine gewisse Ehrlichkeit gegenüber den beispielsweise technischen Innereien eines Produktes. Die kann man überspielen auf potemkinsche Weise; man kann sich aber auch dazu bekennen.
Leider nistet zwischen Vernunft und Ehrlichkeit auch gern die Langeweile.
Ja, das liegt schon auch daran, daß diese Prinzipien oft geradezu barbarisch angewendet worden sind. Das Motto „Form follows function“ hat ja vergessen lassen, daß es auch eine psychische Form des Gebrauchs gibt, das Bedürfnis nach einer Art Wohlbefinden, wenn man mit Dingen umgeht. Ob aber, wie heute oft behauptet wird, der „Spaß“ an den Produkten, ob ihr Schauwert die Hauptsache ist, das ist auch schon wieder eine sehr umstrittene Position. An dem Abend, an dem wir über den verkündeten „Tod des Funktionalismus“ diskutieren, werden wir einfach mal im Interesse der Wahrheitsfindung die Teilnehmer auf höchst unterschiedliche Stühle setzen.
Da entscheidet der Hintern. Im Programm sind aber auch sehr sublime Fragen angekündigt, etwa der Streit um eine neue Schrift, die „Rotis“ von Otl Aicher.
Das ist gar nicht so weit auseinander. Auch im typografischen Bereich gibt es die Gestalter, die vor allem auf fun aus sind. Die Gruppe Grappa zum Beispiel, die für die abenteuerlichsten Text-Bild-Inszenierungen bekannt ist. Die machen da allerhand Zeitschriften, die aber in der Regel nach der ersten Nummer gleich wieder eingehen, weil sie niemand lesen kann.
Da stehen ja zwei Weltanschauungen gegeneinander. Wie aber kann man sich über eine anerkannt schöne Schrift wie die „Rotis“ in die Haare kriegen wollen?
Oh, da gibt es regelrechte Glaubensschlachten. Die einen beten die „Rotis“ an, die andern verdammen sie, zum Beispiel der hervorragende Schriftengestalter Erik Spiekermann, der dann auch zum geplanten Streitgespräch anreisen wird. Ich selber glaube, daß auf dem Buckel dieser Schrift noch ganz andere Sachen ausgetragen werden. Es geht ja bei der Schriftgestaltung um viel Geld, oft um siebenstellige Umsätze. Und Spiekermann zum Beispiel, das ist nicht nur einer, der über seine „Font Shops“ tausende von Schriften wie im Bauchladen vertreibt, und viele unnütze darunter. Der hat auch eine eigene Schrift gemacht, die „Meta“. Die und die „Rotis“, das sind, denke ich, die Schriften der Neunziger Jahre. Da geht es einfach auch um Marktanteile.
Was wirft er der „Rotis“ denn vor?
Sie sei seelenlos, sie sehe nach dem Computerlabor aus, in dem sie erzeugt worden ist. Tatsächlich sind in Spiekermanns „Meta“ die einzelnen Buchstaben viel deutlicher individualisiert. Das führt, wie ich finde, schon auch zu einer besseren Lesbarkeit: Die Sinne werden anhaltend erfrischt. Früher hatte man dagegen bei den Allerweltsschriften wie zum Beispiel der „Helvetica“ immer nur die Einheitlichkeit der Formen im Sinn, was ja auch der allgemeinen Denke entsprach. Man dachte sogar, man könnte weltweit gültige Produkte erfinden, die hier so gültig sind wie in Afrika. In Wirklichkeit führt aber die Standardisierung der Schrift zu einer Art „Autobahneffekt“ beim Lesen: Man kommt so leicht voran, daß man merkwürdigerweise auch schneller ermüdet. Die kurvenreichen Gebirgsstraßen haben auch ihre Reize.
Aber sie ziehen sich.
Das muß nicht sein. Ich denke, wir werden in dieser Woche ganz sinnlich zeigen können, daß etwa die „Rotis“, wenn man sie in großen Einzelformen sieht, ganz wunderschön ist, daß sie aber als kleine Leseschrift schwierig wird.
Warum kloppt man sich überhaupt noch über neue Schriften? Es gibt doch schon genügend gute.
Das ist vor allem ein Marktphänomen. Schriften verkaufen sich gut. Es gibt schon noch ernstzunehmende Gestalter, die ein Leben lang mit fünf, sechs Schriften auskommen, aber ringsum explodiert die Vielfalt. Das hat natürlich auch was Demokratisches, daß die Zeiten der „Schwarzen Kunst“ endgültig vorbei sind. Aber was man oft vergißt, ist der Umstand, daß gute Gestaltung nur zu vielleicht zwei Prozent von der Schriftwahl abhängt. Viel wichtiger ist die Kunst des Proportionierens, des Gliederns, der Struktur.
Kommt nicht diese Vielfalt auch ein bißchen vom Vielerlei der Medien, in denen die Schrift heute erscheint? Gibt es zum Beispiel eigene Fernsehschriften?
Da kann uns nächste Woche wohl Heike Sperling was erzählen. Die war für das anfangs sehr eigenwillige Erscheinungsbild von „Vox“ zuständig.
Diese rauhen, hüpfenden Lettern, über die man sich so ausgiebig gefreut hat?
Ja. Viel Bewegung und Räumlichkeit, was ja beim Fernsehen immer eine Chance und eine Verlokkung ist. Das hat allerdings auch dazu geführt, daß man nun meint, alles muß taumeln. Ein bißchen sieht man das jetzt sogar im ZDF, dessen verantwortlichen Gestalter wir auch hier haben.
Tut das dem ZDF nicht gut?
Ich glaube nicht. Das alte Erscheinungsbild des ZDF, wie es der vor zwei Jahren verunglückte Otl Aicher entwickelt hatte, das zeigte zum Beispiel noch, wie dieser schlaue Fuchs gerade aus den Eigenarten und Schwächen des Fernsehens etwas gemacht hat, was noch heute alle Welt mit dem ZDF verbindet: Weil zum Beispiel auf dem Bildschirm mit seiner schlechten Auflösung sowieso alles unscharf wird, hat er einfach als erster eine gesoftete, eine gerundete Schrift entwickelt. Und wer heute auch nur die Bildschirmuhr sieht, die ja ebenso konstruiert ist, denkt sofort: ZDF.
Perfekt im Sinne des Auftraggebers.
Ja. Das ist keinem bewußt, aber es funktioniert immer. Aicher hat noch mehr gemacht: Wo andere bloß das immergleiche Logo in der immergleichen Farbe möglichst oft in die Öffentlichkeit pumpen, hat er eine Art Farbklima geschaffen: sehr vielfältig, aber eindeutig mit dem ZDF verknüpft. Und er hat gesagt: Leute, tut nicht so, als kämen die Nachrichten direkt vom lieben Gott ins Studio. Laßt das Studio aussehen wie die Werkstatt, die es ist. Und setzt nicht Sprecher hin, sondern die Redakteure, die die Nachrichten gemacht haben! Das war damals einmalig, dieses generalistische Herangehen. Ich fände es gut, wenn man heute in dieser Richtung wieder etwas bewegen könnte. In diesem Sinne bildet Aichers Ansatz ein bißchen den Hintergrund unserer gesamten Woche.
Fragen: Manfred Dworschak
Ganztägiges Programm vom 29. November bis zum 4. Dezember. Informationen über Tel. 3295-237
Aufmerksame Leser wissen jetzt, welche der beiden eingeblendeten Schriften die Rotis und welche die Meta ist.