: Wohin schlägt das Streikpendel?
■ Kreativer Studentenstreik: Foucaultsches Pendel an der Ampel / "Arbeitsgruppe Volksbegehren" will Wahlperiode des Abgeordnetenhauses "vorzeitig beenden" / Schlagabtausch Studienplatzabbau
Tausende von Studierenden der Technischen Universität sind gestern in den angekündigten Streik getreten. Bereits in den Morgenstunden begann eine Blockade des Hauptgebäudes an der Straße des 17. Juni, bei der auch das Verwaltungspersonal ausgesperrt wurde. Außerdem organisieren die Studenten nun ein Plebiszit gegen das Abgeordentenhaus, das am Mittwoch – wie berichtet – den Abbau Hunderter von Wissenschaftlerstellen hingenommen hat. Eine studentische Arbeitsgruppe hat beim Innensenator jetzt ganz offiziell den Antrag auf ein Volksbegehren eingeleitet, das die Wahlperiode des Abgeordnetenhauses vorzeitig beenden soll.
Die Studenten brauchen 80.000 Unterschriften von Wahlberechtigten, mit deren Sammlung laut Gesetz in einer Woche begonnen werden darf. Mit der Unterschriftenliste ist der Text des Volksbegehrens einzureichen. „Wir wollen den Studis zeigen, daß das ihr Land und ihre Demokratie ist“, sagte dazu Jochen Geppert vom Asta der Freien Universität. Eine Legislaturperiode „dieses Abgeordnetenhauses von vier Jahren ist unerträglich“. Die Studierenden könnten das Volksbegehren allein mit ihren Stimmen auf den Weg bringen.
Die Hauptursache für die Protestwelle an den Unis ist der Abbau von 15.000 Studienplätzen. Der vollzieht sich zwar schrittweise bis zum Jahr 2003, wird aber durch eine einjährige Besetzungssperre sofort wirksam. Beispiele sind der Fachbereich 7 der TU, Gesellschafts- und Planungswissenschaften: Dort ist bald nur noch ein Drittel der regulären Assistentenstellen besetzt. Ebenso bei der Theoretischen Physik der TU: Von zwölf Stellen für Wissenschaftliche Mitarbeiter fallen acht der Sperre zum Opfer. „Ich weiß nicht, wie man da ein besseres Studium kriegen soll“, meinte dazu die Physikstudentin im zweiten Semester, Döhrte Wollert.
Am Mittwoch begründete der CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt seinen im Hochschulstrukturplan beschriebenen straffen Studienplatzabbau damit, er wolle die Betreuung der Studierenden in den „vermassten Studiengängen“ verbessern. Erhardt sagte im Wissenschaftsausschuß, es sei unverantwortlich, „die Hochschulabsolventen in die Arbeitslosigkeit zu treiben“. Die grüne Oppositionspolitikerin Sybille Volkholz hielt dem Senator entgegen, daß die Arbeitslosenquote bei AkademikerInnen „erheblich geringer als bei anderen ist“. Die Realität Berlins sehe so aus, daß rund 1.000 SchulabgängerInnen keine Lehrstelle fänden. Die Abgeordnete der Grünen zählte dem Senator vor, daß in allen Großstädten in der Bundesrepublik vergleichweise mehr Menschen studierten, als es dem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspreche. „Ihre einzige Begründung für den Hochschulstrukturplan ist damit zusammengebrochen“, wandte sich Volkholz an Manfred Erhardt. Er hatte stets argumentiert, Berlin könne nicht Ausbildungsfunktionen für ganz Deutschland übernehmen.
Gegenüber der taz zeigte sich Erhardt befriedigt, daß der Studienplatzabbau nun „politisch akzeptiert ist“. Die von CDU und SPD beschlossene Aufforderung, im Gegenzug zum Hochschulstrukturplan und dem Abbau der universitären Studienplätze solche an Fachhhochschulen aufzubauen, nannte er eine „Stellungnahme des Abgeordnetenhauses“. „Ich will einen reinrassigen Plan“, sagte Erhardt zur taz.
Die von Studenten noch im Aussschuß angekündigten Aktionen haben gestern stattgefunden. An der Freien Universität trafen sich knapp 800 Studierende zu einer Vollversammlung und setzten einen Aktionsrat ein. An der Technischen Fachhochschule im Wedding boykottieren Chemiker und Biotechnologen ihre Lehrveranstaltungen. Eine ganze Reihe von Aktionen sollen heute stattfinden. PhysikstudentInnen werden auf der Hardenbergstraße ein riesiges „Foucaultsches Pendel“ an einer Ampel anbringen. Rund um die Humboldt-Uni sollen die Kreuzungen ganz profan „mit ein bißchen Rabbatz“ blockiert werden. Auch eine „Großdemonstration“ haben sich die StudentInnen vorgenommen – die soll um 14 Uhr an verschiedenen zentralen Plätzen stattfinden. Die Zahnmediziner laden für heute um 9 Uhr am „Zoo- Palast“ zu einer Demonstration. Christian Füller
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