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Viertagewoche ohne Lohnausgleich

Zwar steht unter dem Strich der Modellrechnung für eine durchschnittliche VW-Lohngruppe auch nach Einführung der Arbeitszeitverkürzung um 20 Prozent die gleiche Bruttolohnsumme. Dennoch sind es am Ende einzig die Arbeitnehmer, die durch Verzicht auf betriebliche Sonderleistungen die Viertagewoche beim kränkelnden Automobilkonzern finanzieren.

„Jetzt wird im Detail gerechnet, aber ein Ende der Verhandlungen ist nicht absehbar.“ So lautete am Mittwoch abend im hannoverschen Kongreßzentrum immer wieder die Antwort, die die wartende Journalistenschar von beiden Seiten erhielt. Während die Korrespondenten der Nachrichtenagenturen ihre Meldung über die Einigung auf die 28,8-Stunden- Woche bei VW längst vorformuliert hatten und aus dem Speicher ihrer Laptops nun die Spielprogramme abriefen, ging es ein Stockwerk höher noch einmal 13 Stunden lang um die „finanzielle Bewertung des Vorziehens der 35-Stunden-Woche“ oder darum, welchen Geldbetrag man dafür einzusetzen habe, daß die Erholungsfreizeit für Schichtarbeiter – im VW-Jargon: „Nordhoff-Tage“ – künftig entfallen sollen.

Als dann am Donnerstag morgen gegen fünf Uhr der IG-Metall- Verhandlungsgführer Jürgen Peters und VW-Tarifchef Jochen Schumm zu ihren Einigungs-Statements vor die gleichermaßen übernächtigten Journalisten traten, wurde schnell klar, daß da wahrlich eine Menge hinzuzurechnen war. Peters sagte, die Arbeitnehmer hätten für die 20prozentige Verkürzung der Arbeitszeit von jetzt 36 auf 28,8 Stunden ein Kürzung der Einkommen um 10 Prozent in Kauf zu nehmen. Jochen Schumm sprach davon, daß sich durch die Einigung die Personalkosten bei den inländischen VW-Werken um etwa 20 Prozent oder 1,8 Milliarden Mark pro Jahr reduzierten. Beide Seiten, so schien es, hatten ihre Verhandlungsziele erreicht. Nur wollten die beiden Statements nicht so recht zusammenpassen, schließlich klaffte da doch eine Lücke von zehn Prozent.

Bei seinem kurzen morgendlichen Auftritt vor der Presse lag Jochen Schumm zumindest sehr viel näher an einer realistischen Bewertung der Tarifeinigung als sein Gegenüber von der IG-Metall. Daß die Gewerkschaften das Ergebnis zu ihren Gunsten schönrechnen, war schon dem dreiseitigen „Tariftelegramm“ zu entnehmen, das der IG-Metall-Bezirk Hannover an alle VW-Betriebsräte verschickt hatte. Zwar steht unter dem Strich jener Modellrechnung, die das Papier für die durchschnittliche VW-Lohngruppe F enthält, auch nach der Arbeitszeitverkürzung genau die gleiche Bruttolohnsumme von 4.099 Mark; die Beschäftigten müssen also keine Kürzungen ihrer Monatsgehälter hinnehmen. Aber die Differenz, die nach der Einführung der Vier-Tage-Woche entsteht – also zwischen 4.099 und 3.279 Mark brutto –, wird zum Großteil von den Beschäftigten getragen: Sie müssen nämlich nicht nur auf das 14. Monatsgehalt, auf zwei Drittel des Urlaubsgeldes und die bereits vereinbarten Tariferhöhungen verzichten.

Was an Sonderzahlungen noch übrigbleibt, wird nicht mehr auf einen Schlag ausgeschüttet, sondern auf zwölf Monate umgelegt. So sind es höchstens noch ein paar Mark, die VW am Ende als Ausgleich auf den Tisch legen muß: Der „Beitrag“, der von VW bis zum gleichbleibenden Bruttomonatsgehalt noch draufgezahlt werden muß, beträgt nach der IG- Metall-Modellrechnung für die Lohngruppe F ganze 204 Mark. Zieht man von dieser Summe auch noch die 119 Mark für das Vorziehen der bereits für Oktober 1995 vereinbarten 35-Stunden-Woche ab, kostet dem Arbeitgeber VW die Arbeitszeitreduzierung für besagte Lohngruppe ganze 85 Mark — eine Summe, der auch noch die Streichung des „Nordhoff“- Zusatzurlaubs gegengerechnet werden muß. Die Erholungfreizeit — das sind vom einstigen VW- Chef Nordhoff zusätzlich eingeführte Urlaubstage, die vor allem den besonders belasteten Schichtarbeitern traditionell alle drei bis fünf Jahre einen zehntägigen Sonderurlaub ermöglichen. Auch hier kann von einer sozialen Komponente der Tarifeinigung keine Rede sein. Vor allem die VW- Vertrauensleute wollten bisher die geringer Verdienenden weniger durch die Arbeitszeitverkürzung belastet sehen. Die Streichung des VW-Sonderurlaubs trifft die Arbeiter mehr als die Angestellten, die nach dem werksinternen Punktesystem acht Jahre auf zusätzlichen Erholungsurlaub warten mußten.

Die Gewerkschaft hat mit dem Tarifabschluß ein Ziel erreicht: Betriebsbedingte Kündigungen wird es in den nächsten zwei Jahren bei Volkswagen nicht geben. Das heißt aber noch nicht, daß keine Arbeitsplätze mehr abgebaut werden sollen: VW will seinen Beschäftigtenstand von derzeit rund 107.000 Mitarbeitern in Deutschland über natürliche Fluktuation auf rund 100.000 drücken.

„Beide Seiten sind zum Erfolg verdammt“, hatte IG- Metall-Verhandlungschef Jürgen Peters schon am Mittwoch vor der letzten Verhandlungsrunde verkündet. Gestern zeigte er sich mit dem Ergebnis hochzufrieden, schließlich sei die Festlegung der Viertagewoche einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Für den seiner Ansicht nach „zumutbaren Preis“ muß der Gewerkschafter aber noch bei den VW-KollegInnen werben.

Jürgen Voges,

Hannover

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