: Josef und die Requisitenesser
Wenn würdevolle Hamburger Damen in Paar-Tausend-Marks-Verkleidung in wieherndes Gelächter ausbrechen und vor lauter Begeisterung die Marlies-Möller-Frisuren durcheinanderbringen, dann kann das nur wenige Gründe haben. Einer davon heißt Otto Schenk und gastiert momentan zum Thalia-Geburtstag am Alstertor. Als Chef-Requisiteur Josef Bieder, der am Schließtag erschreckt entdeckt, daß der Saal voller Zuschauer ist, zieht Schenk alle Register eines komödiantischen Tausendsassas.
Der Chef des Wiener Theaters in der Josefstadt parliert im breitesten Dialekt aus einem runden Bauch im Unterhemd von großen Dirigenten, mopedfahrenden Tenören und vom „Requisitenessen“. 30 Jahre Kitteldasein haben Josef Bieders Träume nicht zerstört, nur einen wunderlichen Schlußstrich unter die Selbstwahrnehmung gezogen. So singt er krächzend berühmte Opernpartien, um darzustellen, wie „der Ausdruck“ zu sein hat, weil er eigentlich immer Sänger sein wollte. Oder er schnallt sich einen Lampenschirm um, krempelt die Hosenbeine hoch und tanzt den „Sterbenden Schwan“, wie ihn damals die Ulanowa so bezaubernd gegeben hat, denn eigentlich wäre er gerne zum Ballett gegangen. Grotesk dreht und kringelt sich Schenk auf gelben Socken und mit ihm das Publikum in den Sitzen.
Dazwischen erzählt der notorische Besserwisser heitere Anekdoten aus der Bühnenwelt, veräppelt die Ticks der Stars und erklärt die Kunst, sich Szenenapplaus zu erschleichen. Zwei Stunden führt Schenk das nach Luft schnappende Publikum durch die Hinterbühnenwelt, zelebriert die Rührung, die Verschmitztheit, die Sehnsucht und den Schmäh des braven Theatersoldaten Bieder mit einer Akkuratesse, die Die Sternstunde des Josef Bieder zu einer ebensolchen der Solo-Komödie werden läßt. tlb
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