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Wer tritt schon dem Freund in die Eier?

■ Ob Selbstverteidigungskurse vor Vergewaltigung schützen, ist umstritten / Ein Interview mit einer Bremer WenDo-Trainerin

Der Bremer Innensenator will über die Polizei Selbstverteidigungskurse für Frauen und Mädchen anbieten. Nicht alle finden, daß das eine gute Idee ist. Der „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ zieht aus seinen Erfahrungen in der Arbeit mit Vergewaltigungsopfern nämlich den Schluß, daß Selbstverteidigungskure keine Vergewaltigungen verhindern. Ohnehin, so das Team des „Notrufs“, solle man nicht den Frauen und Mädchen die Bürde der Prävention aufladen. Wir fragten zu diesem Thema die Bremer WenDo- Trainerin Karin Pilath. Beim Gespräch mit dabei war auch Birgit Kausch, eine Mitarbeiterin des autonomen Bremer Frauenhauses.

taz: Haben Frauen, die vergewaltigt worden sind, irgendetwas falsch gemacht?

Karin Pilath: Nein. So kann man die Frage nicht stellen.

Man kann sich also nicht wehren?

Karin Pilath: Doch, ich kann anfangen, mich selber ernster zu nehmen, meine Grenzen ernst zu nehmen, dann kann ich mich wehren, wenn so eine Situation auf mich zukommt. Aber ich will nicht die Frauen dahin erziehen, daß sie sich zurücknehmen, daß sie sich nicht mehr so anziehen wie sie wollen, daß sie zu bestimmten Zeiten nicht mehr aus dem Haus gehen. Der typische Täter fällt sowieso nicht nachts um vier im Trenchcoat vom Baum auf mich drauf, sondern sitzt in der Regel zwei Meter neben mir.

Birgit Kausch: Aber mit der Frage der eigenen Schuld beschäftigen sich ja doch alle Frauen, die vergewaltigt worden sind. Bestimmt 99 Prozent der Frauen suchen die Schuld immer bei sich, die sagen sich dann, ich bin spät abens auf der Straße gewesen, ich hab' einen Rock angehabt. Aber ,falsch' ist nicht, was die Frau tut, sondern falsch ist, daß es Männer gibt, die ihre Macht an Frauen ausüben wollen, und falsch ist es, daß es keine Gesetze gibt, die Frauen mehr schützen, andere Strafen zum Beispiel.

Die Notruffrauen sagen ja, je mehr solcher Kurse man anbietet, umso mehr werden Frauen dann verantwortlich gemacht, wenn ihnen doch was passiert.

Birgit Kausch: Klar kann es passieren, daß Richter oder Staatsanwälte zu der Frau sagen, ,Sie haben doch einen Selbstverteidigungskurs gemacht, warum haben Sie sich dann nicht gewehrt, hat es Ihnen doch gefallen?' Aber deswegen den Frauen davon abzuraten, in solchen Kursen ein Gefühl für ihre Stärken zu bekommen, das wäre eine falsche Konsequenz.

Ihr unterscheidet euch auch noch in einem anderen Punkt von den Mitarbeiterinnen des Notrufs: Die sind nämlich der Meinung, daß Frauen sich eigentlich immer ,richtig' verhalten bei einem Angriff. Daß nämlich die Frauen, die sich nicht wehren, erspüren, daß eine Gegenwehr den Täter nur noch aggressiver machen würde.

Karin Pilath: Nee, die verhalten sich aus dem heraus, was sie gelernt haben. Und Frauen lernen, sich zurückzunehmen, diplomatisch Konflikte zu lösen, nicht verletzend zu sein, verbal nicht und körperlich schon mal gar nicht. Wenn eine Frau in so einer Situation den Instinkt hat, sich ruhig zu verhalten, abzuwarten, dann soll sie es tun. Aber ich möchte sie doch fragen, wie sie überhaupt dazu kommt, so zu denken. Diese Aufarbeitung von erlernten Mustern und Rollen führt in der Regel dazu, daß Frauen am Ende des Kurses sagen ,Da hätte ich mich ja doch wehren können'. Nur ein Beispiel: Beide Personen liegen auf der Erde - da gehen Frauen in der Regel davon aus, daß sie keine Chance mehr haben.

Ja was kann ich denn da tun? Mit den Fingern in die Augen stechen oder was?

Karin Pilath: Diese Techniken werden zum Beispiel in Polizeikursen gelernt. Aber ich vertrete die nicht. Wenn ich in der Stadt fragen würde, welche Frau sich zutrauen würde, das zu tun, dann würde mir nur eine von hundert mit ,Ja' antworten. Und die hätte dann wahrscheinlich nach Einsatz dieser Technik ihr Leben lang ein Trauma – wenn ich mir vorstelle, ich zieh so zwei Finger aus dem Kopf wieder raus!

Also: was kann ich im Liegen noch retten?

Karin Pilath: Der Täter reduziert seine Möglichkeiten ja genauso, wenn er sich hinlegt. Wenn er seinen Schwanz aus der Hose holen will, muß er da erstmal eine Hand hinführen, und damit eröffnet er mir neue Möglichkeiten.

Gut, damit hab' auch ich eine Hand frei – und dann?

Karin Pilath: Eine Hand hat er weggenommen, also kann ich Angriffe gegen seinen Kopf starten – Nase, Kehlkopf, Schädelknochen. Situationen verändern sich ja auch ständig: Also diese Angststiuation zum Beispiel: Der Täter kommt von hinten, hält der Frau ein Messer an den Hals, um sie irgendwohin zu führen und dort zu vergewaltigen. Dann sag' ich: nix machen. Wäre absolut gefährlich. Lieber abwarten, denn irgendwann wird er mich loslassen, um mich umzudrehen und zu sagen ,zieh dich aus' - und schon hab ich wieder eine komplett andere Situation: Das Messer ist vom Hals weg, und ich kann wieder reagieren.

Kann man denn in solch einer traumatischen Situation, wenn man, womöglich von einem Bekannten, angegriffen wird, diese neuen Verteidigungstechniken anwenden, ist man da nicht völlig panisch und weiß gar nichts mehr?

Karin Pilath: Zu den Kursen gehören Erschreckübungen und auch konkrete Angriffe.

Erschreckübungen - wie geht das denn?

Karin Pilath: Die Frau steht zum Beispiel mit verbundenen Augen da oder in einem dunklen Raum und kriegt aus irgendeiner Richtung einen Körperkontakt, auf den sie reagieren soll. So was mache ich entweder am Ende des Kurses oder in fortlaufenden Gruppen. Ich traniere die Frauen richtig darauf hin, Panikreaktionen abzubauen, denn Panik ist eine rein körperliche Reaktion. Die kann ich mit einigen Tricks umgehen, über Atmung zum Beispiel oder über Stimme.

Der Erfahrung der Notruf- Mitarbeiterinnen nach sind die Folgen einer versuchten Vergewaltigung meist ebenso schwerwiegend wie die Folgen einer vollendeten Vergewaltigung - dann ist es doch eigentlich egal, ob ich mich wehre oder nicht ...

Karin Pilath: Das ist nicht egal. Die Frauen, die vergewaltigt worden sind, die haben ganz ganz lange Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Sexualität, die haben zum Beispiel Schlafstörungen, trauen sich nichts mehr zu. Die Frauen, die sich gewehrt haben, haben sich mit ganz anderen Sachen auseinanderzusetzen, daß sie zum Beispiel jemanden verletzt haben, jemand ein paar Knochen gebrochen zu haben. Wie sich das anhört, wenn ein Knochen bricht! Oder dem eigenen Freund in die Eier zu treten - das ist natürlich keine leichte Kiste, wenn man einen Tag vorher noch mit ihm ins Bett gegangen ist.

Bekommst du eigentlich Erfolgsmeldungen von den Kursteilnehmerinnen?

Karin Pilath: Jede Menge. Aber selten von konkreten Angriffssituationen. Vielmehr sagen die Frauen ,Mir passiert überhaupt nichts mehr'. Sie sind auch aufmerksamer, stellen fest, daß sie in der Sögestraße für eine Strecke von hundert Metern 300 brauchen, weil sie ständig den Typen, die ganz klar geradeaus rennen, aus dem Weg springen. Es gibt vereinzelt Rückmeldungen, daß Frauen sich gewehrt haben. Aber das ist die Ausnahme, weil die Frauen gar nicht mehr in solche Situationen kommen, wo sie körperlich angegriffen werden.

Fragen: Christine Holch

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