piwik no script img

Soz-Art ins Kollektiv gegossen

Im Rahmen der Projektreihe „Theater nach der Diktatur“ ist heute erstmals eine Produktion des Dresdner Regisseurs Carsten Ludwig in Berlin zu sehen: „Der Obelisk“ in der KulturBrauerei  ■ Von Petra Kohse

Die Theaterarbeit des Dresdner Regisseurs Carsten Ludwig erinnert in ihrem radikalen Antipsychologismus an die von Einar Schleef. Aber es ist vor allem der Kontext des auf deutschen Bühnen dominierenden psychologischen Realismus, der den Vergleich beider Inszenierungsansätze aufdrängt. Bezeichnend für die Regie von Carsten Ludwig ist auch das, was ihn von Schleef – den er gar nicht kennt – elementar unterscheidet: er hat Humor. Während Schleefs Produktionen als permanent gereckter Zeigefinger die Gewalttätigkeit der Welt mit stampfendem Rhythmus anprangern, will Ludwig auch unterhalten. Sein Rhythmus ist spielerischer, er bewegt seine Kollektive weniger im Marsch- als beispielsweise im Slapstick-Tempo, Spielfreude wird durch Drill nicht erstickt.

Carsten Ludwigs Publikum ist das (Ex-)DDR-Publikum. Sein Thema sind die DDR-Strukturen und Verhaltensweisen, von deren tiefer psychischer Verwurzelung er überzeugt ist. Die Absurdität ständig reproduzierter Rituale des staatstreuen Alltags will Ludwig auf dem Theater decouvrieren. Das fraglose Warten in einer Schlange, Gruß- und Ehrungszeremonien oder die Akzeptanz jeglicher Anweisung „von oben“ werden automatisch zur Karikatur, wenn man den handelnden Figuren Individualität und spezifische Motivation verweigert.

Der 42jährige Regisseur begann als Assistent am Staatsschauspiel Dresden. Die Diskrepanz seiner ästhetischen Auffassungen und der staatlichen Vorstellung dessen, was auf der Bühne wie darzustellen sei, stellte sich nach einigen Szenenstudien schnell heraus, berichtet er im Gespräch. Er blieb zwar vertraglich an Dresden gebunden, doch haben wollte man ihn dort im Grunde nicht. Er durfte und sollte an anderen Häusern inszenieren, galt aber auch dort als provozierend und meist blieb es bei je einer Produktion. Eine feste Truppe hat er unter diesen Umständen nicht bilden können.

Mittlerweile arbeitet Carsten Ludwig im Verein des Festspielhauses Hellerau. Früher eine Entwicklungsstätte des Ausdruckstanzes (auch Mary Wigman wurde hier ausgebildet), diente das Festspielhaus zu DDR-Zeiten als Russenkaserne. Der Verein Hellerau will auf dem Gelände ein kulturelles Zentrum für Theater, Tanz, Bildende Kunst und Performance etablieren – ein schönes Projekt, das wie die meisten solcher Projekte an der notwendigen Minimalsubvention zu scheitern droht. Noch für dieses Jahr hat das Land Sachsen eine Entscheidung über die Nutzung des Gebäudes und eine damit zusammenhängende Förderung zugesagt, aber bis dato ist nichts gesichert.

Als eine Produktion der Hellerau e.V. hat Carsten Ludwig einige Erzählungen aus Vladimir Sorokins „Der Obelisk“ für das Theater adaptiert und inszeniert. Beim Bundesfestival „Politik im Freien Theater“ in Dresden erhielt die Truppe Anfang November den Sonderpreis. Mit Sorokin hat Ludwig „seinen“ Autor gefunden, wie er sagt. Schon im letzten Jahr inszenierte er für die Musikfestspiele Dresden mit Schauspielern und Laien Sorokins „Schlange“. Der Russe Sorokin, der zumeist klassische sowjetische Erzählformen aufgreift und die Handlung mit perversen Gewalt- oder Fäkalienelementen versetzt – eine Richtung, die er selbst Soz-Art nennt – entlarvt nach Ludwigs Ansicht das absurde Verhältnis von starren Formen und ihren sinnentleerten Inhalten in der Ost-Realität meisterhaft. Die Episoden des „Obelisk“, die heute abend im Rahmen der Projektreihe „Theater nach der Diktatur“ in der KulturBrauerei zu sehen sein werden, hat Ludwig auf seine Weise aufbereitet: Wo Sorokin einzelne Figuren skizziert, zeigt Ludwig Kollektive. Wenn man nicht auf individuelle Biographien ausweichen kann, um obszöne oder absurde Verhaltensmuster auf dem Theater zu erklären, sei es schwerer, sich davon zu distanzieren, meint er. Ob allerdings ein westliches Theaterpublikum typische Strukturen der DDR-Realität im Gezeigten erkennen wird, daran zweifelt der Regisseur. Nicht umsonst hatte er niemals den Wunsch, in den Westen zu gehen, nicht umsonst will er weiterhin im Osten Theater machen. Ludwig hat ein dezidiert aufklärerisches Konzept, mit dem er zu DDR-Zeiten gegen den Apparat anging und mit dem er sein Publikum auch weiterhin konfrontieren will. Er zielt gegen die DDR-Nostalgie ebenso wie gegen ein vorschnelles Einheitsdenken. Auch im Westen ist gesellschaftliches Verhalten natürlich eine Reaktion auf als gegeben akzeptierte Ansprüche, wenn diese auch wesentlich vielschichtiger und schwieriger zu erkennen sind.

Irgendwann wird Ludwig auf diesen Paradigmenwechsel in seiner Arbeit reagieren müssen. Noch aber bezieht er sich auf die Erfahrungen eines Lebens unter der SED-Diktatur. Das ist das, was er am besten kennt.

„Der Obelisk“ nach Vladimir Sorokin, heute abend, 18 Uhr, im Hof der KulturBrauerei, Eingang Knaack-/Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen