: "Gleitfähigkeit nur auf dem Eis"
■ Noch nie war Eiskunstlauf so begehrt wie heute: dank Kati Witt, Honeckers bevorzugtes Kußobjekt und "schönstes Gesicht des Sozialismus", das heute Modell steht als "Hohepriesterin des Kapitalismus"
„Das schönste Gesicht des Sozialismus steht schon längst Modell als Hohepriesterin des Kapitalismus“ schrieb der „Spiegel“ 1992. Katarina Witt hat mit ihren 27 Jahren bereits mehrere Leben hinter sich und setzt nun an, die Zeit zurückzudrehen: Die „sächsische Weltbürgerin“ (FAZ) will an ihre erste Karriere als Amateurin, die sie sich 1984 und 88 doppelt olympisch vergoldete, wieder anknüpfen. Vorbei die Jahre, in denen sie sich im Showgeschäft bei der Eisrevue verdingte, als Filmsternchen debütierte und in den Staaten für Fernsehkameras lachte. Allerdings, die Eiskönigin war auch während ihres Ruhestandes auf dem Eis präsent. Die Charmeuse aus Karl-Marx-Stadt parlierte während der Olympischen Spiele von Albertville für den amerikanischen Sender CBS, der sich noch heute angesichts der hohen Einschaltquoten die Hände reibt. Katarina Witt ist für die amerikanische Durchschnittshausfrau, die vom TV viel Gefühl verlangt und sich deshalb fernsehtechnisch am liebsten dem Eiskunstlauf hingibt, die eisgewordene Märchenprinzessin. Was den „Spiegel“ wiederum veranlaßte, gekonnt böse die „rote Kati“ des gelungenen Wechsels von einer „Ikone des Sozialismus zum Covergirl für Coca-Cola und CBS“ zu bezichtigen. Auch in der Medienwelt hat Honeckers bevorzugtes Kußobjekt mehrere Gesichter. US- Amerikas „lovely Kate“ wurde in der „Bild“-Zeitung nach der Wende als „SED-Ziege“ geschmäht und verschaffte sich erst mit einem Kolumnisten-Vertrag bei besagtem Boulevardblatt Luft vor neuer Schmach.
„Eiskunstlauf ist mein Leben.“ Sagt die vierfache Weltmeisterin heute. Und die Fans leben auf. Die Karten für die Deutschen Meisterschaften in Herne (16.-19.Dezember) gingen weg wie warme Semmeln. Und Kati Witt wäre wohl nicht Kati Witt, wenn sie, die am 3. Dezember, ihrem 28. Geburtstag, beim Schaulaufen in Frankfurt ihre neue Kür präsentiert, – terminlich nicht ganz ungünstig – nicht noch für dieses Jahr das Erscheinen ihrer Autobiographie (samt Stasi-Akte) ankündigte.
taz: Frau Witt, Sie sind schön, berühmt, reich. Sie müßten sich mit 27 Jahren nicht mehr im Training quälen. Warum tun Sie es trotzdem?
Katarina Witt: Die Herausforderung ist es, gegen die anzutreten, die immer gnadenloser und überall die Alters- beziehungsweise die Jugendgrenzen nach unten drücken wollen, was übrigens nicht nur im Sport so läuft. Und die aus dem Eiskunstsport einen reinen Eissprungsport machen wollen.
Sie haben selbst einmal gesagt, Sie hätten Ihren absoluten Höhepunkt 1988 nach ihrem Olympiasieg in Calgary erlebt und wüßten, daß Sie nie mehr so im Mittelpunkt des weltweiten Interesses stehen würden. Jetzt die Lust auf einen zweiten Höhepunkt. Wird die durch die Angst, Ihr Marktwerkt könne sinken, beflügelt?
Nein, an meinen Marktwerkt habe ich keine Sekunde lang gedacht.
Wie sieht denn Ihr durchnittlicher Arbeitstag aus?
Training zwei mal zwei Stunden, dazwischen Post durchsehen, Tagebuch schreiben und meistens täglich eine Stunde ein Buch lesen.
In kaum einer anderen Disziplin trennt sich die Spreu so klar vom Weizen: Die besten Eiskunstläufer wandern in den profitträchtigeren Weltcupzirkus ab. Für Olympia bleiben die Amateure. Dabei liegt eine olympische Medaille immer noch in der Gunst am höchsten. Wie läßt sich diese Entwicklung aufhalten?
Die Möglichkeit der Reamateurisierung ist ein erster Schritt. Nur muß die Pluralität von Eissport und Eiskunst erhalten werden, denn auch darin liegt die Pluralität, Profis und Amateure, und damit auch über zwei bis drei Generationen, auf dem Eis für das Publikum zusammen zu präsentieren und damit das Interesse oben zu halten.
Zwischen den beiden Polen Schönheit der Ausdruckskraft und technische Fertigkeiten schwankt der Eiskunstlauf. Sie haben ihre Medaillen gewonnen, obwohl Sie „nur“ drei Dreifachsprünge aufs Eis gelegt hatten. Hat sich das Eiskunstlaufen seit Ihrem Rücktritt von der Poesie des Fußes zum reinen Leistungsprinzip entwickelt?
Die Tendenz ist zwar zu befürchten. Aber ich denke, nicht nur ich, sondern auch andere Eiskunstläufer treten dagegen an, daß es zu einseitig wird. Ich fighte dafür, daß die ästhetische Seite des Eiskunstlaufes nicht immer mehr zu Gunsten einer bloßen Abhakautomatik von Sprüngen zurückgedrängt wird. Das wäre fürs Publikum nicht mehr sehr attraktiv.
„Die Linie, die der Schwerpunkt des Körpers nimmt, ist nichts anderes als der Weg der Seele des Tänzers“, hat Heinrich von Kleist über den Tanz geschrieben. Legen Sie in eine Kür Ihre Seele?
Ich bin sehr dafür, die Möglichkeit des körperlichen Ausdrucks auch für Botschaften, zumindest für Hinweise, zu nutzen, die mit unserer Welt zu tun haben. Auch das kann der Eiskunst neue Freunde bringen.
André Malraux hat einmal den schönen Satz formuliert: „Pour que l'art naisse, il faut que la relation entre les objets representés et l'homme soit d'une autre nature que celle imposée par le monde“ (Damit Kunst entstehen kann, muß das Verhältnis der dargestellten Dinge und des Menschen ein anderes sein als jenes, das uns die Wirklichkeit vorgibt). Was will uns Katarina Witt, die selbsternannte Künstlerin, sagen, indem sie uns in eine Scheinwelt des eingefrorenen Lächelns entführt?
Sie werden bei meiner nächsten Kür wirklich wenig Scheinwelt vorfinden. Außerdem habe ich nie eingefroren gelächelt.
Ist Eiskunstlauf nicht L'art pour l'art?
Diese Tendenz wird sich nicht durchsetzen.
Noch mal von Kleist, der davon sprach, welche Unordnung das Bewußtsein in der natürlichen Grazie des Menschen anrichte. Was denken Sie im Laufe einer Kür?
Ich denke daran, mich ganz auf das einzustellen, was ich mit der Kür ausdrücken möchte.
Und was ist das im Falle von „Robin Hood“, ihrem neuesten Thema?
Die Sage von Robin Hood steht für eine Legende und hat eine klare Botschaft. Das hat mich schon immer angezogen. Und Eiskunstlauf ist ein Sport, die Möglichkeiten zu nutzen, um solche Botschaften körperlich in der Ästhetik und Ausdrucksform rüberzubringen.
Haben Sie Angst vor einem Sturz?
Und wie!
Wie kann man bei den schwierigsten Sprüngen, welche die höchste Konzentration erfordern, dennoch immerfort strahlen, als ob man bereits bei der Preisverleihung wäre?
Wenn jemand in den Sprung geht, lacht er nie. Im Gesicht steht die volle Konzentration. Die Freude und das Aufatmen kommen immer erst nach dem gelungenen Sprung.
„Es gibt keine Natur. Das Meer, die Bäume, die Sonne – und vor allem das menschliche Auge – all das ist Kunstwerk.“ Schön ist, was wir uns schön denken, meint Paul Valéry. Was ist in den Augen von Katarina Witt schön?
Nicht das Clevere, Oberschlaue, sondern das Weise, das Gütige und Menschliche macht Gesichter schön.
Sie plädieren für Ästhetik und gingen zu Holiday on Ice, dem eisgewordenen Kitsch. Im nachhinein ein Fehler?
Ich habe auch bei Holiday on Ice mein eigenes Ding gemacht. Haben Sie es gesehen?
Schon. Aber auch ein Schriftsteller wird mit dem Verlag, in dem er publiziert, identifiziert. Trotz seines individuellen Anspruches. Sie haben Ihren Traum einer Filmkarriere verwirklicht. Ist der Traum ausgeträumt? Oder weckt das Filmgeschäft in Ihnen die Lust auf mehr?
Im Gegenteil. Die Lust darauf steigt – übrigens nicht ganz ohne reale Aussichten. Mehr wird aber nicht verraten.
Man redet über die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter, über die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Was empfindet die Eiskunstläuferin, wenn sie sich in die Arena begibt und von Tausenden beäugt wird?
Auch Angst. Die gehört dazu. Aber das Reizvolle ist es eben, diese Angst immer wieder zu bewältigen und zu überlisten. Das geht wohl allen Sportlern so.
„Bei Frauen im Sport denke ich zunächst an hübsche Mädchen in ästhetischer Bewegung“, sagte NOK-Ehrenpräsident Willi Daume. Fühlen Sie sich in der Rolle des sportlichen Lustobjektes wohl?
Ich fühle mich gar nicht in dieser Rolle.
Sie haben für sich in Anspruch genommen, eine neue Dimension als Künstlerin aufs Eis zu bringen. Steht dem nicht das rigide Korsett des olympischen Regelwerks entgegen?
Dem kann man/frau sich entgegenstemmen.
Sie wurden nie „nur“ als Sportlerin beklatscht, sondern waren immer auch eine ernstzunehmende Gesprächspartnerin in gesellschaftspolitischen Fragen. Was ist Ihre „Botschaft“ für das Deutschland im Jahre vier?
Es gibt bei Umweltschützern und sozial denkenden Menschen Erkenntnisse, die mir näher stehen als die jetzige Regierungspolitik.
Kurz nach dem Mauerfall gehörten Sie zu denjenigen, die dagegen waren, daß die „DDR eingekloppt wird in ein gesamtes Deutschland“. Was sagen Sie heute?
Die Einheit ist so wenig in Herz und Köpfen wie in Lebensverhältnissen und Politik vollzogen. Übrigens: Die unsichtbare Mauer geht wieder mitten durch ganz Europa.
Haben Sie auch heute noch Ihr SED-Parteibuch? Vielmehr: Würden Sie sich heute noch als Sozialistin bezeichnen?
So links, wie Sie mich nun darstellen, war ich nie.
In welche Partei könnten Sie heute eintreten?
Ich würde in keine Partei eintreten.
Sie wollten sich selbst davor bewahren, ein billiger Wendehals zu werden, und haben dann doch für Bild geschrieben, dieses Blatt, das die DDR zu keiner Zeit als eigenständigen Staat anerkannt hatte. Haben Sie sich eingerichtet im kapitalistischen System?
Die Bild-Zeitung habe ich früher so gesehen. Aber hier kommen wirklich mehr Meinungen zu Wort. Außerdem gibt es Fragen, bei denen ich auch grundsätzlich anders denke als FAZ, taz und Bild. Dann dürfte ich ja in keiner einzigen Zeitung mehr schreiben. Und was heißt: im Kapitalismus einrichten? Man richtet sich da ein, wo man lebt. Wo soll ich mich denn sonst einrichten?
Man kann sich wohlig einrichten oder widerwillig. Zu DDR- Zeiten waren Sie der Liebling der Massen. Nach der Wende wurden Sie, weil Sie den alten Zeiten nicht abschworen, zur Buhfrau. Selbt diesen Oktober wurden Sie ausgepfiffen, als Sie in Berlin Magic Johnson die Hand schüttelten. Fühlen Sie sich mißverstanden?
Wenn man überall nur verstanden und geliebt werden möchte, löscht das allmählich jede Eigenständigkeit aus. Gestatten Sie mir den Luxus, meine Gleitfähigkeit nur auf dem Eis beweisen zu wollen. Interview: Cornelia Heim
und Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen