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Die letzte Versuchung

■ Nomen est omen: Das Johannesburger Filmfestival "Grenzen der Freiheit" geriet zwischen die Fronten

Müssen der Presse- und Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt werden in einem Land, das strikte Zensur gewohnt war und bis heute von Rassismus, religiösem Wahn und Gewalt zerrissen wird? Südafrika war lange ein Extremfall in Sachen Zensur. „Es gab ein ganzes Arsenal restriktiver Maulkorb-Gesetze“, sagt die Johannesburger Medienanwältin Lauren Jacobson, „ganz zu schweigen von Angst und Selbstzensur.“

Für Ende Juli dieses Jahres hatte die Weekly Mail in Johannesburg ein Filmfestival samt Konferenz organisiert. Zufällig fand es zeitgleich mit der Veröffentlichung eines neuen Verfassungsentwurfs für Südafrika statt. Auf dem Festival sollten so kontroverse und in Südafrika weiterhin verbotene Filme wie Pasolinis „Salo – Die 120 Tage von Sodom“ (Italien), Ken Russells „Die Teufel“ (GB) und Bob Guccionis „Caligula“ gezeigt werden. Im Beiprogramm waren Podiumsdiskussionen über Zensur, Hate-Speech, Blasphemie und Pornographie angesetzt. Man hatte mich als ehemalige Gutachterin des britischen Film-Klassifizierungs-Komitees eingeladen, und zwar zusammen mit einem ehemaligen Kollegen, dem aus Ghana stammenden Briten und Bürgerrechtsanwalt Frank Panford, Rod Stoneman, einem Chefredakteur des britischen Channel 4 (TV), und Marjorie Heins von der amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung Civil Liberties Union. Der Verlauf der Konferenz bot spektakuläre Einblicke in das Problem von Zensur in einer von Gewalt bestimmten Gesellschaft.

Im Foyer der Witwatersrand- Universität war eine provokative Ausstellung von verbotenen Büchern und Zeitschriften, Fotos, harten amerikanischen Pornovideos und Dildos aufgebaut, und die Zuschauer konnten sich in den Pausen unter dem Bild einer halbnackten Domina-Nonne aus einem Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodovar zuprosten.

Die erste Diskussionsrunde unter dem Titel „Zensoren treffen Zensierte“ war ein historisches Ereignis. Schriftsteller und Künstler lasen vor denen, die sie einst verboten hatten. Darunter waren die Dichter und Theaterschriftsteller Don Mattera und Maishe Maponya und die Satiriker Robert Coleman und Matthew Crouse. Letztere hatten in den Achtzigern und Neunzigern gelegentlich Auftrittsverbote, weil sie Ikonen der Afrikaaner-Geschichte ins Lächerliche gezogen hatten. Der Schriftsteller und Kabarettist Pieter-Dirk Uys, der sowohl Winnie Mandela als auch Pik Botha allgemeinem Gespött aussetzte, höhnte über den „Borassic Park“ südafrikanischer Zensur. Der früher als coloured klassifizierte Dichter Don Mattera sprach über seine 150 Verhaftungen und 350 Hausdurchsuchungen und schwor, zu vergeben, aber nicht zu vergessen.

Schließlich erhob sich der jetzige Chef des „Directorate for Publishing“ – dem auch der Bereich Film untersteht –, Dr. Bram Coetzee, um mit hochrotem Kopf zu erklären, die schlechten alten Zeiten seien ein für allemal vorbei. Das Direktorat ähnele heute dem britischen Film-Klassifizierungs- Komitee und konzentriere sich darauf, Kinder zu schützen nicht zu zensieren, was Erwachsene sehen könnten und was nicht.

Das war ein etwas irreführender Vergleich. Immerhin hatte ich als Gast bei den Diskussionen des Direktorats und des Revisionsausschusses vor drei Jahren einmal teilnehmen können – kurz nachdem das Verbot des ANC aufgehoben worden war. Beide Institutionen werden von der Regierung ernannt; sie spiegeln einerseits die engen Moralvorstellungen der Afrikaans-Minderheit wider und erhalten den politischen Status quo aufrecht. Eine frühere Teilnehmerin der Runde – genauer: des Revisionsausschusses –, Linda Gilfillan, erzählte dem Konferenzpublikum, wie sie 1989 zurückgetreten war, weil zunehmend mit der „Staatssicherheit“ argumentiert wurde (bis vor kurzem war im Revisionsausschuß ein Mitglied der Sicherheitskräfte vertreten). Soweit es die Zensur für Erwachsene betrifft, muß in Südafrika immer noch jede Darstellung von Schamhaar und jeder Gebrauch von „schmutziger“ Sprache geschnitten werden, aber man ist wesentlich weniger leidenschaftlich in bezug auf Szenen von Gewalt und sexueller Gewalt als die britischen Kollegen von der Film-Klassifizierung.

Die spannende Frage des Festivals war nun, ob die Filme tatsächlich würden gezeigt werden können. Am Tag unserer Ankunft hatte der Revisionsausschuß nach einer Diskussion handverlesener Theologen über die „Unantastbarkeit religiöser Bilder“ entschieden, daß Martin Scorseses „Die letzte Versuchung“, in Südafrika verboten, auf dem Festival nicht gezeigt werden dürfe. Wir fuhren nach Pretoria, um der Diskussion des Falles beizuwohnen. Wir fühlten uns ins 17. Jahrhundert zurückversetzt, als der Vorsitzende des Ausschusses den Gutachter des Festivals, einen Theologieprofessor, Prediger der Holländisch-Reformierten Kirche und Scorsese-Fan, nach den letzten theologischen Details befragte.

In der Zwischenzeit erreichte die Festivalleitung eine weitere Hiobsbotschaft: der deutsche Film „Jud Süß“ war in letzter Minute zurückgezogen worden. Die Vorführung dieses bekannten antisemitischen Films, 1940 unter Goebbels Ägide gedreht, wird von der Berliner Murnau-Stiftung streng überwacht. Die Stiftung hatte zunächst zugestimmt, den Film einmalig auf dem Festival vor kleinem Publikum und mit einer entsprechenden Einleitung zu zeigen. Das Festival wollte ihn als Extrembeispiel vorführen und daran anschließend für eine gewisse Kontrolle in bezug auf Hate-Speech argumentieren.

Aber der South-African Jewish Board of Deputies hatte die Stiftung dazu überredet, ihre Erlaubnis zurückzuziehen, und die deutsche Botschaft drohte, ihre finanzielle Unterstützung für das Festival zurückzuziehen. Statt des Films sah man nun eine Diskussion zwischen dem Board of Deputies auf der einen und dem Herausgeber und Rechtsanwalt der Weekly Mail, beides Juden, auf der anderen Seite. Unter dem Applaus vieler anwesender jüdischer Intellektueller, unter anderen Nadine Gordimer, sagte der Herausgeber Anton Harber, man müsse mehr Offenheit zeigen und bereit sein, von den Verbrechen der Vergangenheit zu lernen. Er berührte auch die passive Rolle des Board of Deputies in den schlimmsten Tagen der Apartheid. Die Frage, „Wo warst du, als wir kämpften?“ sollte im Laufe des Festivals noch häufiger auftauchen.

Mitte der Woche hörten wir aus Pretoria, daß „Die letzte Versuchung“ schließlich doch noch gezeigt werden könnte. Daraufhin drohten christliche Fundamentalisten, das Büro der Weekly Mail anzuzünden. Gleichzeitig trafen die Nachrichten vom Massaker in der Kirche von Kapstadt und den Morden in den schwarzen Townships bei Johannesburg ein. Die Realität der Gewalt überschattete alle Diskussionen über Gewalt auf der Leinwand.

Zwei Tage später sollte gerade eine nur von Frauen besetzte Diskussionsrunde über Pornographie und Feminismus beginnen, als per Lautsprecher alle Anwesenden aufgefordert wurden, den Saal zu verlassen. Die rechtsextreme Partei der Weißen, die AWB, hatte wegen eines siebenminütigen Kurzfilms, der die Voortrekker auf die Schippe nimmt, gedroht, Bomben zu werfen. Vor der Tür standen plötzlich drei riesige AWB- Kerle wie Statuen mit der Afrikaaner-Fahne in den Händen, während Polizisten mit Spürhunden hereinkamen, die kruderen Ausstellungsstücke fotografierten und einen Fotoapparat zerschlugen, mit dem jemand eine Aufnahme von den Flaggenhaltern gemacht hatte. Eine Bombe fand man nicht, und „Voortrekkers“ wurde vor 50 Leuten aufgeführt. Die Frauendebatte über Pornographie konnte weitergehen: Ausschnitte eines feministischen Films mit dem Titel „Not a Love Story“ wurden gezeigt, in denen schwarze Frauen sexuell gedemütigt und gefoltert werden. Daran anschließend argumentierten einige weiße Feministinnen dafür, absolut keine Zensur zuzulassen, während die meisten schwarzen Frauen (und einige Männer) Rassismus und Pornographie in einem engen Zusammenhang sahen. Fast alle wollten Pornographie nur an bestimmten, lizensierten Orten zugänglich machen (wie vom Williamskomitee in Großbritannien vorgeschlagen).

Zuvor hatte ein Anwalt verschiedene politische Parteien ins Kreuzfeuer genommen und sie nach ihren Auffassungen zur Zensur befragt. Der ANC will Mei

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nungsfreiheit „per Gesetz nur in dem Maße einschränken, wie es mit Prinzipien vereinbar ist, auf die man sich allgemein in einer offenen und demokratischen Gesellschaft vorher geeinigt hat“. Noch verdächtiger ist de Klerks National Party, die die Meinungsfreiheit einschränken will, „wenn es objektiv notwendig wird ... aus Gründen der Staatssicherheit, der öffentlichen Sicherheit, Moral, Volksgesundheit und der Durchsetzung von Gesetzen oder Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Wenn man hörte, wie der Sprecher der National Party das Verbot der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie unterstützte und der ANC Slogans wie „Kill de Boer“ oder „One settler, one bullet“ per Gesetz zu verbieten gedenkt, wurde einem klar, daß man hier von einem Gesetz zum Schutz der Menschenrechte à la USA noch weiter entfernt ist als in Großbritannien.

„Wir leben in surrealen Zeiten“, sagte der Sprecher von Inkatha und betonte, daß jede Gesellschaft imstande ist, sich selbst zu regulieren. Aber auf dem Festival sah man, daß Selbstregulierung in einem Land, das bisher schärfste Repressionen gewohnt war, nicht so einfach ist. Die Nachtvorstellung der „Letzten Versuchung“ war ausverkauft, aber das Publikum, so stellte sich bei der vorher angesetzten Diskussion heraus, waren vor allem Fundamentalisten, schwarze und weiße, die die Aufführung noch in letzter Minute verhindern wollten. Sie sangen Hymnen und ließen sich davon durch nichts abbringen, wohl in der Hoffnung, bis nach Mitternacht aushalten zu können, wenn nämlich die Genehmigung für die Vorführung des Films ablaufen würde. Aufgeregte und wütende junge Frauen schlugen vor, sie könnten auf der Bühne ja einen Striptease machen, um die Hymnensinger von ihrem religiösen Eifer abzulenken, und von draußen brüllten Leute mit Karten auf die Sänger ein. Die Stimmung war gefährlich aufgeladen, als um 23.15 Uhr die Polizei kam. Die Fundamentalisten beschlossen daraufhin, ihren Widerstand aufzugeben und marschierten friedlich ab, woraufhin „Die letzte Versuchung“ gerade noch rechtzeitig vor der mitternächtlichen Deadline gezeigt werden konnte.

Am nächsten Morgen sprachen wir mit einem Imam aus Kapstadt, der tags zuvor an der Podiumsdiskussion über die Unantastbarkeit religiöser Bilder teilgenommen hatte. Er sprach sehr bitter darüber, daß die „moderaten“ Christen sich nicht heftiger gegen die Intoleranz der Fundamentalisten gestellt hätten und auch deren Mangel an Kampfesmut gegen Apartheid nicht angegriffen hätten („Wo wart ihr, als wir kämpften?“). Der Imam hatte die Fatwa gegen Salman Rushdie öffentlich verdammt und versuchte, seine „Herde heil ins 21. Jahrhundert zu bringen“. Seiner Meinung nach waren die Medien schuld an der Dämonisierung des moslemischen Glaubens. „Man sollte nicht mit zweierlei Maß messen. Keiner nennt den Jewish Board of Deputies mittelalterlich und chaotisch, wenn sie die Aufführung von „Jud Süß“ verhindern.“ Dieser Imam erschien uns als einer der vernünftigsten und modernsten religiösen Männer, die wir in Südafrika trafen. Seiner Meinung nach war die Forderung nach totaler Presse- und Meinungsfreiheit nur eine weitere Form von Fundamentalismus.

Zumindest was das Fernsehen betrifft, ist die Gefahr totaler Freiheit in Südafrika ohnehin nicht so groß. An unserem letzten Besuchstag waren wir Gäste in einer portugiesischen Sendung von SABC, die vor allem in den Townships von vielen Menschen gesehen wird. Nachdem wir wieder einmal unsere Kernsätze über Zensur und Meinungsfreiheit gesagt hatten, fragte man uns nach unseren Vorhersagen für die Zukunft der Pressefreiheit in Südafrika nach den Wahlen im April nächsten Jahres. Während wir uns noch abmühten, die richtigen Formulierungen zu finden – daß man möglichst nicht in die Falle der political correctness tappen sollte –, riß die Afrikaaner- Produzentin der Sendung die Tür auf und schrie die Assistentin an: „Ich hab' doch gesagt, ihr sollt nicht über Politik reden. Bleibt bei den Filmen. Sonst werden wir zensiert!“

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