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Der Natur untertan

■ Deutschland im Jahr 2040 – eine ökologische Anti-Utopie

Dirk C. Fleck ist Journalist und erschreibt sich sein Monatsgehalt als Politikredakteur bei der Hamburger Woche. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Zeitläufte zu analysieren und diese in appetitliche, bunte Graphiken zu pressen. Fleck genießt die Freiheit, daß ihn niemand daran hindert, zu schildern, wie die Welt denn sei.

Wir schreiben das Jahr 1993. 47 Jahre später, 2040, wäre Fleck arbeitslos. Dann gälte nämlich Grundgesetz Nummer 4, das da lautet: „Alle Arten von Medien sind verboten. Als Informationsquelle dient das Staatsarchiv.“ Der Grund für dieses Verbot: Erstens vernichten Printmedien Bäume, und zweitens sollen sich die Menschen gefälligst auf sich konzentrieren, sich nicht ablenken lassen.

In seinem als Roman klassifizierten „GO! Die Öko-Diktatur“ skizziert Fleck ein Horrorszenario, das die Nähe zu Orwell und Huxley („1984“ und „Schöne neue Welt“) sucht. Bei Fleck indes ist die Diktatur einer guten Sache verpflichtet: den Bäumen, der Erde, den Flüssen, der Luft, der Atmosphäre. Alle Menschen sind qua Gesetz der Umwelt untergeordnet, um die sich die Generationen zuvor einen Dreck geschert hatten. Wer es dennoch wagt, sein Wohnzimmer mit einer Yuccapalme zu schmücken, wird in entsprechende Umerziehungslager deportiert, die euphemistisch „Stadtlager“ genannt werden. In ihnen bringt man den Unverbesserlichen bei, daß der Mensch tunlichst der Natur untertan zu sein hat – nicht umgekehrt.

Weil der Mensch aber eigentlich nicht lernfähig ist, muß man ihm notfalls mit Gewalt beibringen, daß er die Natur nicht ungestraft schänden kann. Das Leitmotiv der „GO!“-Staaten – „Erst die Erde, dann der Mensch“ –, nach dem sie auch ihr „Grundgesetz“ gestrickt haben, findet in allen Bereichen konsequent Anwendung: Holzfäller bezahlen ihren Frevel mit dem Leben; Armuts- und Umweltflüchtlinge, die die Grenze zum reichen Norden passieren wollen, werden von Soldaten erschossen, denen aggressionsstimulierende Mikrochips implantiert wurden; wer mit dem Porsche spritztourt, den stellt die Umweltpolizei per Hubschrauber und zwingt ihn, die Abgase zu inhalieren – damit er spürt, was die Pflanzen atmen, wenn die Autos fahren. Freie Fahrt für freie Bürger: netter Slogan, lang ist's her. Im Jahr 2040 gilt es mit aller Gewalt die Ressourcen, die nach Tschernobyl, Ozonloch und Klimakollaps noch verblieben sind, zu sichern. Her mit der Diktatur!

Weg mit der Diktatur! Nach 335 Seiten allerspätestens wird klar: Sensibilität für die Natur läßt sich nicht einimpfen, auf der Strecke bleiben – zwangsläufig? – die Freiheitsrechte der Menschen. Autor Fleck glaubt, daß die Dinge sich so entwickeln werden, wie er die Welt anno 2040 beschreibt. „1984“ und „Schöne neue Welt“ hinterlassen Gefühle der Beklemmung.

Flecks 335 Seiten Alptraum sind seltsam hölzern, wirken flach. Die Protagonisten fungieren allesamt als Sprachrohre eines Hamburger Journalisten, der den Glauben an menschliche Einsicht verloren hat. Die von Fleck kreierten Figuren sprechen unentwegt zum Leser, sagen ihm, warum sie etwas tun. Wenn etwa Informationsministerin Xenia auftritt und langatmig die Vergewaltigung der Umwelt durch den Menschen rezitiert, hat das etwas vom Wort zum Sonntag. Alles schon tausendmal gesagt, schon tausendmal so gesagt.

Und dies, obwohl die Frage, die Fleck stellt, durchaus zentral und spannend ist: Kann es eine „gute“, eine vernunftorientierte Diktatur geben? Eine, in der qua Verfassung der Natur ultimative Priorität eingeräumt wird? Fleck behauptet, diese Idee radikal zu Ende gedacht zu haben. Doch die Radikalität, die er für sich reklamiert, bleibt an der Oberfläche haften. Seine „Go!“- Welt ist zu monoton, kennt keine Zwischentöne, sondern ist nur Apokalypse now und pur. Das mag unheimlich wirken, auf den zweiten Blick jedoch nur noch ermüdend. In seinem Öko- Krimi begeht Fleck denselben Fehler wie die meisten Medien heute: Er frönt dem Info-Overkill.

Eine der Romanfiguren sagt auf Seite 132: „Mißverständnisse sind das Faszinierendste, was das Leben zu bieten hat.“ Flecks Mißverständnis basiert auf der Annahme, er könne einen packenden Roman zur ökologischen Überlebensfrage schreiben. Das kann er nicht. Statt dessen hätte er besser einen klugen Essay verfassen sollen. Das kann er. Thorsten Schmitz

Dirk C. Fleck: „GO! Die Öko- Diktatur“. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 335 Seiten, 39,80 DM

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