„Blau und Weiß bleibt Blau und Weiß“

Von der Spitze des Eichbergs auf des Sumpfes tiefsten Grund: Der FC Schalke 04 steht vor dem Ende  ■ Von Bernd Müllender

Glückaufkampfbahn! Kein PR- Stratege heute hätte einen symbolträchtigeren Namen erfinden können. Symbol, Legende, Mythos: Für glorreiche Fußballzeiten grandioser Kicker, die tags als Bergleute in den Pütt fuhren und abends die Stiefel schnürten. Für den Schalker Kreisel mit den ballzaubernden Szepan und Kuzorra. Für Fußballfeste, als man das Wort noch nicht kannte. Für hemmungslose Identifikation einer ganzen Region... Heute gammelt das alte Gelsenkirchener Fußballstadion vor sich hin. Das blau-weiße Mosaik am Eingang bröckelt, und einer hat, gleich unter das halbverrottete Schild „Vermiete Karten“, daran geschrieben: „Schalke null Anung!“

Den FC Schalke 04, so das Dogma unter Fußballfreunden, kann man nur lieben oder hassen. Punktum. Grautöne waren bei Blau und Weiß noch nie vorgesehen. „Wenn getz widda ma viel übba Schalke geredet wiad“, so kürzlich ein Vereinsfan im WDR, „dann gippt dat doch viel neue Poppularrität. Wer spricht denn zua Zait noch von die Bayern oder von den Eff Zeh Batzelohna...?“

Man spricht tatsächlich mal wieder sehr viel über den traditionsreichen Skandalclub. Über Manipulationen und Schiebereien in bislang selbst auf Schalke unbekanntem Ausmaß. Im Mittelpunkt steht Präsident Günter Eichberg (47). Er hat offenbar Millionenbeträge hin- und hergeschoben zwischen seiner Privatschatulle, seinen sechs Krampfader-Privatkliniken, dem Club selbst und der direkt nach Amtsantritt 1989 von Eichberg als Alleingesellschafter gegründeten FC Schalke 04 Marketing GmbH. Aus deren Portokasse wurde auch mal ein 60.000-Mark-Benz für einen Spezi bezahlt, der für die Zahlungen der Krankenkassen an Eichbergs Venenkliniken zuständig ist. Auch ein Schiedsrichter soll einmal per Geschenk willfährig gemacht worden sein. Spieler wurden bei mehreren Banken gleichzeitig als Sicherheit abgetreten. Zukünftige Einnahmen sind längst ausgegeben. Weil so viel Kohle im dunklen Irgendwo abgeschwunden ist, durchdrainagiert und veruntergesickert, ist der Verein jetzt genauso der Pleite nah wie Privatmann Eichberg, dessen geplanter Notverkauf seiner überschuldeten Venenheilstätten gerade platzte. Auch sportlich ist Talfahrt angesagt: Zu Beginn der Bundesliga- Rückrunde an diesem Wochenende ist der FC Schalke 04 Tabellenletzter und dem Abstieg nah.

Der Trainer hatte sein Balltrittpersonal zuletzt mit dem Hinweis auf die Arbeitslosen der Stadt zu kräftigerem Torschuß anzustacheln versucht: Etwa jeder fünfte Besucher im Stadion sei joblos und eher minderbemittelt. Die Kicker erklärten sich für berührt und extramotiviert. Gleich gewann das Team seit langem mal wieder, und der Trainer wurde als sozialverträglicher Motivator gepriesen.

„Ich bin doch nicht bekloppt im Kopp“

Im Arbeitsamt Gelsenkirchen sitzen diejenigen, mit deren Eintrittsgeldern S04 seine Ballbeweger zu Millionären macht. „Gebäudeteil A, Leistungsabteilung“: Im Amtsambiente eines 50er-Jahre-Baus, Waschbeton, dreckiggelbe Wände, Neonlicht, bekommt der Tischler Heinz Glawotz (alle Namen geändert) gerade den Hinweis, auf Zimmer 700 könne er sich den Abschlag für drei Tage holen. „Prima“, freut er sich, „das reicht für eine Tribünenkarte am Samstag.“ Obwohl: „Verarscht fühl ich mich schon von denen, ich krieg mal grade 300 die Woche, und die schmeißen mit die Kohle nur so um sich.“ Der Maschineneinrichter Udo Gabelmann macht sich unbeliebt: „Ich bin doch nicht bekloppt im Kopp“, nein, er gehe nicht mehr auf Schalke: „Schluß, finito.“ Monteur Hans Bopp interveniert: Er will fürs nächste Heimspiel „das Geld zusammenkratzen“. Die Leute, sagt er, würden „immer auf Schalke gehen, selbst wenn die inne Amateurliga absteigen“. Grund: „Blau und Weiß bleibt Blau und Weiß.“

Nur gut, sagt Bopp, daß er einem anderen Arbeitslosen in den letzten Monaten nicht begegnet ist, Radmilo Mihajlovic heißt der. „Dem hätt ich aber echt wat erzählt.“ Mihajlovic ist Fußwerker und eine Art Symbol für den Schalker Wahnsinn. Angestellter war er, mit Auftrag Toreschießen. Präsident Eichberg, noch neu im Bundesliga-Business, war 1990 nach München geeilt, um den Bosnier bei den Bayern abzuwerben. Deren Manager Uli Hoeneß hatte sich, erzählt er heute, auf eine Verhandlung von 2 bis 2,5 Millionen Ablösesumme eingerichtet. Eichberg kam naßforsch ins Zimmer gestürmt und sagte kategorisch: 3 Millionen, mehr nicht. Hoeness geistesgegenwärtig: Aber zuzüglich Mehrwertsteuer. Eichberg war sofort einverstanden.

Rund eine Million pro Jahr bekam Mihajlovic aus seines Präsidenten Privattasche. Und eine Million, Dollar nicht Mark, Handgeld cash gleich vorab. Damit prahlte Eichberg später herum. Das hörte interessiert das Finanzamt und fragte um Einkommensteuer nach. Mihajlovic ging zu Eichberg und jammerte, es sei doch brutto für netto vereinbart gewesen. Und Eichberg übernahm die zusätzliche Fiskus-Million. Das Tor traf Mihajlovic sehr selten. Bald hatte er das Etikett „größter Absahner der Liga“ weg. 1993 wurde sein Vertrag nicht verlängert. Er meldete sich arbeitslos. Wie gut nur, daß es gesetzliche Grenzen gibt, sonst hätte der schwervermittelbare Kicker für sein Gehalt an die 30.000 Mark Stütze im Monat bekommen. So waren es nur 2.400 Mark Höchstsatz.

Günter Eichberg war Schalke- Chef geworden, wie man halt so Präsident wird auf Schalke. 16. Januar 1989: Als einfaches Mitglied kam er aus Düsseldorf angereist in die Gelsenkirchener Boxhalle, wo 1.500 der rund 15.000 Vereinsmitglieder ausharrten, um nach monatelangem Hickhack einen neuen Führer zu küren. Als Eichberg gewollt sportlich zum Rednerpult eilte, fiel er erstmal hin. Der Saal lachte. Dann brachte Eichberg knallharte Argumente vor: „Aus einer Bergarbeiterfamilie mit zwölf Kindern“ komme er, sei zwar kein gebürtiger Schalker, aber seit Kindesbeinen Fan des Clubs. Das gab Beifall. Mit lokal gefärbtem Deutsch pries er, wie es dank seiner Klinikeneinnahmen „mit den Mücken stehen“ werde und setzte eine Art Liebeserklärung obendrauf: „Schalke marrich geane.“ Das reichte für prasselnden Applaus und nachfolgend über 90 Prozent der Stimmen.

Eichberg ließ sich jahrelang als selbstloser Retter und Gönner feiern. Nicht nur die Masse der Mitglieder war begeistert: „Wir dachten, da kommt der Weihnachtsmann“, frohlockte der Vize. Und der heutige Schatzmeister jubilierte über Eichbergs „sagenhaften Reichtum“. Doch alles war Maskerade: Scheingönner Eichberg (Kosename „der Kamikaze“) hat, so der Spiegel, „knapp 100 Millionen Mark Miese aufgetürmt“.

So triumphal Eichberg als Vereinssanierer daherkam und den Siegeszug Richtung Europapokalteilnahme ankündigte, so unvermittelt verschwand er: Anfang Oktober noch konterte er erste Gerüchte um seinen finanziellen Ruin mit einer kämpferischen Rede auf der Vereinsversammlung aus und ließ sich umjubelt entlasten. Schnell noch entließ er den fünften Trainer seiner Amtszeit, trat eine Woche später zurück und entschwebte fluchtartig auf seinen Landsitz in Palm Beach, Florida.

Schalke ist halt ein Verein, bekannte vor Jahren einer, „wo die Emulsionen überschwappen“. Hier wurde die Legende geboren, daß allein 40.000 Menschen kämen, wenn nur ein neuer Flutlichtmast eingeweiht wird. Und hier schrieb einer zum Text eines Kirchenplakates „An Jesus kommt keiner vorbei“ den Fachkommentar dazu: „Außer Libuda.“ Und schon immer zog S04 auch windige Gestalten und Scharlatane an, großmäulige Kreditjongleure und anderes zwielichtiges Gesindel wie die Motten das Flutlicht, um sich in präsidialer Glorie vom Fußballvolk feiern zu lassen. Schalke 04 – schon immer eine seriositätsfreie Zone und immer hochverschuldet wie kaum ein zweiter Club in der Liga – und das trotz sportschauweit rekordverdächtiger Zuschauerzahlen und -einnahmen.

Auf Schalke ging es nicht immer ohne persönlichen Schaden ab: Schon 1930, nach einer Affäre um verbotene Schwarzgeld-Zahlungen an das kickende Knappenpersonal, ertränkte sich der Finanzwart stilecht in den grauen Wässern der Emscher. Nach dem Krieg folgten zwei weitere Freitode, ein Kassierer, ein Präsident. Auch der Bundesligaskandal 1971 mit verschobenen Spielen und nachfolgenden Meineiden hatte sein Epizentrum auf Schalke. Personalverquickungen von Vereinsführung und Geldgebern haben Tradition: Jüngstes Beispiel ist Rüdiger Höffken, der als Hauptsponsor („alu rad“) einstieg und mittlerweile auch, wie praktisch, seine eigenen Millionengaben als Schatzmeister verbuchen darf.

DFB-Präsident Egidius Braun (69), ein ehemaliger Aachener Kartoffelhändler, wird mit dem Satz zitiert: „Schalke ist für die Bundesliga lebenswichtig. Wir können es uns gar nicht leisten, denen keine Lizenz zu geben.“ Vier Jahre lang hat der DFB die Gelsenkirchener Geldwaschanlage Marketing GmbH geduldet, aber erst in diesem Frühjahr urplötzlich ihre Liquidation zur Voraussetzung der Lizenzvergabe gemacht. Schon 1965, Schalke war Letzter geworden, stockte der DFB die Bundesliga kurzerhand von 16 auf 18 Teams auf, der vermeintliche Absteiger blieb in der Beletage.

Nur eine Bananenflanke von der Glückaufkampfbahn entfernt liegt das Clubheim. Gerhard Bosch ist seit über 20 Jahren der Wirt, der „Bosch-Dienst für die Kehlen“. „Beim Bosch“, dem gut zwei Zentner schweren Unikum, muß man nur auf ein, zwei Pils und eine dramatisch aufgeplatzte Bockwurst am Tresen sitzen und zuhören – schon glaubt man die königsblaue Welt in Ordnung. Gerhard Bosch und seine Gäste tauschen Erzählungen vom „alten Ehrenringträger Schlottmann“ und den Vorteilen der neuen Schalke-Bettwäsche. Bosch weiß, wo es noch Karten fürs nächste Auswärtsspiel beim Revierrivalen Borussia Dortmund gibt und gibt zum besten, wie ausgerechnet er, Bosch, der Koloß, sich einmal „mit einer Teilnehmerkarte, iss echt wahr“ ins Dortmunder Westfalenstadion hat einschleusen lassen. Wie blöde die blöden Dortmunder doch seien. Mit ner Teilnehmerkarte, er...

Wie geht's weiter? „Weiß ich auch nich“

Nur einmal schimpft Gerhard Bosch: „So was ist hier echt noch nie passiert.“ Das Bildnis von Günter Eichberg, das in der vielköpfigen Ahnengalerie gleich neben der Türe hing, ist geklaut worden, „einfach weg, zack, nachts um zwei“. Nicht schade drum, sollte man meinen. Aber Bosch sagt: „Sollen doch nich alle immer auf den Eichberg rumhacken – da haben doch ganz andere lange mitgewußt und mitgemacht.“ Das sagt nicht nur der Bosch. Zunehmend in der Kritik steht auch Schalkes Verwaltungsratsvorsitzender Jürgen W. Möllemann, als Wirtschaftsminister vertraut mit der Vermengung persönlicher und amtlicher Vorgänge. Warnungen über Eichbergs abenteuerliches Finanzgebaren gab es reichlich – indes hielt es die Schalker Vorstandsetage mit den drei Affen: Nichts sehen, hören, sagen. Der Beirat, der die Marketing GmbH, vulgo Eichberg, hätte kontrollieren sollen, tagte nie. Jetzt will Möllemann „Grauzonen“ und „Schattenhaushalte“ beseitigen. Wahrscheinlich zu spät: Denn jäh sind die gelinkten Banken aufgewacht und forschen nunmehr intensiv nach den verbürgten (Un-)Sicherheiten. Ihre Forderungen dürften das aktuelle achtstellige Minus von Blau-Weiß noch tiefer rot färben. Und so kreiselt der FC Schalke 04 von der Spitze des Eichbergs unaufhaltsam in immer neue Tiefen des Sumpfes. Wie es weitergehen soll? „Manchmal weiß ich auch nich...“ Sagt sogar der Bosch.